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„Wir brauchen einen verantwortungsbewussten Umgang mit Mikrofinanz“ – ECOreporter.de-Interview mit Florian Grohs, Oikocredit

Oikocredit gehört zu den mehr als 40 Ausstellern der Messe „Grünes Geld“, die in Hamburg am 26. März 2011 ab 9:30 Uhr im Curio-Haus an der Rothenbaumchaussee statt. Für Besucher ist der Eintritt kostenlos. Auch für das umfangreiche Vortragsprogramm in zwei Sälen ist der Eintritt kostenlos. Mehr Informationen über die Messe erfahren Sie Opens external link in new windowhier.


ECOreporter.de: Was ist das Kerngeschäft von Oikocredit? Was werden Sie auf der Messe Grünes Geld präsentieren?

Florian Grohs: Oikocredit, die Ökumenische Entwicklungsgenossenschaft, bietet Anlegern die Möglichkeit, sozial verantwortlich zu investieren. Mit den Anlagen vergibt Oikocredit weltweit Kredite an benachteiligte Menschen und fördert so ihre wirtschaftliche Eigenständigkeit. Auf der Messe hat der Oikocredit Förderkreis Norddeutschland einen Stand, an dem sich Interessierte über Oikocredit informieren können. Jeder kann die Arbeit von Oikocredit unterstützen, indem er oder sie Mitglied in einem regionalen Oikocredit Förderkreis wird und einen oder mehrere Genossenschaftsanteile erwirbt. Die Mindestinvestition beträgt 200 Euro und die Dividende lag in den letzten zwanzig Jahren fast immer bei 2 Prozent pro Jahr.

ECOreporter.de: Inwiefern engagiert sich Oikocredit im Bereich Mikrofinanz?

Grohs:
Oikocredit finanziert seit über 30 Jahren verschiedenste Mikrofinanzinstitutionen, kurz MFI, und erreicht über ihre Mikrofinanzpartner circa 20 Millionen Menschen. Es ist ein Schwerpunkt unserer Tätigkeit in Entwicklungsländern und 80 Prozent unserer Kredite gehen an Mikrofinanzorganisationen. Mikrofinanz bietet armen Menschen Zugang zu Mikrokrediten, Sparmöglichkeiten oder Mikroversicherungen. Solche Angebote sind ein wichtiger Baustein um Menschen die Chance zu geben, der Armutsfalle zu entkommen.


ECOreporter.de: Was unterscheidet Ihr Beteiligungsangebot von Mikrofinanzfonds? Und wie stehen Sie solchen Fonds generell gegenüber?

Grohs: Zur Zeit finanziert Oikocredit knapp 600 Mikrofinanzorganisationen  (MFI), von denen zwei Drittel Genossenschaften und Nichtregierungsorganisationen sind. Wir verstehen uns als sozialer Investor, der vor allem kleinere und mittlere Mikrofinanzorganisationen unterstützt, und nur zu einem kleinen Teil die Top 200 MFI finanziert. Wir glauben, dass lokale und regionale Organisationen am besten geeignet sind, Mikrounternehmer zu unterstützen. Oikocredit hat 34 Länderbüros in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa, und unsere lokalen Mitarbeiter können dadurch gut unsere Partner betreuen. Andere Fonds leisten auch einen wichtigen Beitrag, finanzieren aber hauptsächlich die Top MFI. Einer der größten Mikrofinanzfonds vergibt einen ähnlich hohen Betrag an Krediten an MFI wie Oikocredit, bedient damit aber wesentlich weniger Institutionen, rund 100 MFI.  


ECOreporter.de: Mikrofinanz-Pionier Muhammad Yunus kämpft derzeit vor Gericht gegen seine Absetzung als Chef der Grameen Bank durch die Zentralbank von Bangladesch. Wie bewerten Sie die Vorgänge um den Friedensnobelpreisträger von 2006?


Grohs: Nach Presseberichten ist die Absetzung von Yunus seitens der Regierung stark politisch motiviert, da er sich in der Vergangenheit auch politisch betätigt hat, was amtierenden Politikern ein Dorn im Auge ist. Daneben hat Yunus mit 70 Jahren die Altersgrenze für Bankvorstände überschritten. Er hat unbeschreiblich viel erreicht, um Mikrofinanz in der Welt als wichtiges Entwicklungsinstrument zu etablieren. Yunus hat sich immer für eine Mikrofinanz eingesetzt, die armen und benachteiligten Menschen hilft, ihre Lebensumstände zu verbessern. Er hat die teilweise zu beobachtende Kommerzialisierung von Mikrofinanz scharf und deutlich kritisiert. Wegen seiner unbestrittenen Verdienste bedauern wir seine unrühmliche Absetzung bei der Grameen Bank sehr.


ECOreporter.de: Oikocredit beteiligt sich an einer Initiative zu Richtlinien für Mikrofinanzinvestoren. Welche Hintergründe und Ziele hat diese Initiative?

Grohs: Ende Januar 2011 unterzeichnete Oikocredit als einer der ersten Investoren in der Entwicklungsfinanzierung die UN-Richtlinien für „Inclusive Finance“ (per Opens external link in new windowMausklick gelangen Sie zu unserem Bericht darüber). Andere Unterzeichner sind zum Beispiel Pensionskassen, die aus ethischen Grundsätzen in Mikrofinanz investieren. Mit der Unterzeichnung dieser Richtlinie verpflichten sich die Investoren zur fairen Behandlung und zum Schutz von Mikrofinanzkunden. Dazu gehört unter anderem, dass Investoren von ihren Mikrofinanzpartnern verlangen, dass diese die sogenannten Kundenschutzrichtlinien einhalten. Diese Prinzipien sind für uns nicht neu, da wir schon seit vielen Jahren verantwortungsvoll, transparent und nachhaltig investieren. Dass nun so viele Investoren diese Richtlinien unterzeichneten, ist sehr erfreulich und zum Teil vielleicht auch eine Reaktion auf die kritischen Berichte in den Medien.


ECOreporter.de: Was können und sollten Privatanleger im Mikrofinanzwesen tun, um positiv auf den Mikrofinanzmarkt einzuwirken? Gibt es Grundregeln, die helfen seriöse von unseriösen Anbietern zu unterscheiden?

Grohs: Privatanleger sollten sich erkundigen, welche Mikrofinanzinvestoren sich den UN-Richtlinien für „Inclusive Finance“ angeschlossen haben. Viele Mikrofinanzfonds arbeiten seriös und setzen sich dafür ein, dass die MFI die Kundenschutzrichtlinien einhalten, mit denen Überschuldung und unethische Methoden der Geldeintreibung verhindert werden. Die Anleger sollen schauen, welche Ziele ein Fonds verfolgt, ob er vor Ort mit lokalen Mitarbeitern vertreten ist, und ob tatsächlich soziale Ziele im Vordergrund stehen.


ECOreporter.de: Hat das rasante Marktwachstum der vergangenen Jahre schwarze Schafe in die Branche gebracht, oder ist das Prinzip Mikrokreditwesen schlechter als es sein Ruf bislang noch ist?

Grohs: Man schätzt, dass weltweit mehr als 120 Millionen Menschen Mikrofinanzdienstleistungen nutzen, dass aber mehr als zwei Milliarden Menschen solche Dienstleistungen gerne nutzen wollen. So tritt die paradoxe Situation auf, dass in einigen wenigen Gebieten – etwa im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh - ein Überangebot an Mikrokrediten herrscht, während es in vielen Ländern, wie dem Kongo oder in den abgelegenen ländlichen Gebieten fast noch kein Mikrofinanzangebot gibt. In Andhra Pradesh gibt es eine starke Konkurrenz der MFI untereinander, aber auch mit den staatlich subventionierten Mikrofinanzsystem. Dies hat zum Überangebot an Mikrokrediten und zu Überschuldung geführt. Diese MFI sind extrem gewachsen, mit dem Ziel, dass das Management und die Investoren durch einen Börsengang Kasse machen und extrem hohe Renditen einstreichen. Bei diesen Organisationen spielen soziale Ziele sicherlich nur eine Nebenrolle.
Mikrofinanz hat meiner Meinung nach seinen guten Ruf verdient. Die Kritik weist richtigerweise auf Schwachpunkte hin, stellt die Situation aber oft sehr pauschal und einseitig dar. Wir brauchen einen verantwortungsbewussten Umgang mit Mikrofinanz, der armen Menschen hilft, ihre Lebensverhältnisse zu verbessern. Daher müssen alle reagieren, die MFI, die staatliche Aufsicht und die Mikrofinanzfonds. Wichtige Schritte werden schon unternommen. So hat der Verband der indischen MFI kürzlich ein Kreditbüro, zu vergleichen mit der deutschen Schufa gegründet, um Überschuldung zu vermeiden.


ECOreporter.de: Kritiker sagen, dass mittlerweile zu viel Kapital über Mikrofinanzfonds in diesen Markt gebracht worden ist. Stattdessen wurde angeregt, Gelder in andere Schwellenländer-Projekte lenken. Was halten Sie von dieser These?

Grohs: Am besten finanzieren sich auch Mikrofinanzinstitutionen hauptsächlich über lokale Sparguthaben und zu einem kleineren Teil über externe Kredite wie von Entwicklungsbanken oder Mikrofinanzfonds. Doch auch in der Zukunft werden viele Mikrofinanzorganisationen mehrjährige Kredite benötigen, da die Menschen in Entwicklungsländern ihre Sparguthaben nur für wenige Monate anlegen. Wenn nun ein Bauer einen Traktor kaufen will, braucht er dafür einen Kredit, den er über drei oder mehr Jahre zurückzahlen kann. So einen Kredit kann ihm die Mikrofinanzorganisation nur geben, wenn sie selbst einen Kredit mit einer Laufzeit von drei bis fünf Jahren bekommen hat. Deshalb haben Mikrofinanzfonds auch in Zukunft eine wichtige Rolle.
Aber wir finden es wichtig, auch Produktionsunternehmen wie Kaffeegenossenschaften oder Molkereien mit Krediten oder Eigenkapitalbeteiligungen zu fördern. Denn gerade Genossenschaften können Kleinbauern helfen, ihre Produkte gemeinsam zu vermarkten um so einen besseren Preis zu erzielen. Auch die Zertifizierung als Fairhandels- oder als Bioproduzent lohnt sich nur, wenn sich die Kleinbauern zu größeren Einheiten zusammenschließen. Heute gehen circa 20 Prozent aller Oikocredit-Kredite nicht an Mikrofinanzorganisationen sondern direkt an Handelsorganisationen oder Produktionsunternehmen in der Landwirtschaft und wir wollen diesen Anteil in Zukunft weiter ausbauen.


ECOreporter.de: Wie sehr haben die Negativmeldungen auf den Mikrofinanzsektors ausgewirkt?

Grohs: Die Negativmeldungen haben das Image des Sektors verändert. Viele Mitglieder unserer Förderkreise sind besorgt und haben uns gefragt, ob Mikrofinanz nun zur Ausbeutung der Armen führt. Doch heute muss man genauer hinschauen. Es gibt weltweit rund 10.000 Mikrofinanzorganisationen, von denen insbesondere Genossenschaften oder Nichtregierungsorganisationen soziale Ziele verfolgen. Allerdings sind  einige darunter auch sehr kommerziell ausgerichtet und  verfolgen das Ziel, für ihre Investoren eine hohe Rendite zu erzielen.
Oikocredit finanziert gerade die MFI, die einen sozialen Auftrag haben und verantwortungsbewusst handeln. Unsere lokalen Mitarbeiter überprüfen, ob die von uns finanzierten MFI normale Wachstumspläne haben und ob die Gewinne und das Bonussystem für die Mitarbeiter im Einklang mit den sozialen Zielen stehen. Um dies zu überprüfen, haben wir eine eigene Abteilung für das soziale Wirkungsmanagement gegründet und in allen Regionalbüros Mitarbeiter geschult, die  unsere Mikrofinanzpartner in der Umsetzung ihrer sozialen Ziele begleiten.


ECOreporter.de: In den vergangenen zehn Jahren ist das Mikrofinanzwesen einer breiteren Masse bekannt geworden. Wie wird sich der Markt in den kommenden zehn Jahren weiterentwickeln und was wird ihn dabei maßgeblich beeinflussen?

Grohs: Mikrofinanz ist und wird auch in Zukunft ein wichtiger Baustein bleiben, das Leben armer Menschen zu verbessern. In den nächsten zehn Jahren werden wir die verschiedensten Formen von Mikrofinanzorganisationen sehen. Unsere Rolle wird es sein, besonders die sozial ausgerichteten kleineren und mittleren Mikrofinanzorganisationen mit finanziellen Ressourcen und mit Beratung auf ihrem Weg zu begleiten. Wir werden auch in Zukunft ein verlässlicher Partner sein und uns für den verantwortungsbewussten Umgang mit Mikrofinanz einsetzen.

ECOreporter.de: Herzlichen Dank für das Interview, Herr Dr. Grohs!

Bildhinweis: Indische Mikrofinanzkundin. / Quelle: Oikocredit
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