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„Viele nachhaltige Fonds auf dem deutschen Markt sind zu weich und zu hellgrün“ – Interview mit Silke Stremlau, imug

Wie kommen Nachhaltigkeitsratings zustande? Wer kontrolliert die Qualität dieser Analysen? Was können diese überhaupt leisten, und warum tut sich bei so vielen Großkonzernen in Sachen Nachhaltigkeit so wenig? Diese und weitere Fragen ruft eine Studie des Südwind-Instituts hervor (wir  berichteten  darüber). Antworten darauf gibt Silke Stremlau vom imug aus Hannover. Die imug Beratungsgesellschaft für sozial-ökologische Innovationen mbH (imug) ist auf Nachhaltigkeitsratings spezialisiert.

ECOreporter: Welche Informationen verwendet das imug für Ihre Nachhaltigkeitsanalysen? Inwiefern ist ein Nachhaltigkeitsrating mehr als Datensammeln?

Silke Stremlau:  Wir verwenden für unsere Ratings eine Mischung zwischen externen Informationen und Informationen direkt vom Unternehmen. Dabei bekommt ein Unternehmen die Bestbewertung, wenn es nicht nur eigene Angaben sind, sondern die Daten von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer gegengeprüft worden sind. Dieser prüft nämlich auch die Prozesse und fährt zu verschiedenen Standorten. Bei externen Quellen nutzen wir eine Vielzahl an NGO-Berichten (NGO = Nicht-Regierungsorganisation - die Red.), Medienanalysen, aber z.B. im Falle von Rüstungsgeschäften auch spezialisierte Datenbanken und Informationen von Regierungen. Im Bereich von Verletzungen von Arbeitsrechten oder  bei kontroversen Geschäftsaktivitäten von Banken arbeiten wir ausschließlich mit NGOs zusammen, da die Unternehmen selten von alleine auf kritische Investments hinweisen.
Eine genaue Überprüfung vor Ort ist uns aus verschiedenen Gründen nicht möglich: So hat ein Großkonzern eine Vielzahl von Standorten und weitere 15.000 Zulieferer im Fall von adidas beispielsweise. Wie sollen wir für 100 bis 1.500 Euro, die wir für ein Rating bekommen, diesen Aufwand betreiben und Besuche durchführen?
Unser Ansatz ist vielmehr zu prüfen, ob das Unternehmen transparent über Standards in der Lieferantenkette berichtet und auch darlegt, wo es noch nicht gut ist. Eine Transparenz über noch nicht Erreichtes schafft mehr Glaubwürdigkeit als wenn wir in zwei Hochglanzbetriebe geführt werden, in denen alles gut läuft.
Und da setzt unsere Arbeit als kritische Analysten an: ESG-Daten (ESG = ökologische, soziale und Aspekte der Corporate Governance, also der Unternehmensführung - die Red.) sammeln, kann (fast) jeder. Sie kritisch bewerten, hinterfragen, auf Validität prüfen, sie mit anderen Unternehmen ins Verhältnis setzen und im Hinblick auf eine hoch gehängte Messlatte zu überprüfen, das zeichnet unsere Arbeit im imug aus.

ECOreporter: Wie aussagekräftig können Nachhaltigkeitsanalysen sein? Und warum kommen die Analysen verschiedener Nachhaltigkeitsratingagenturen mitunter zu unterschiedlichen Ergebnissen, obwohl doch die gleichen Unternehmen bewertet werden?

Stremlau:  Meines Erachtens fallen die Bewertungen, wenn sie denn auf der Basis gleicher Kriterien durchgeführt werden, nicht wirklich großartig auseinander. Da sind sich oekom, imug und Sustainalytics oftmals einig, wer z.B. die Leader in einer Branche sind. Wenn aber allerdings Fonds mit unterschiedlichen Konzepten und Auswahlkriterien miteinander verglichen werden, kommen natürlich auch unterschiedliche Unternehmensbewertungen zustande. Meines Erachtens sind unsere Nachhaltigkeitsratings heute schon aussagekräftiger als vor 15 Jahren, als ich mit dem Rating begonnen habe. Wir erfassen bessere Kriterien, stellen kritischere Fragen - aber da ist noch Luft nach oben. Deswegen haben wir etwa u.a. mit dem Südwind-Institut einen Forschungsantrag beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingereicht, zum Thema: Nachhaltigkeitsrating 2.0. - wie können wir die Leistungen von Unternehmen besser und passgenauer messen. Wir hoffen jetzt auf einen positiven Bescheid im Frühjahr.

ECOreporter: Inwiefern unterscheiden sich Nachhaltigkeitsanalysen, die für das Investment nach dem Best-in-class-Ansatz genutzt werden, von denen für das Investment nach Ausschlusskriterien?

Stremlau:  Es sind zwei komplett unterschiedliche Ansätze, die man meines Erachtens mischen sollte, gerade für Investoren mit einem klaren ethischen Anspruch. Dieser setzt sich dann zumeist im Ausschluss bestimmter „unethischer“ Branchen durch. Das restliche Anlageuniversum sollte dann dahingehend geprüft werden, ob Nachhaltigkeitsstandards hervorragend umgesetzt werden (mehr zum Best-in-class-Ansatz erfahren Sie auf unserer  Sonderseite (Link entfernt)  in der Rubrik GUT ERKLÄRT - die Red.).

ECOreporter: Barbara Happe von der NGO 'urgewald' hat bei einer Diskussion über die Südwind-Studie erklärt, dass die Ergebnisse von Nachhaltigkeitsratingagenturen zum Teil die Arbeit von NGO‘s "konterkarieren" würden und machte dies am Beispiel der Deutschen Bank fest, die in einigen Nachhaltigkeitsanalysen gut abgeschnitten hat. Was sagen Sie dazu?

Stremlau:  Wir arbeiten gerade in unserem Bankenrating sehr eng mit NGO’s zusammen und haben z.B. mit Frau Dr. Happe einen guten Dialog. Sie hat uns kritisches Feedback zu unseren Kriterien gegeben, das wir umgesetzt haben und begleitet auch die Entwicklung eines neuen Kriteriums zur Klimaintensität von Finanzierungen. Oder ein anderes Beispiel: vor zwei Jahren haben wir als erste Ratingagentur das Thema „Steueroasen“ und die Aktivitäten von Banken bei Steuervermeidungspraktiken auf die Agenda gehoben und bei der Kriterienentwicklung sehr eng mit Herrn Mainzer von Tax Justice Network zusammengearbeitet. Wir empfinden die Zusammenarbeit mit NGOs als sehr bereichernd und haben eigentlich den Eindruck, am gleichen Strang zu ziehen.

ECOreporter: Die Studie des Südwind-Instituts stellt fest, dass die befragten Unternehmen große Qualitätsunterschiede bei den Fragen der Nachhaltigkeitsratingagenturen sehen und auch die abschließende Bewertung des Öfteren nicht nachvollziehen können. Inwiefern tauschen Sie sich mit den Unternehmen über die Analysen und ihr Zustandekommen aus?

Stremlau:  Wir haben bei unseren Ratings, die wir zusammen mit EIRIS durchführen, einen extrem hohen Anspruch an die Nachvollziehbarkeit des Ratings und die Transparenz. Jedes Unternehmen bekommt den ausführlichen Ratingreport mit 25 bis 50 Seiten zugeschickt und hat die Möglichkeit, zu kommentieren und zu ergänzen. Außerdem weisen wir immer die Bewertung in jedem Einzelkriterium aus und listen genau auf, welche Punkte bis zur nächstbesten Bewertung fehlen.
Dass manche Fragen vielleicht zu neu für Unternehmen sind, haben wir auch schon erlebt. Z.B. bei unserem Research für den FairWorldFonds konfrontieren wir Unternehmen mit Fragen, die ihnen noch nie jemand gestellt hat, z.B. zu Re-Investments in Entwicklungs- und Schwellenländern. Aber genau darin sehen wir auch unsere Funktion: Agendasetting betreiben und Unternehmen auf dem Weg Richtung Nachhaltigkeit immer wieder pushen.

ECOreporter: Gibt es Qualitätsstandards für Nachhaltigkeitsratings und werden diese in der Branche auch erfüllt? Wie werden Ihre Standards überprüft?

Stremlau:  Imug und EIRIS haben zusammen mit anderen unabhängigen Ratingagenturen ARISTA gegründet und entwickelt, ein Qualitätsstandard für unabhängiges Nachhaltigkeitsresearch. Seit nun mehr sechs Jahren werden wir jedes Jahr von einem unabhängigen Auditor auf Herz und Nieren geprüft, z.B. ob wir Stakeholder bei der Entwicklung von Kriterien einbeziehen, wie unsere Analysten geschult werden, ob unsere Ratings wirklich unabhängig sind usw.
Meines Erachtens ein sehr wertvoller Prozess, durch den unsere Ratings wirklich besser geworden sind.

ECOreporter: Warum benötigt der Markt des Nachhaltigen Investments verschiedene Nachhaltigkeitsratingagenturen? Wäre es sich nicht sinnvoller und effizienter, wenn Unternehmen bei den Anfragen von Nachhaltigkeitsratingagenturen einen einheitlichen Fragebogen beantworten müssten und die Ratings somit vergleichbarer und damit vielleicht auch wirkungsmächtiger wären?

Stremlau:  Ich kann den Wunsch der Unternehmen nach Vereinheitlichung und Effizienz durchaus nachvollziehen. Aber ich möchte an dieser Stelle betonen, dass wir die Ratings ja nicht für uns machen, sondern dahinter klare Investoreninteressen stehen. Und diese sind nun einmal heterogen. Ein Erzbistum hat andere Erwartungen an ein nachhaltiges Unternehmen als eine Stiftung im Umweltbereich und wiederum andere als eine Pensionskasse. Diesen unterschiedlichen Interessen versuchen wir gerecht zu werden. Wir fungieren letztlich nur als Schnittstelle zwischen den Unternehmen und den Investoren. Wir sind Sprachrohr und Verdichter von Ansprüchen!

ECOreporter: Inwiefern wollen und inwiefern können Nachhaltigkeitsratingagenturen bei den Unternehmen bewirken, dass diese Ihre Nachhaltigkeit verbessern? Oder sehen Sie sich eher als neutralen Beobachter, der es seinen Kunden - den nachhaltigen Investoren - überlässt, Veränderungen anzuschieben?

Stremlau:  Aufgrund meiner vierzehnjährigen Erfahrung in diesem Bereich und einer Vielzahl an Gesprächen mit Unternehmen bin ich davon überzeugt, dass Nachhaltigkeitsratings etwas in Unternehmen bewirkt haben und bewirken. Bei vielen ist das Thema auf Vorstandsebene angekommen, die Vergütung wird an die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen gekoppelt, die Datenlage über ESG-Aspekte hat sich extrem verbessert und unsere Expertise bei der Weiterentwicklung von Managementsystemen ist gefragt. Aber das muss an dieser Stelle auch gesagt sein: wir sind nur ein Teil des Systems, das Unternehmen beeinflusst. Es ist ein Zusammenspiel zwischen ordnungspolitischen Vorgaben, gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern, zwischen öffentlichem Druck von NGO’s und Presse, Druck von Kunden, Mitarbeitern und Investoren und auch von Ratingagenturen. Aber unsere Rolle würde völlig überschätzt, wenn uns alleine nur Einfluss zugeschrieben würde.

ECOreporter: Die Südwind-Studie legt nahe, dass Unternehmen die Wirkung von Nachhaltigkeitsratings als gering einschätzen. Wie sehen Sie das und stellt das nicht den Sinn von nachhaltigem Investment in Frage?

Stremlau: Ich fände das einen fatalen Schluss. Meine Wahrnehmung von vielen Unternehmen ist anders. Die schauen zum Teil sehr auf Ratingurteile und fragen sehr genau nach, wo unserer Meinung nach ihre Schwächen sind. Gleichwohl müssen wir uns nichts vormachen: wir nerven Unternehmen, machen Arbeit und sind anstrengend, weil dahinter Investoren mit Finanzentscheidungen stehen. Dass sich manche da wünschen, uns gäbe es nicht bzw. nur einen Fragebogen, der alle selig macht, kann ich nachvollziehen. Aber wie oben gesagt: es ist ein multifaktorielles Bedingungsgefüge, das auf die Unternehmen einwirkt. Und in mancher Branche sind es mehr die Konsumenten, in einer anderen die Stakeholder vor Ort, und in mancher sicherlich auch die Nachhaltigkeitsratingagenturen.

ECOreporter: Inwiefern sind die Ergebnisse Ihrer Nachhaltigkeitsanalysen öffentlich zugänglich? Wären diese nicht wirkungsmächtiger, wenn wenigstens die Gesamtnoten publik würden?

Stremlau:  Einige unserer Kunden veröffentlichen unsere Ratings, weil sie dies auch als Druckmittel sehen. Und auch einige Unternehmen publizieren sie die Ergebnisse. Aber da wir an dieser Stelle Dienstleister sind, haben wir hier nur einen bedingten Einfluss.

ECOreporter: Unterm Strich stellt die Studie des Südwind-Instituts fest, dass Nachhaltigkeitsanalysen und die Titelauswahl auf deren Basis Unternehmen nicht zu mehr Nachhaltigkeit bewegen - sofern dies nicht durch Engagement ergänzt wird. Was halten Sie von dieser These?

Stremlau:  Meine Erfahrung sieht anders aus. In den letzten Jahren hat sich in Unternehmen viel bewegt. Das Thema wird ernsthafter betrieben, und nicht nur aus Marketinggründen. Allerdings ist hier noch Luft nach oben. Und auch die Wissenschaft ist weiter gefordert, den Nachweis zu erbringen, ob sich die Nachhaltigkeitsleistungen der Unternehmen wirklich verbessert haben. Schließlich hat sich an unseren globalen Problemen wie Klimawandel, Umgang mit Wasser, Armut, Einhaltung von Arbeitsrechten noch nicht wirklich etwas getan. Aber durch Nachhaltigkeitsanalysen ist das Thema mittlerweile in mehr Köpfe vorgedrungen. Und ich bin sicher, dass wir hier noch eine steile Entwicklung erleben. Aber wenn man beispielsweise in Deutschland sieht, dass nur drei Prozent aller Investments an Nachhaltigkeitskriterien ausgerichtet sind, kann man auch nicht wirklich den großen Umschwung Richtung Green Economy erwarten. Meiner Meinung nach müssen noch viel mehr Investoren dazu bewegt werden, nachhaltig anzulegen - und dies auch in einem strengen oder „dunkelgrünen“ Sinne. Mir sind viele Fonds auf dem deutschen Markt zu weich und zu hellgrün, mit zu wenig Lenkungswirkung, weil viele Fondsmanager eine zu starke Beschneidung ihres Portfolios fürchten. Somit versuche ich im Gespräch mit Kunden sie auch dazu bewegen, konsequentere Ansätze zu fahren.

ECOreporter: Wo sehen Sie Nachholbedarf bei sich und bei anderen Akteuren im Bereich des nachhaltigen Investments, um mehr Nachhaltigkeit bei Unternehmen zu erreichen?

Stremlau:  Wir bewegen vor allem etwas durch die öffentliche Debatte und die öffentliche Aufmerksamkeit für diese Themen; die ist nämlich weitaus größer als die drei Prozent Anlagevolumen. Und Nachholbedarf gibt es an verschiedenen Stellen, z.B. an der Materialität der Kriterien, an der Transparenz gegenüber den Unternehmen und an der stärkeren Einbeziehung unternehmensunabhängiger Informationen. Dies sind u.a. die Gründe, warum sich imug zu der Einreichung des Forschungsantrages „Nachhaltigkeitsrating 2.0“ entschieden hat. Wir stehen da in der Szene erst am Anfang, und es müssen noch einige Hausaufgaben gemacht werden.

ECOreporter: Frau Stremlau, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Wir haben auch mit Rolf Häßler von der oekom research AG über die Ergebnisse der Südwind-Studie und den Nutzen von Nachhaltigkeitsratings gesprochen. Morgen veröffentlichen wir das Interview mit ihm.
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