Erneuerbare Energie

Große Koalition tritt bei Energiewende auf die Bremse

Die Pläne von Union und SPD für die Energiepolitik in einer Großen Koalition haben in der Branche der Erneuerbaren Energien harsche Kritik ausgelöst. Durch die einzelnen Sektoren hinweg befürchten Branchenvertreter, dass die Energiewende an Schwung verliert. So kritisiert der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) insbesondere die von CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag verabredete Deckelung des Anteils der Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung auf 40 bis 45 Prozent im Jahr 2025. Das sei „ein energie- und umweltpolitischer Fehler“, erklärte dazu BEE-Präsident Dr.-Ing. E.h. Fritz Brickwedde. „Mit diesem Ausbaukorridor wird Deutschland seine Klimaschutzziele in den kommenden Jahren verfehlen“, warnte er. Denn selbst wenn man den Wert von 45 Prozent annehme, so bedeutet das lediglich einen Zubau der Erneuerbaren von durchschnittlich 1,67 Prozent pro Jahr. Nach dem unteren Szenario von 40 Prozent seien es sogar nur 1,25 Prozent. Zum Vergleich: In den vergangenen fünf Jahren lag der Zubau im Durchschnitt bei zwei Prozent. Dabei habe die schwarz-gelbe Bundesregierung noch im Jahr 2010, also vor der Reaktorkatastrophe von Fukushima, einen durchschnittlichen Ausbau von 1,94 Prozent bis 2020 als Zielwert nach Brüssel  gemeldet. „Die große Koalition tritt bei der Energiewende auf die Bremse“, schlussfolgerte BEE-Präsident Brickwedde. Besonders stört ihn, dass der neue Deckel gesetzlich festgelegt und damit starr werden soll.

Als „enttäuschend aus Sicht des BEE“ bewertet es dessen Präsident zudem, dass zu den Themen Mobilität und Wärme „praktisch nichts Neues im Koalitionsvertrag zu finden“ ist. Insbesondere das Fehlen der steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung sei negativ zu bewerten. Die für Klimaschutz und Kostenentlastung wichtige Wärmewende werde so nicht angestoßen.

„Statt die hohe Investitionsbereitschaft von Bürgern und Unternehmern in Erneuerbare Energien weiter zu nutzen und tatkräftig zu unterstützen, soll das Energiewende-Tempo der letzten Jahre im Stromsektor jetzt gedrosselt werden. Statt die Mindestziele aus der Zeit vor Fukushima deutlich anzuheben, werden sie nun auf gleichem Niveau eingefroren“, stellt auch Carsten Körnig fest, Hauptgeschäftsführer des BSW-Solar, und ergänzt: „Mit angezogener Handbremse lässt sich Deutschlands Technologieführerschaft in einer der wichtigsten Schlüsseltechnologien nicht verteidigen.“ Körnig weist darauf hin, dass starke Einschnitte bei der Solarstromförderung bereits dazu geführt haben, dass sich der Zubau an Solarstromanlagen in diesem Jahr gegenüber den Vorjahren in Deutschland bereits mehr als halbiert hat.

Die Europäische Vereinigung für Erneuerbare Energien, Eurosolar, befürchtet nun, dass der deutschen Windkraft ein ähnliches Schicksal droht. Eurosolar-Vorstand Stephan Grüger sagt: „Im Binnenland sollen nur noch Windkraftanlagen an absoluten Top-Standorten wirtschaftlich betrieben werden können. Damit würde mit der Windkraft an Land der Ausbau der preiswertesten erneuerbaren Energie weitgehend beendet. Der dezentrale Ausbau der Windkraft, der bislang in ganz Deutschland an guten Standorten möglich ist, würde beendet.“ Grüger stößt zudem auf, dass „der mindestens dreifach so teure Ausbau der Offshore-Windkraft“ stattdessen bis 2019 ohne Einschnitte bei der Vergütung vorangetrieben werden soll. „Diese kostenträchtige Ausrichtung ist völlig absurd und steht im Widerspruch zu den Bekenntnissen im Koalitionsvertrag, dass die Kosten der Energiewende" möglichst gering ausfallen sollen“, so der Eurosolar-Vorstand.

Der Erfolg der Naturstrom AG, eines Ökostromanbieters aus Düsseldorf, belegt das gesteigerte Interesse der Bürger für eine klimaschonende Energieversorgung. Er verzeichnet seit Jahren stark steigende Kundenzahlen. Vorstandschef Dr. Thomas E. Banning zeigt sich enttäuscht, dass eine Große Koalition dieses Momentum nicht nutzen will. Nach seiner Einschätzung „verschenken sie die Chance, in den nächsten Jahren Weichenstellungen für eine zukunftsfähige Energieversorgung vorzunehmen“. Stattdessen werde das Rad sogar zurückgedreht. Die Rahmenbedingungen für die großen Energiekonzerne würden verbessert, etwa durch eine verbindliche Direktvermarktung des EEG-Stroms neuer Anlagen, die Verlängerung der Phase erhöhter Vergütungen für Offshore-Windenergie und die geplante zukünftige Ausschreibung neuer regenerativer Erzeugungskapazitäten.

„Die für Bürgerenergiegesellschaften, Stadtwerke und Ökostromanbieter wichtige Möglichkeit einer Direktbelieferung von Strom aus deutschen EEG-Anlagen an Endkunden soll dagegen ersatzlos gestrichen werden. Es ist völlig unverständlich, warum Stromkunden keinen Ökostrom aus Deutschland beziehen können sollen. Dieser würde stattdessen zu Niedrigstpreisen am Kurzfristmarkt der Börse verkauft, wodurch die EEG-Umlage weiter stiege“, so Banning. Sein Fazit: „Der Koalitionsvertrag ist ein Dokument energiepolitischer Mutlosigkeit: Klein halten, deckeln, kürzen – viel mehr ist den Parteien zum Zukunftsprojekt Energiewende nicht eingefallen.“

Selbst Hildegard Müller, lange als CDU-Vorstandsmitglied und als Staatsministerin enge politische Vertraute von Bundeskanzlerin Angela Merkel  und heute Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), reagiert mit viel Skepsis auf die Pläne von Union und SPD. Zwar sei es „erfreulich“, dass man sich zu den wesentlichen Herausforderungen der Energiewende bekannt habe, unter anderem zu einer grundlegende Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und zur Integration der Erneuerbaren-Förderung in den europäischen Energiemarkt. Aber die Branche sei skeptisch, „was die konkreten Lösungen, die Umsetzung und den Zeitplan angeht“. Deutlich kritisiert Müller, dass die „großen Potenziale im Wärmemarkt sowie im Verkehrssektor wiederum nicht ausreichend genutzt“ würden. Müllers Fazit: „Eine Große Koalition muss am Ende aber mehr schaffen als das, was derzeit im Koalitionsvertrag festgehalten ist.“

Mit nicht annähernd so sanften Worten verpackt Hans-Josef Fell seine Analyse der Pläne für eine Große Koalition. Vielmehr spitzt der langjährige Sprecher für Energie der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen und Autor des Gesetzentwurfes zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aus 2000 die Kritik daran zu: „Union und SPD meinen es ernst mit dem massiven Abwürgen des Ausbaus der Erneuerbaren Energien. Mit purer staatlicher Planwirtschaft werden sie das Bürgerengagement für die Erneuerbaren Energien zum Schutze der Kohlewirtschaft weitgehend zu Nichte machen. Der staatlich verordnete Ausbaudeckel von maximal 60 Prozent Ökostrom bis 2035 bedeutet im Klartext einen jahrzehntelangen staatlich verordneten Schutz der klimaschädlichen Kohleverstromung und fast eine Halbierung der in den Jahren 2011 und 2012 realisierten jährlichen Investitionen in der Ökostrombranche.“

Jeden Sektor der Erneuerbaren Energien sieht Fell von einer Großen Koalition im Stich gelassen. So würden etwa der Biogasbranche, wo die Neuinvestitionen in diesem Jahr bereits fast völlig zum Erliegen gekommen seien, weitere massive Verschlechterungen aufgebürdet. „Neuanlagen sollen sich künftig überwiegend auf die Verwertung von Reststoffen konzentrieren, die aber in Deutschland kaum mehr in nennenswerten wirtschaftlich erschließbaren, großen Mengen zu erhalten sind“, so Fell. Statt die Fehlentwicklungen der Maismonokulturen mit einer Ökologisierung der Anbaufrüchte anzugehen, werde die Nutzung der nachwachsenden Rohstoffe für neue Biogasanlagen gleich ganz verhindert.

ECOreporter.de hat mit Fell ein umfassendes Interview zur deutschen Energiewende durchgeführt. Per Mausklick glangen Sie zu dem Beitrag.
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