Fonds / ETF

„Verbraucherschutz und ökologische Fragen spielen bei der Mikrofinanz eine immer bedeutendere Rolle“ - ECOreporter.de-Interview mit Michael P. Sommer, Bank im Bistum Essen

Mikrofinanzfonds stellen Mikrofinanzinstituten (MFI) in armen Weltregionen Mittel für die Vergabe von Kleinkrediten zur Verfügung. Was bringen Mikrokredite? Was ist daran nachhaltig? Über diese und weitere Fragen sprachen wir im ECOreporter.de-Interview mit Michael P. Sommer, Direktor der Bank im Bistum Essen eG. Für sie hat der ehemalige stellvertretende Geschäftsführer der bischöflichen Aktion Adveniat den Mikrofinanz-Bereich aufgebaut. Die Kirchenbank vergibt Kredite direkt an Mikrofinanz-Institutionen, sie hat Mikrofinanzfonds initiiert und auch ein Mikrofinanzsparbuch aufgelegt.

ECOreporter: Mikrokredite sollen eigentlich den Armen helfen, damit sie eigenständig ihren Lebensunterhalt verdienen. Oder sollen sie zuallererst gute Renditen für Investoren erbringen und sind damit ein Mittel, um sogar denen, die bisher gar kein Geld haben, hohe Zinsen abzuknöpfen?

Michael Sommer: Mikrofinanzen – und damit auch Mikrokredite – sind erfolgreich, wenn der betriebswirtschaftliche Ertrag einhergeht mit wirtschaftlicher Entwicklung, die soziale Entwicklung ermöglicht. Ein „zuerst“ und „danach“ gibt es nicht. Es ist notwendig, sehr kostenintensiv und zeitaufwendig die Endkunden zu begleiten. Wenn ein Mikrokredit-Sachbearbeiter für einen 100-Euro-Kredit mit seinem Moped über Land fährt, den Kunden bei der Erstellung des Business-Plans berät, seine Glaubwürdigkeit überprüft, zurückfährt, eine Kreditakte anlegt, nach positiver Entscheidung den Kredit auszahlt und in vierwöchentlichen Raten wieder einsammelt (mit einer Mopedfahrt pro Rate), dann ist nachvollziehbar, dass das höhere Kosten und damit auch Zinsen bedingt als bei einem Kredit einer Bank hier in Deutschland. Natürlich, die Zinsgestaltung muss fair sein – aber dazu gehört auch, dass sie kostendeckend ist. Wir überprüfen das regelmäßig bei den Mikrofinanz-Institutionen, die unsere Geschäftspartner sind.

ECOreporter: Mikrofinanzen gelten als nachhaltig. Aber was ist daran nachhaltig, dass beispielsweise ein Kolumbianer einen Kredit bekommt, um damit in den Zigaretten-Kleinsthandel einzusteigen? Andere nachhaltige Fonds dürfen erst gar nicht in die Tabakindustrie investieren.

Sommer: Mikrofinanzen sind dann nachhaltig, wenn sie durch eine entsprechend professionelle Handhabung Ethik und Rendite in Übereinstimmung bringen. Dabei sind die Unternehmenszwecke beim Endkunden so vielfältig wie das Leben selbst. Es ist darauf zu achten, dass sie sich im gesetzlichen Rahmen bewegen. Wir überprüfen auch, dass die Kredite nicht den Konsum finanzieren, sondern vor allem Handel und Produktion fördern. Verbraucherschutz und ökologische Fragen spielen eine zunehmend bedeutendere Rolle. In manchen Fällen gibt es explizit „green-line“-Programme der Mikrofinanz-Institute, womit ökologisch sinnvolle start-ups oder Verhaltensweisen finanziert werden. So werden Photovoltaik-Anlagen in Äthiopien ebenso finanziert wie von der deutschen GIZ entwickelte CO2- arme und energieeffiziente Öfen in der Mongolei. Aber Mikrofinanzen bringen auch fair-trade und biologische Agrarwirtschaft auf den Weg.

ECOreporter: Glauben Sie, dass Mikrofinanzen die Welt verändern?

Sommer: Jeder einzelne Kredit, der einem Menschen dazu verhilft, sich eine eigene Existenz aufzubauen, verändert ein Stück weit die Welt. Die UNO hat 2012 zum Jahr der Genossenschaften ausgerufen. Die Genossenschaftsbewegung hat die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und den Aufbau eines gesunden Mittelstandes maßgeblich mitgefördert. Das, was Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen im 19. Jahrhundert entwickelt haben, war nichts anderes als Mikrofinanz. Die Selbsthilfe und das solidarische Füreinander-Einstehen, die „demokratische Schule Genossenschaft“ ist zur Grundlage des Mittelstandes in Deutschland geworden. Weltweit gibt es mittlerweile Millionen Mikrokreditnehmer, mehrere Tausend Mikrofinanz- Institutionen und etwa 130 Eigenkapital gebende und refinanzierende Mikrofinanzfonds – dahinter stehen Millionen von Erfolgsgeschichten. Aber natürlich gibt es ebenso wenig eine Erfolgsgarantie wie im übrigen Wirtschaftsleben auch. Und um mit einer weiteren Illusion aufzuräumen: Mikrofinanz alleine beseitigt nicht die Armut dieser Welt – sie ist jedoch das potentiell effizienteste und effektivste Instrument der Armutsbekämpfung. Grundsätzlich gilt: Die Welt verändert sich, wenn man Menschen in die Lage versetzt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen – nicht aber durch paternalistische, bedingungslose Zuwendungen.

ECOreporter: Ersetzen Mikrofinanzen die Entwicklungshilfe und die Spenden – und ist das alles nur ein Instrument, damit unser Staat die Entwicklungshilfe-Leistungen noch weiter herunterschrauben kann?

Sommer: Nein. Staatliche Entwicklungszusammenarbeit bleibt notwendig. Sie sollte sich aber darauf beschränken, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, an privates, also nicht-staatliches, Kapital zu kommen. Eine solche politische „Geländerfunktion“ vermindert Korruptionsanfälligkeit, erhöht die Effizienz der Entwicklungszusammenarbeit und ermöglicht Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Investieren und Spenden stehen nicht im Entweder-Oder-Verhältnis – sie sind beide notwendig für die jeweilige Zielgruppe. Menschen, die sich nicht selbst helfen können, bleiben auf unsere Caritas und Solidarität angewiesen, wirtschaftlich aktive Menschen wiederum benötigen keine Spenden, sondern wollen als Geschäftspartner ernst genommen werden, um Erfolg zu haben.

ECOreporter: Wie hoch ist der durchschnittliche Mikrokredit?

Sommer: Im weltweiten Mittel spricht man von etwa 500 Dollar – aber diese Feststellung hat keine große Aussagekraft. Denn erstens entscheidet nicht die Höhe des Kredites über den wirtschaftlichen und sozialen Erfolg des Kreditnehmers, sondern die Frage, ob der Kredit mithilft, Menschen den Zugang zu den Basisfinanzdienstleistungen zu verschaffen. Und zweitens sind die Rahmenbedingungen zu unterschiedlich: In Bangladesch oder in Subsahara Afrika kann man möglicherweise bereits mit 50 Dollar den Schritt in die wirtschaftliche Selbständigkeit wagen. In Osteuropa oder Zentralasien sind deutlich höhere Geldbeträge nötig. Das Verhältnis des Kredits zum durchschnittlichen Jahreseinkommen im jeweiligen Land liefert einen Hinweis darauf, an welcher Stelle der Einkommenspyramide eine Mikrofinanz-Institution ansetzt.

Bildhinweis: Ein Mikrokreditnehmer: dieser Instrumentenbauer aus der Mongolei. / Quelle: Dexia


ECOreporter: Wir stellen uns beim Wort Mikrokredite meist eine Frau in einer abgelegenen Siedlung in Afrika vor oder in einem Slum in Südamerika. Trifft das die Realität? Gibt es einen Trend hin zu einer Form der Mikrofinanzen, die eher Unternehmensfinanzierungen betrifft?

Sommer: Richtig ist, dass sich Mikrofinanz zu einem erheblichen Teil im informellen Sektor abspielt, also in der Schattenwirtschaft, die in der offiziellen volkswirtschaftlichen Statistik nicht erfasst ist. Das ist nicht zu beanstanden, solange die Menschen dadurch die Möglichkeit erhalten, sich in den formalen Volkswirtschaftskreislauf einzugliedern. Denn erst dann sind regionale Wirtschaftsentwicklung und die Schaffung von Arbeitsplätzen erfolgreich und messbar und nachhaltig erkennbar. Deswegen ist auch der Bereich der KMU-Unternehmen, das heißt die Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen, neben der Kleinstunternehmer- Förderung ein bedeutender und wichtiger Faktor im Bereich nachhaltiger Entwicklung. Noch einmal: Mikrofinanz endet nicht an einer wie immer zu definierenden absoluten Kredithöhe. Sie hat ihre Bedeutung, weil sie ein selbstbestimmtes Leben ökonomisch armer, aber wirtschaftlich aktiver Menschen ermöglicht. Erst diese (Inklusion genannte) Einbeziehung des Menschen in gesellschaftliche Entwicklung kann zu nachhaltigen Ergebnissen führen.

Per Opens external link in new windowMausklick gelangen Sie zur Fortsetzung des Interviews mit Michael Sommer.Darin gehen wir unter anderem auf Kritik an der Mikrofinanzbranche ein und darauf, wer sie eigentlich kontrolliert.

Der Beitrag ist im aktuellen ECOreporter.de-Magazin erschienen. Ein weiterer Themenschwerpunkt in dem gedruckten Heft sind unbekannte Fakten zur Energiewende. Opens external link in new windowHier (Link entfernt)erfahren Sie, wie Sie das Magazin bestellen können.
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