Erneuerbare Energie

„Die Kohlesubvention ist immer noch der größte Subventionsposten im Bundeshaushalt“ - Interview mit Hans-Josef Fell

Hans-Josef Fell war bis zur letzten Bundestagswahl viele Jahre lang Sprecher für Energie der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen. Wie bewertet der Autor des Gesetzentwurfes zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aus 2000 die aktuelle Debatte über dessen Reform? Wo müsste der Gesetzgeber  beim EEG ansetzen, um die Haushaltsstrompreise zu senken? Warum ist die Energiewende auch wirtschaftlich sinnvoll? Antworten auf diese und weitere Fragen gibt Fell im ECOreporter.de-Interview.

ECOreporter.de:  Herr Fell, wir sehen die Unwetter-Katastrophen auf den Philippinen und auf Sardinien, gleichzeitig hören wir aus den Koalitionsverhandlungen, was eine eventuelle große Koalition bei der Erneuerbaren Energie alles ändern könnte. Unabhängig von allem politischem Gezerre: Haben die Unwetter überhaupt etwas mit Erneuerbarer Energie zu tun, oder sind das normale Wetterphänomene, die nicht mit einem eventuellen Klimawandel zusammenhängen?

Hans-Josef Fell:  Das Mittelmeer ist wärmer geworden, damit verdunstet mehr Feuchtigkeit und kommt zunehmend als sintflutartiger Regen in Italien runter. Die Südostasiatische Meerregionen haben sich um einige Zehntelgrad höher aufgeheizt und befördern damit häufigere und heftigere Taifune. Wer diese und viele andere klare tatsächliche Entwicklungen der Erderwärmung nicht sehen will oder gar leugnet, handelt völlig unverantwortlich. All diese mit den Statistiken der Münchner Rück klar nachzuweisenden, mit der Welttemperatur steigenden Schadensbilanzen sind heute bei 0,8 Grad Celsius Erderwärmung schon nicht mehr akzeptabel. Was wird auf der Erde wohl los sein, wenn sie sich auf 2 Grad Celsius aufgeheizt haben wird, was viele als nicht mehr verhinderbar ansehen. Wir brauchen eine neue Klimaschutzstrategie, die sich an dem Ziel der globalen Abkühlung orientiert, was auch menschenmöglich ist.

ECOreporter.de:  Gerade die SPD, allen voran die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Kraft, plädiert für das Festhalten an der Kohle als Brennstoff. Das mag klimaschädlich sein - aber ohne Stein- und Braunkohle seien die energieintensiven Arbeitsplätze nicht in Deutschland zu halten, heißt es. Wie sehen Sie das Problem?

Fell:  Gerade hat der Getriebehersteller Jahnel Kestermann in Bochum angekündigt, 102 Arbeitsplätze abzubauen, weil die Windkraftinvestitionen eingebrochen sind. Auch viele energieintensive Unternehmen haben bereits große Absatzmärkte in der Branche der Erneuerbaren Energien, die abgebaut würden, wenn sich die Vorstellungen von Frau Kraft zum Ausbremsen des Ausbaus der Erneuerbaren Energien durchsetzt. In der Solar- und Biogaswirtschaft sind im letzten Jahr bereits 70.000 Jobs verloren gegangen, was Frau Kraft wahrscheinlich noch nicht einmal zur Kenntnis genommen hat. Frau Kraft geht es doch gar nicht um Arbeitsplätze, sondern ausschließlich um den Schutz der klima- und umweltschädlichen Kohlewirtschaft.

ECOreporter.de:  So klimafreundlich Erneuerbare Energie sein mag: Sie treibt auch die Stromkosten der privaten Haushalte in die Höhe, lesen wir tausendfach in den Medien. Ist Erneuerbare Energie ein Luxus, den wir uns noch nicht einmal in unserem Land leisten können - ganz zu schweigen von ärmeren Ländern?

Fell:  Die Stromkosten machen nur etwa ein Viertel der Energiekosten eines privaten Haushaltes aus und die Stromkosten sind seit 1998 nur um 80 Prozent gestiegen, wobei die Heizölpreise um 300 Prozent und die Erdgaspreise um etwa 120 Prozent gestiegen sind. Daran sind die Verknappungen der Rohstoffe auf der Welt die Ursache, die übrigens die fossilen Energiepreise weiter nach oben treiben wird. Auf der anderen Seite sind die Kosten für Erneuerbaren Energien ständig gesunken und werden in den nächsten Jahren weiter sinken, weshalb der Umstieg auf Erneuerbaren Energien die einzige Maßnahme ist, auch künftig unsere Energierechnungen bezahlbar zu halten. Inzwischen zeigt sich der Effekt der preissenkenden Wirkung der Erneuerbaren Energien an den sinkenden Börsenstrompreisen, die dazu geführt haben, dass heute schon die Industriestrompreise in Deutschland  unter die im Atomland  Frankreich gesunken sind. Es ist nicht der Ausbau der Erneuerbaren Energien, der die die Strompreise nach oben treibt, sondern eine unter der letzten großen Koalition geschaffenen Novelle des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG), wonach der Ökostrom nun an der Börse verramscht werden muss und zusätzlich immer weitere Industriezweige, die nicht im internationalen Wettbewerb stehen, von der EEG-Umlage befreit sind. Hier müsste der Gesetzgeber in einer EEG Umlage ansetzen um die Haushaltsstrompreise zu senken und nicht den Ausbau der immer billiger werdenden Erneuerbaren Energien ausbremsen, wie es die neue große Koalition will.   

ECOreporter.de: Wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, dann brauchen wir konventionelle Kraftwerke, sonst geht nicht nur das Licht aus. Diese Schattenkraftwerke zu pflegen, damit sie im Bedarfsfall einsetzbar sind, das kostet Geld. Müssten die großen Stromversorger dafür nicht eine Unterstützung erhalten?

Fell:  Die großen Kohlekraftwerksbetreiber erhalten bereits massive Subventionen. In Deutschland ist die Kohlesubvention immer noch der größte Subventionsposten im Bundeshaushalt. Es kann doch nicht der Ernst einer Gesellschaft sein, die heute schon unter dem Klimawandel massiv leidet, die hohen Subventionen der fossilen Energiewirtschaft (Kohle, Erdöl und Erdgas)  weiter zu erhöhen. Weltweit wird jede Tonne Kohlendioxid Emission mit 100 US Dollar subventioniert. Es wird viel billiger für die Gesellschaft sein, aus einem Mix aus neuen flexiblen schnell schaltbaren Wasser-, Erdwärme- und Bioenergiekraftwerken, zusammen mit einer Flexibilisierung der Stromnachfrage und neuen Speichertechnologien die Angebotsschwankungen von Wind- und Solarstrom auszugleichen. Viele in der Gesellschaft arbeiten und investieren doch bereist daran.

Bildhinweis: Deutsches Braunkohlekraftwerk. / Quelle: Fotolia

ECOreporter.de:  Nun wollen Teile von CDU/CSU und SPD die Einspeisevergütungen für die Windkraft kürzen, liest man. Wird das Ihrer Ansicht nach dazu kommen? Und was wird es bewirken - denn nach den neuesten Studie, etwa von ISE, brauchen Windkraftanlagen an den mittelguten Standorten heute mehr als 9 Cent pro Kilowattstunde, um kostendeckend zu arbeiten. Wird die Vergütung gekürzt, dann wird es neue Windräder allerhöchstens an 1A-Standorten geben können. Ist damit der Ausbau der Windkraft in Bayern und Baden-Württemberg faktisch gestoppt?

Fell:  Ob das so kommen wird, weiß ich nicht. Klar ist nur, dass es die Gegner der Erneuerbaren Energien bereits geschafft haben, den Solarstromausbau zu halbieren und den Biogasausbau fast zum Erliegen zu bringen. Vorschläge dies zu korrigieren gibt nach Vorstellungen von Union und SPD keine.  Deren logischer nächster Schritt ist es nun, den Windkraftausbau massiv auszubremsen. Die im bisherigen Papier der Koalitionsarbeitsgruppe vorgeschlagenen  Maßnahmen wären durchaus geeignet, den Windkraftausbau im Süden faktisch zu beenden. Die Vergütungen sollen nur noch für gute Windstandorte ausreichend sein. Dort gibt es aber vielfach wie in Bayern ein zwar rechtswidriges, aber dennoch wirksames Verbot des Windkraftausbaus in Landschaftsschutzgebieten. In dem Papier der Energie AG hat Ministerpräsident Seehofer gar noch eine Länderöffnungsklausel durchgesetzt. Danach könnte er dann, wie andere Bundesländer auch, die Abstände zur Wohnbebauung selbst festlegen und den Windausbau faktisch zum Erliegen bringen.

ECOreporter.de:  Eine feste Vergütung für jede Kilowattstunde Strom, die ein Erneuerbare-Energie-Kraftwerk ins Netz liefert, ist einer der Bestandteile des deutschen EEG, das Dutzende Länder nachgeahmt haben. Ein weiterer Bestandteil ist, dass die ab dem Start des Kraftwerks gezahlte Einspeisevergütung für 20 Jahre gleich bleibt und gesetzlich garantiert ist. Nicht der Staat zahlt sie, sondern der Stromnetzbetreiber. Nun verhandeln SPD, CDU und CSU über das EEG und wollen eine Reform durchführen. Die Vergütungen sollen sinken. Wird nach Ihrer Einschätzung ein weiterer Pfeiler des Gesetzes ins Wanken geraten: Dass die Stromversorger überhaupt verpflichtet sind, den Strom aus Erneuerbare-Energie-Kraftwerken abzunehmen?

Fell:  Noch ist der Einspeisevorrang sicher und offensichtlich wollen aktuell auch Union und SPD nicht daran rütteln. Wie weit das trägt, weiß ich nicht. Die Forderungen von BDI, DIHK, VIK, der Kohlkraftunternehmen und andere gehen immer weiter. Sie wollen keinen Klimaschutz, sondern nur die kurzfriste Wahrung ihrer Geschäftsinteressen. Insofern: Der Kampf um die  Erneuerbaren Energien ist noch längst nicht mit dieser Koalitionsvereinbarung zu Ende.

ECOreporter.de:  Sie werden einiges über die Pläne der eventuellen Großen Koalition zur Erneuerbaren Energie hören. Welcher Punkt macht Ihnen am meisten Sorgen?

Fell:  Dass es ihnen nur um Ausbaubremsen oder gar Deckelungen der Erneuerbaren Energien geht und nicht mehr um Klimaschutz und Ablösung der immer teurer werdenden Abhängigkeit von fossilen Rohstoffimporten. Mir macht das große Sorgen, weil sie damit die Gesellschaft in immer höher Schadenskosten und Wirtschaftsprobleme treiben. Das Europäische Außenhandelsdefizit von etwa 200 Milliarden Euro hat ja seine Ursache in der stark in den letzten Jahren gestiegenen Rohstoffimportrechnungen von inzwischen 500 Milliarden Euro. Das ist die versteckte Ursache hinter der Euro-Krise, und genau diese kann man nur mit dem Umstieg Europas auf Erneuerbaren Energien lösen.

ECOreporter.de:  Die großen Stromversorger wie RWE, Eon, Vattenfall und EnBW erklären, dass sie wirtschaftliche Probleme haben. Kein Wunder: Eigentlich kann heute jeder Deutsche eigene Kraftwerke betreiben oder sich daran beteiligen. Das mag ökologisch sein, dezentral, bürgernah, auf Dauer sogar billig. Aber kostet es nicht auch Zehntausende Arbeitsplätze bei den Stromriesen?

Fell:  Es war immer die klare Zielvorstellung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien, die fossile Wirtschaft abzulösen. Es ist ein großer Erfolg, dass heute die Kosten der Erneuerbaren Energien so niedrig sind, dass Kohle- und Erdgaskraftwerke damit zunehmend nicht mehr ökonomisch mithalten können. In der Kohlewirtschaft Deutschlands sind gerade mal etwa 40. 000 Menschen beschäftigt. In der Branche der Erneuerbaren Energien aktuell etwa 300.000. Es wäre absurd, die relativ wenigen Jobs der Kohlewirtschaft zu schützen und die vielen Jobs der Erneuerbaren Energien zu opfern. Aber diese Absurdität ist gerade im Gange. Und dies auch nur, weil sich die Manager der konventionellen Energiewirtschaft im letzten Jahrzehnt geweigert haben, den Umbau der Energieversorgung zu einer klimaschützenden und sauberen Energieversorgung mit zu gestalten.

ECOreporter.de:  Herr Fell, wir danken Ihnen für das Gespräch.
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