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„Viele Kunden von Banken und Versicherungen finanzieren unwissentlich Atomkraft und Rüstung“ - Andrea Soth, Urgewald

Urgewald aus Sassenberg ist ein Verein, der sich für Menschenrechte, Umwelt-, Klima-, und Verbraucherschutz einsetzt. In diesem Zusammenhang beschäftigt sich Urgewald auch mit dem Finanzsektor und betreibt unter anderem Studien zu Großbanken und Versicherungen. Im ECOreporter.de-Interview erläutert die kaufmännische Geschäftsführerin Andrea Soth, was konventionelle Banken aus Nachhaltigkeitssicht problematisch macht und welche Alternativen  Anlegern bleiben, um mit ihren Investments sozial, ethisch und ökologisch Gutes zu bewirken.

Urgewald ist einer der zahlreichen Aussteller der Messe Grünes Geld Stuttgart am 12. Oktober 2013 im Haus der Wirtschaft. Finanzprofis wie Privatanleger können sich dort über aktuelle Trends,  Entwicklungen und Angebote am Markt für nachhaltige Geldanlagen im  deutschsprachigen Euroraum informieren. Abgerundet wird die Messe durch ein umfangreiches Vortragsprogramm rund um ethisch und ökologisch einwandfreie Beteiligungsangebote und eine prominent besetzte Podiumsdiskussion zum Thema Energiewende. Für kleine Besucher ab fünf Jahren gibt es außerdem ein Kinderprogramm. Der Eintritt für Besucher ist frei (hier erfahren Sie mehr zu der Veranstaltung).

ECOreporter.de:  Inwiefern können Finanzdienstleister wie Banken und Versicherungen aus ethisch-ökologischer Sicht problematisch sein?

Andrea Soth: Durch ihr Kerngeschäft: Geld einsammeln und wieder weggeben. Die Guthaben von Giro-, Festgeld- und Tagesgeldkonten sowie Milliarden von Versicherungsbeiträgen landen in der „Black Box der Finanzindustrie“. So finanzieren Bankkunden - ohne es zu wissen - etwa eine Kohlemine in Indien, sind an einem Atomkraftwerk beteiligt oder erwirtschaften ihre Rente mit der Beteiligung an Rüstungskonzernen. Banken sind die wichtigsten Kapitalgeber der Wirtschaft und auch Versicherungen müssen ihr Geld gewinnbringend anlegen. Dabei richten sie weltweit oft große Schäden an.

ECOreporter.de Urgewald hat in zwei Untersuchungen in 2012 und 2013 Banken angeprangert, die über lange Zeit intensiv als Finanzierer von Atomkraft und von Klimakillern wie Kohle aktiv waren. Welche deutschen Finanzdienstleister sind Ihnen dabei besonders negativ aufgefallen?
Soth: Besonders negativ fällt die Deutsche Bank auf, was einerseits mit ihrer Größe in allen Geschäftsbereichen zu tun hat, aber auch mit ihrer Unternehmenspraxis. Zum Beispiel war die Deutsche Bank über Jahre ein wichtiger Geldgeber von Tepco, dem Betreiber der Atomkraftwerke in Fukushima. Die Bank wusste, dass Tepco Sicherheitsberichte fälschte und lax mit den Vorschriften umging. Wir haben das lange vor dem Unglück von Fukushima kritisiert. Das hat die Bank nicht davon abgehalten, mit Tepco weiter Geschäfte zu machen. Die Folgen sind bekannt.
Unserer Meinung nach tragen die Geldinstitute immer eine Mitverantwortung. Mit ihren Investitions- und Kreditentscheidungen stehen oder fallen Vorhaben. Ein Beispiel ist das AKW-Vorhaben „Belene“ in Bulgarien: Auch die Deutsche Bank wollte das Atomkraftwerk in einem bulgarischen Erdbebengebiet finanzieren. Gute Argumente und Massenproteste haben die Bank und in der Folge ein Dutzend internationale Finanzierer der Reihe nach abspringen lassen, zu groß wurde das Reputationsrisiko. Das AKW konnte mangels Finanzierung bis heute nicht gebaut werden. Die Deutsche Bank hatte sogar für Atomfans extra Fonds aufgelegt, die Kunden sollten „unbegrenzt am Kernenergieboom partizipieren“. Diese Fonds hat sie inzwischen wieder eingestellt.
Beim Thema Kohle ist die Deutsche Bank ebenfalls weit vorn. In unserer Studie „Ist meine Bank ein Klimakiller?“ wurden Finanzdienstleistungen von 11,5 Milliarden Euro nachgewiesen: Unterstützt wurden Kohle- und Bergbauunternehmen wie Xstrata, die chinesische Shenua Gruppe, E.on, oder Coal India. Letztere rodet für den Kohleabbau riesige Waldgebiete, verwandelt das Land in ein giftiges Inferno und betreibt 200 Kohleminen ohne Umwelterlaubnis.

Bildnachweis: Andrea Soth ist 49 Jahre alt, verheiratet und Mutter einer erwachsenen Tochter. Bei Urgewald ist sie in der kaufmännischen Geschäftsführung tätig und für die Öffentlichkeitsarbeit und das Fundrasing zuständig.

ECOreporter.de:  Gibt es weitere Banken, die Sie kritisch sehen?

Soth: Die Commerzbank, UnicreditGroup und ihre deutsche Tochter HypoVereinsbank, aber auch öffentliche Landesbanken stellen – in unterschiedlichem Ausmaß – immer wieder Kapital für Umweltsünder oder Menschenrechtsverletzer zur Verfügung.

ECOreporter.de: Inwiefern haben sich diese Atomkraft- und Klimawandel-Finanzierer seither gebessert?

Soth: In einigen Bereichen können wir Erfolge verbuchen. Aktuell finanzieren einzelne Banken wie die Commerzbank oder die Bayerische Landesbank keine Neubauten von Atomkraftwerken mehr. Und aus vielen Fondprodukten und dem Anlageuniversum zahlreicher Banken sind die Hersteller von Streubomben verschwunden. Doch Streubomben und Atomkraftwerke sind nur die Spitze des Eisbergs. Es bleibt noch viel zu tun.

ECOreporter.de: Was konkret tut Urgewald, um Banken und Versicherungen von ethisch-ökologisch problematischen Finanzierungen abzubringen und wo sehen sie weiter besonderen Verbesserungsbedarf?
Soth: Wir sind mit Banken und großen Versicherern im Gespräch und machen mit unseren Kampagnen Druck, damit sie Richtlinien und Mindeststandards definieren und in der Praxis umsetzen. Wir arbeiten beispielsweise darauf hin, dass die schlimmsten Konzerne und besonders umweltschädliche Methoden beim Rohstoffabbau wie das Sprengen von Bergkuppen für den Kohleabbau (Mountain Top Removal) ausgeschlossen werden.

ECOreporter.de: Wird es mit der Zeit schwerer für Sie beispielsweise bei der Deutschen Bank zu recherchieren oder entgegnen Unternehmen ihrem Engagement mit „sportlichem Ehrgeiz“?

Soth: Leider wird es nicht schwerer, neue problematische Finanzierungen zu finden, in denen die Deutsche Bank verstrickt ist. Sie ist ein wirklicher „Global Player“ – die größten Umweltsünder und Menschenrechtsverletzer gehören zu ihrem Kundenstamm. Nicht ihre Vergabekriterien haben sich in den letzten Jahren – mit teilweiser Ausnahme beim Thema Streumunition – geändert, wohl aber der Umgang mit Kritik. Es wird noch mehr Energie in die Präsentation eines Saubermann-Images und der Produktion von Hochglanzbroschüren gesteckt – striktere Vergaberichtlinien und umfassendere Prüfverfahren sucht man jedoch weiterhin vergebens.

ECOreporter.de: Die Aktien von Banken und Versicherungen sind beliebte Investitionsobjekte nachhaltiger Investmentfonds. Inwiefern sehen Sie solche Investments vor dem Hintergrund Ihrer Untersuchungen zu Atomkraft und Klimawandel kritisch?

Soth: Wir kritisieren die oft zu positive Bewertung der Ratings von Banken und Versicherungen. Das ist Augenwischerei.  Grundlage für  Nachhaltigkeitsratings von Unternehmen sind unter anderem die Nachhaltigkeitsberichte der Konzerne. Hier präsentieren sie ihre Maßnahmen: Mitarbeiter fahren Bahn, Rad oder Elektroautos, es gibt regionales Bio-Essen in der Kantine, Energiesparmaßnahmen werden durchgeführt und die CO2-Vermeidung je Mitarbeiter wird akribisch gemessen. Ohne dieses Engagement schmälern zu wollen, kann es doch nicht sein, dass das eigentliche Kerngeschäft bei der Nachhaltigkeitsbewertung so wenig ins Gewicht fällt, dass die Umweltsünder und Menschenrechtsverletzer trotzdem als investierbar gelten.
Das Rating sähe völlig anders aus, würde man die Nachhaltigkeit je investierter Milliarde messen! Bei der Bewertung der Nachhaltigkeit einer Bank oder Versicherung sollte ihr größter Hebel, nämlich die Wirkung des Kapitals, eine tragende Rolle spielen. Es ist ein Riesenunterschied, ob Milliarden in umweltfreundliche Technologien investiert werden, oder ob das Geld der Kunden Atomkonzerne, Bergbau- oder Rüstungsunternehmen finanziert. Bei einem Investmentfonds, der solche Banken oder Versicherer enthält, verlassen sich einzelne Anleger womöglich auf die Angaben zum Nachhaltigkeitsrating und meinen, ihr Investment richte keinen Schaden an. Leider kann genau das Gegenteil der Fall sein.

ECOreporter.de: Welche Alternativen haben Menschen, die in Finanzfragen echte Nachhaltigkeit anstreben?

Soth: Schon mit der Wahl meiner Bank und dem Berater oder der Beraterin treffe ich eine wichtige Entscheidung. Die Mitarbeiter der großen Geschäftsbanken und klassische Anlageberater sind in Sachen Nachhaltigkeit meist nicht geschult; also kann ich hier auch keine „echte Nachhaltigkeit“ erwarten.  
Die Alternativbanken bieten vom Girokonto bis hin zur Geldanlage alles an, ihr Geschäftsmodell basiert auf Nachhaltigkeit, das ist eine völlig andere Grundlage. Bei größeren Vermögen sollte man Berater hinzuziehen, die sich in nachhaltigen Anlagen nachweislich auskennen. Anleger sollten sich außerdem ihre bestehenden kapitalbildenden (Renten-) Versicherungen genauer anschauen. Besonders bei den fondsgebundenen Produkten werden mit den Beiträgen oft über Jahrzehnte Wirtschaftsbereiche unterstützt, die der eigenen Überzeugung gegenüberstehen: Investitionen in die Waffenindustrie, Gentechnik oder in Firmen, die Menschenrechte missachten. Ein Wechsel oder die Beendigung solcher Verträge sind zwar meistens mit Verlust verbunden; bei Neuverträgen kann man  aber auf jeden Fall nachhaltige Alternativen wählen.
Dann wäre zu überlegen: „Wie kann ich mein Geld möglichst „nah“ investieren? Also beispielsweise in Wärmedämmung oder in eine Photovoltaikanlage. Gibt es in meiner Region Projekte, an denen ich mich beteiligen möchte? Zurzeit ist viel in Bewegung: Überall formieren sich  Bürgergenossenschaften, die das regionale Stromnetz übernehmen oder Windräder bauen. Hier sieht man, wo das Geld arbeitet. Es stärkt die Wirtschaft in der Region und ist eine echte Alternative zum globalisierten Kapital.

ECOreporter.de: Was werden Sie auf der Messe Grünes Geld in Stuttgart präsentieren und mit welcher Erwartung kommen Sie zu der Veranstaltung?

Soth: Messebesucher, die wissen möchten, ob die eigene Bank ein Klimakiller oder Atomfinanzierer ist, können das bei uns erfahren. Wir möchten möglichst viele Menschen motivieren, sich über die Wirkung des eigenen Geldes Gedanken zu machen, es als Hebel für Veränderung zu sehen. Die Besucher von Grünes Geld sind ja bereits auf dem richtigen Weg, wir können sie bestärken. Im Vortragsprogramm präsentieren wir Kampagnenbeispiele die zeigen, wie wir als kleine Organisation sehr wirkungsvoll und schlagkräftig arbeiten. Als unabhängige Nichtregierungsorganisation müssen wir unsere Arbeit auch durch Spenden finanzieren. Zurzeit unterstützen uns etwa 1.000 Menschen regelmäßig. Wir freuen uns darauf, neue Menschen kennen zu lernen und sie dafür zu begeistern, sich mit uns gemeinsam zu engagieren.
ECOreporter.de: Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Soth!
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