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Was bringt ein Blauwal an der Börse? Interview mit oekom-Research-Experte Rolf Häßler zum Thema Artenvielfalt und Finanzwelt

ECOreporter.de: Herr Häßler, Artenvielfalt ist ein Thema für den Naturschutz. Aber es hat immer auch Versuche gegeben, den Artenschutz finanziell zu unterlegen, beispielsweise den Wert einer Libellenart zu berechnen. Selbst wenn man Wert nicht in Geld ausdrückt: Natur ist werthaltig, und wer zum Aussterben von Arten beiträgt, macht die Welt in jeder Hinsicht ärmer. Macht die Ökonomisierung der Artenvielfalt Sinn?
Rolf Häßler: Wir sehen den Versuch, den ökonomischen Wert der Artenvielfalt und der Leistungen der Ökosysteme zu bewerten, durchaus mit zwiespältigen Gefühlen. Auf der einen Seite ist ganz klar, dass Artenvielfalt einen Wert an sich besitzt, der unabhängig von ihrer ökonomischen Bedeutung ist. Auf der anderen Seite hat ja der „Stern Review“ am Bespiel Klimawandel gezeigt, dass große Teile der Wirtschaft und auch der Kapitalmärkte ein Preissignal brauchen, um sich zu engagieren. Hier kann gerade die aktuell laufende Studie von Pavan Sukhdev, der im Auftrag von Bundesregierung und EU-Kommission den ökonomischen Wert von Biodiversität berechnet, wichtige Impulse setzen.


ECOreporter.de: Welche Aktien sollten Anleger nicht kaufen, weil die Unternehmen zum Artensterben beitragen? Können Sie auch ganze Branchen nennen?
Häßler: Viele Branchen haben im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit Auswirkungen auf die Biodiversität, mehr als man vielleicht nach dem ersten Nachdenken aufzählen würde. Zu nennen sind hier beispielsweise die Bauwirtschaft, die Land- und Forstwirtschaft, die Nahrungsmittel- und die Pharmaindustrie, aber auch der Einzelhandel, die Banken und die Versicherungswirtschaft. Die Handlungsmöglichkeiten reichen von der nachhaltigen Bewirtschaftung von Ressourcen (z.B. Wald, Fischbestände) über den Einsatz nachhaltig erzeugter Rohstoffe z. B. im Bau oder in der Produktion von Haushaltsprodukten bis hin zum Klimaschutz, der ein zentraler Beitrag zum Artenschutz ist. So hat das IPCC in seinem jüngsten Bericht den Klimawandel als eine der größten Bedrohungen für die Artenvielfalt bezeichnet. Branchen pauschal auszuschließen halten wir für problematisch. Letztlich hängt es vom jeweiligen Verhalten der Unternehmen ab, wie groß der Beitrag zum Artenschutz oder auch zum Artenschwund ist.


ECOreporter.de: Gibt es Unternehmen, die etwas für die Artenvielfalt tun?
Häßler: Unsere Unternehmensratings zeigen, dass trotz zahlreicher Initiativen viele Unternehmen noch am Beginn einer systematischen Auseinandersetzung mit dem Thema Biodiversität stehen. Vieles ist hier noch anekdotisch und nicht in der Unternehmensstrategie verankert. Trotzdem gibt es positive Beispiele für richtungweisende Maßnahmen in vielen Branchen. So haben sich z. B. in der vom Bundesumweltministerium initiierten Initiative „Business in Good Company“ zahlreiche Unternehmen verpflichtet, Aktivitäten zum Schutz der biologischen Vielfalt in ihrer Unternehmenspolitik einen besonderen Stellenwert zu geben. Zu den Erstunterzeichnern zählen neben Hipp und Weleda auch börsennotierte Unternehmen wie Ricoh, TUI oder Volkswagen.

Uns ist bei unseren Ratings z. B. auch die deutsche STEICO AG positiv aufgefallen. Sie bietet natürliche Baustoffe an und hat die gesamte Palette der Holzfaser-Dämmstoffe nach dem anerkannten Umweltsiegel des Forest Stewardship Council-Standard (FSC) zertifizieren lassen. Das Unternehmen ist außerdem Mitglied der WWF WOOD GROUP. Die Mitglieder der vom WWF unterstützen Gruppe verpflichten sich, gezielt zertifizierte Produkte auf den Markt zu bringen, die den Kriterien des FSC entsprechen. Auch in Branchen, die unter Biodiversitätsgesichtspunkten eher kritisch betrachtet werden, gibt es positive Beispiele. So achtet der australische Energieversorger AGL Energy bei Produktion und Bezug von Biomasse zur Energiegewinnung bewusst auf umweltgerechte Produktionsbedingungen. Material aus Natur- oder Primärwäldern wird nicht verwendet.

Vieles tut sich auch jenseits der börsennotierten Unternehmen, wo innovative kleine und mittelständische Unternehmen, z. B. spezialisierte Reiseveranstalter oder Nahrungsmittelhersteller, zeigen, wie sich unternehmerische Tätigkeit und Artenschutz verbinden lassen.


ECOreporter.de: Wie steht es um die Informationen der Unternehmen zum Artenschutz?
Häßler: Die Beschaffung der entsprechenden Informationen ist eine echte Herausforderung, da eine umfassende und vergleichbare Berichterstattung selbst zu den bereits bestehenden Aktivitäten bisher nicht stattfindet. Hier würde sich die Situation deutlich verbessern, wenn es nach dem Vorbild des Carbon Disclosure Project etwa ein Biodiversity Disclosure Project gäbe.

ECOreporter.de: Unternehmen, die natürliche Rohstoffe nutzen, nicht auf Rohstoffe setzen, die in Monokulturen wachsen, nicht zur Überfischung der Meere beitragen: Die reduzieren die Artenvielfalt nicht. Gibt es aber auch Firmen, die direkt, etwa durch Aufforstungen, zur Artenvielfalt beitragen?
Häßler: Ich würde die Initiativen, die sich für den Erhalt der Artenvielfalt einsetzen, nicht unterbewerten. FSC und MSC als prominente Beispiele haben nach unserer Einschätzung über die beiden betroffenen Bereiche Forst und Fischfang hinaus Signalwirkung. Gleiches gilt für Standards im ökologischen Landbau.

Im Hinblick auf die aktive Förderung der Artenvielfalt muss man unseres Erachtens verschiedene Ebenen unterschieden. Zum einen gibt es zahlreiche Unternehmensstiftungen, etwa die Allianz Umweltstiftung, die sich in entsprechenden Projekten engagiert. Zum anderen – hier denke ich beispielsweise an das Krombacher Regenwald-Projekt – wird der Artenschutz als Marketing- und Kommunikationsthema genutzt.

Dem Artenschutz ist aber vor allem dann gedient, wenn er im Kerngeschäft der Unternehmen berücksichtigt wird. Wenn Papierkonzerne darauf achten, kein Holz aus illegalem Holzeinschlag zu kaufen bzw. Forstflächen von konventioneller auf nachhaltige Bewirtschaftung umstellen oder wenn Bergbauunternehmen umfassende Maßnahmen zur Renaturierung von Tagebauflächen durchführen, hat dies positive Auswirkungen auf die Artenvielfalt.


ECOreporter.de: Als größter Artenvernichter gilt immer noch die konventionelle Landwirtschaft. Sollte man diese Branche und ihre Zulieferer komplett  als Investment für nachhaltige Finanzprodukte streichen?
Häßler: Die Landwirtschaft steht gerade stark im Fokus der Öffentlichkeit. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ja aktuell bei ihrem Besuch in Brasilien darauf gedrängt, bei der Gewinnung von Biomasse für die Herstellung von Agrarkraftstoffen auf soziale und ökologische Standards zu achten. Gleiches muss auch für die Erzeugung von Nahrungsmitteln und anderen pflanzlichen und tierischen Rohstoffen, etwa Palmöl, gelten. Auch hier sehen wir einige Ansätze, etwa den Roundtable on Sustainable Palm Oil. Eine systematische Auseinandersetzung mit dem Thema in den Unternehmen steht aber noch aus.

Landwirtschaft ist immer mit einem Flächenverbrauch verbunden, angesichts der prognostizierten Bevölkerungsentwicklung wird der Bedarf sogar noch steigen. Dabei sind auch in dieser Branche Unterschiede zwischen den Unternehmen erkennbar, etwa was das Wassermanagement oder den Einsatz von Pestiziden angeht. Auch hier plädieren wir dafür, gezielt die Vorreiterunternehmen für ein Investment auszuwählen und nicht die ganze Branchen auszuschließen.


ECOreporter.de: Länder wie Norwegen und Japan tragen durch die Erlaubnis zum Walfang direkt zum Aussterben dieser Säugetiere bei. Verbietet sich daher der Kauf von Anleihen dieser Nationen für nachhaltige Renten- oder Mischfonds?
Häßler: Norwegen belegt in unserem Länderrating, bei dem eine große Bandbreite von sozialen und ökologischen Themen berücksichtigt werden, regelmäßig vordere Plätze und kann vor allem durch die geringe Arbeitslosigkeit, hohe Ausgaben für Bildung und einen Energiemix mit einem hohen Anteil erneuerbarer Energien punkten. Japan erreicht hier einen Platz im vorderen Mittelfeld. Die Entscheidung, ob man wegen des Walfangs auf ein Investment in Staatsanleihen verzichtet, ist eine Abwägungsfrage. Hier muss jeder Anleger selbst entscheiden, welche Kriterien ihm wichtig sind.

ECOreporter.de: Herr Häßler, wir danken Ihnen für das Gespräch.


Bild: Rolf Häßler / Quelle: Unternehmen
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