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„Transparenz ist möglich, man muss sie nur wollen.“ – ECOreporter-Interview zum Reputationsrisiko Rohstoff bei Autoherstellern
Die deutsche Automobilindustrie ist stolz: auf ihre Produkte – und auf ihre Nachhaltigkeit. Doch selbst die Unternehmen, die in der Finanzbranche als nachhaltigste gelten, bieten allenfalls Entwicklungen in der Technik und gute Arbeitsbedingungen in Deutschland. Beim Thema Rohstoffe zeigen sich erschreckende Missstände, wie eine Studie aufdeckt.
Herausgeber der Studie mit dem Titel „
Vom Erz zum Auto“ sind Misereor, Brot für die Welt und das Global Policy Forum Europe (GPF) aus Bonn. Das GPF ist eine regierungsunabhängige Forschungs- und Politikberatungsorganisation, die sich kritisch mit Fragen insbesondere internationaler Wirtschafts-, Finanz- und Entwicklungspolitik befasst. Jens Martens ist Direktor des GPF, ECOreporter.de hat ihn zu den Ergebnissen der Studie befragt:
ECOreporter: Was sind die wichtigsten Rohstoffe für die Automobilindustrie, woher stammen sie?
Jens Martens: Eisen und Stahl, Kupfer und Aluminium machen zusammen im Durchschnitt über 70 Prozent des Gesamtgewichts eines Autos aus. Wichtige Abbauländer sind neben Australien und China vor allem Brasilien bei Eisenerz, Chile und Peru bei Kupfer sowie Indien und Guinea bei Bauxit.
ECOreporter: Rohstoffe wie Kupfer, Eisenerz, Bauxit und andere werden in Minen gewonnen, die meist in Schwellenländern liegen. Ist die Rohstoffgewinnung sozial-ethisch und ökologisch unbedenklich?
Martens: Nein. Unsere Partnerorganisationen in vielen Entwicklungsländern berichten immer wieder von negativen Umweltfolgen und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Rohstoffabbau. Die Liste der Fallbeispiele ist lang: Sie reicht von der Verletzung des Rechts auf sauberes Trinkwasser beim Kupferabbau in Sambia über gesundheitliche Schäden durch erhöhte Schwermetallkonzentrationen in Peru bis zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit und willkürlichen Inhaftierungen in Indien und Indonesien.
ECOreporter: Welche Probleme überwiegen: Arbeitsrechtsverletzungen oder Umweltbelastungen?
Martens: Beides ist gleichermaßen problematisch; oft treten die Probleme gleichzeitig auf. Beispielsweise in der Grasberg-Mine in Indonesien, der drittgrößten Kupfermine der Welt: Dort klagen die Menschen sowohl über unzureichende Umweltschutzmaßnahmen als auch über die Verletzung von Gewerkschaftsrechten. Letztes Jahr traten 8.000 Minenarbeiter für höhere Löhne in den Streik. Polizei und Sicherheitskräfte reagierten darauf mit Gewaltanwendungen. Mindestens neun Menschen kamen dabei ums Leben.
ECOreporter: Die weltweite Eisenerz- und Stahlproduktion wird von wenigen Großkonzernen dominiert, wie BHP Billiton, Vale, Rio Tinto und Posco. Gibt es auch bei diesen Konzernen Problemfälle?
Martens: Ja! Ein eklatanter Fall ist der Plan des südkoreanischen Konzerns Posco für ein Megastahlwerk im indischen Bundesstaat Odisha. Seit Jahren protestiert die einheimische Bevölkerung dagegen. Über 20.000 Menschen sind in ihrer Existenz bedroht. Seit sieben Jahren gehen Polizei und private Sicherheitskräfte des Konzerns immer wieder mit Gewalt gegen friedliche Proteste vor. Auch hier gab es bereits zahlreiche Tote und Verletze.
ECOreporter: Das deutsche Stahlunternehmen ThyssenKrupp ist ein wichtiger Zulieferer der Autoindustrie. Man sollte vermuten, dass deutsche Standards Problemfälle ausschließen?
Martens: Das ist nicht immer so. Ein Teil des Stahls, den ThyssenKrupp an deutsche Autofirmen verkauft, stammt aus Brasilien. Dort betreibt der Konzern in der Bucht von Sepetiba, in der Nähe von Rio de Janeiro, das Stahlwerk CSA. Dabei handelt es sich um ein Gemeinschaftsprojekt mit dem brasilianischen Bergbaukonzern Vale. Anwohner klagen dort über gesundheitliche Schäden, Fischer beschweren sich über massive Wasserverschmutzung und den Rückgang des Fischfangs. Die brasilianische Stiftung Fiocruz hat in einer Studie festgestellt, dass sich seit Inbetriebnahme des Stahlwerks 2010 die Fälle von Atemwegs- und Hauterkrankungen vervielfacht haben.
ECOreporter: Aluminium ist ein wichtiges Industriemetall mit einer extrem schlechten Energiebilanz und einer Vielzahl problematischer Neben- und Abfallprodukte. Ist die Aluminiumproduktion ein schmutziges Geschäft?
Martens: Aluminium wird aus Bauxit gewonnen. Das Problem dabei: Um eine Tonne Aluminium zu produzieren, müssen vier bis fünf Tonnen Bauxit abgebaut werden. Dabei entstehen rund zehn Tonnen Abraum und vor allem drei Tonnen giftiger Rotschlamm, der in Auffangbecken deponiert werden muss. Wird er unsachgemäß gelagert, kann es zu Lecks oder Überschwemmungen kommen. Das war beispielsweise vor zwei Jahren in Ungarn der Fall: 40 Quadratkilometer Land wurden durch Rotschlamm verseucht. Weltweit lagern bis zu 1,5 Milliarden Tonnen giftigen Rotschlamms in riesigen Deponieseen – eine tickende Zeitbombe für Mensch und Umwelt.
Bildhinweis: Das Zersprengen von Landschaften ist eine typische Begleiterscheinung des Gewinnens von Rohstoffen. / Quelle: Fotolia
ECOreporter: Was tun Autokonzerne für die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards bei Ihren Zulieferern? Gibt es Defizite?
Martens: Prinzipiell haben sich alle deutschen Automobilfirmen zu Umwelt- und Menschenrechtsstandards bekannt. VW, Daimler und BMW haben auch mehr oder weniger detaillierte Nachhaltigkeitsrichtlinien für ihre Lieferanten. Das Problem ist, dass eine systematische Überprüfung entlang der Produktionskette bislang nicht stattfindet und vom Gesetzgeber auch nicht verlangt wird. Automobilhersteller untersuchen und kennen in der Regel durchaus die Herkunft derjenigen Rohstoffe, bei denen es Versorgungsrisiken für die Industrie gibt. Das gilt insbesondere für die Seltenen Erden. Ähnliche Bemühungen der Unternehmen würden wir uns auch im Falle von Menschenrechtsrisiken wünschen. Transparenz ist möglich, man muss sie nur wollen.
ECOreporter: Wissen die Automobilhersteller denn um die Missstände bei der Rohstoffgewinnung?
Martens: Es gibt etliche zivilgesellschaftliche Organisationen, die über die entsprechenden Informationen verfügen. Die Automobilhersteller müssten das in ihren Entscheidungen über die Auswahl ihrer Zulieferer berücksichtigen. Nur so können sie vermeiden, dass sie ungewollt zu Komplizen bei Umweltvergehen und Menschenrechtsverletzungen werden und ihre Reputation entsprechenden Schaden nimmt. Die Erhöhung der Transparenz über die Zulieferketten und die Verbesserung des wechselseitigen Informationsaustauschs zwischen Unternehmen und Organisationen wären dafür wichtige Voraussetzungen.
ECOreporter: Die Automobilhersteller brüsten sich damit, immer höhere Recyclingquoten zu erzielen und damit die Rohstoffvorräte zu schonen. Welche Rolle spielt das Recycling?
Martens: Gerade angesichts zunehmender Rohstoffknappheit und Weltmarktkonkurrenz wird Recycling eine immer größere Rolle spielen. Es gibt dafür neben ökologischen auch ökonomische Gründe. Das gilt insbesondere auch für die Automobilindustrie. Nach der EU-Recyclingverordnung müssen schon jetzt 85 Prozent eines Autos wiederverwertet werden, ab 2015 sind es sogar 95 Prozent. Allerdings ist Recycling per se nicht umweltfreundlich. Ein Vertreter aus der Kupferindustrie sagte mir, dass durch die komplexere Verarbeitung von Metallen wie Kupfer der CO2-Ausstoß bei der Recyclingproduktion heute um ein Vielfaches höher sei als noch vor einigen Jahren. Auch ein Auto, das zu 100 Prozent aus Recyclingmaterial besteht, ist deswegen nicht automatisch umweltfreundlich.
ECOreporter: Vielen Dank für das Interview.
Per
Mausklick gelangen Sie zu einem Hintergrundbericht von ECOreporter.de über den zunehmenden Roshtoffverbrauch der Automobilhersteller.
Herausgeber der Studie mit dem Titel „

ECOreporter: Was sind die wichtigsten Rohstoffe für die Automobilindustrie, woher stammen sie?
Jens Martens: Eisen und Stahl, Kupfer und Aluminium machen zusammen im Durchschnitt über 70 Prozent des Gesamtgewichts eines Autos aus. Wichtige Abbauländer sind neben Australien und China vor allem Brasilien bei Eisenerz, Chile und Peru bei Kupfer sowie Indien und Guinea bei Bauxit.
ECOreporter: Rohstoffe wie Kupfer, Eisenerz, Bauxit und andere werden in Minen gewonnen, die meist in Schwellenländern liegen. Ist die Rohstoffgewinnung sozial-ethisch und ökologisch unbedenklich?
Martens: Nein. Unsere Partnerorganisationen in vielen Entwicklungsländern berichten immer wieder von negativen Umweltfolgen und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Rohstoffabbau. Die Liste der Fallbeispiele ist lang: Sie reicht von der Verletzung des Rechts auf sauberes Trinkwasser beim Kupferabbau in Sambia über gesundheitliche Schäden durch erhöhte Schwermetallkonzentrationen in Peru bis zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit und willkürlichen Inhaftierungen in Indien und Indonesien.
ECOreporter: Welche Probleme überwiegen: Arbeitsrechtsverletzungen oder Umweltbelastungen?
Martens: Beides ist gleichermaßen problematisch; oft treten die Probleme gleichzeitig auf. Beispielsweise in der Grasberg-Mine in Indonesien, der drittgrößten Kupfermine der Welt: Dort klagen die Menschen sowohl über unzureichende Umweltschutzmaßnahmen als auch über die Verletzung von Gewerkschaftsrechten. Letztes Jahr traten 8.000 Minenarbeiter für höhere Löhne in den Streik. Polizei und Sicherheitskräfte reagierten darauf mit Gewaltanwendungen. Mindestens neun Menschen kamen dabei ums Leben.
ECOreporter: Die weltweite Eisenerz- und Stahlproduktion wird von wenigen Großkonzernen dominiert, wie BHP Billiton, Vale, Rio Tinto und Posco. Gibt es auch bei diesen Konzernen Problemfälle?
Martens: Ja! Ein eklatanter Fall ist der Plan des südkoreanischen Konzerns Posco für ein Megastahlwerk im indischen Bundesstaat Odisha. Seit Jahren protestiert die einheimische Bevölkerung dagegen. Über 20.000 Menschen sind in ihrer Existenz bedroht. Seit sieben Jahren gehen Polizei und private Sicherheitskräfte des Konzerns immer wieder mit Gewalt gegen friedliche Proteste vor. Auch hier gab es bereits zahlreiche Tote und Verletze.
ECOreporter: Das deutsche Stahlunternehmen ThyssenKrupp ist ein wichtiger Zulieferer der Autoindustrie. Man sollte vermuten, dass deutsche Standards Problemfälle ausschließen?
Martens: Das ist nicht immer so. Ein Teil des Stahls, den ThyssenKrupp an deutsche Autofirmen verkauft, stammt aus Brasilien. Dort betreibt der Konzern in der Bucht von Sepetiba, in der Nähe von Rio de Janeiro, das Stahlwerk CSA. Dabei handelt es sich um ein Gemeinschaftsprojekt mit dem brasilianischen Bergbaukonzern Vale. Anwohner klagen dort über gesundheitliche Schäden, Fischer beschweren sich über massive Wasserverschmutzung und den Rückgang des Fischfangs. Die brasilianische Stiftung Fiocruz hat in einer Studie festgestellt, dass sich seit Inbetriebnahme des Stahlwerks 2010 die Fälle von Atemwegs- und Hauterkrankungen vervielfacht haben.
ECOreporter: Aluminium ist ein wichtiges Industriemetall mit einer extrem schlechten Energiebilanz und einer Vielzahl problematischer Neben- und Abfallprodukte. Ist die Aluminiumproduktion ein schmutziges Geschäft?

Bildhinweis: Das Zersprengen von Landschaften ist eine typische Begleiterscheinung des Gewinnens von Rohstoffen. / Quelle: Fotolia
ECOreporter: Was tun Autokonzerne für die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards bei Ihren Zulieferern? Gibt es Defizite?
Martens: Prinzipiell haben sich alle deutschen Automobilfirmen zu Umwelt- und Menschenrechtsstandards bekannt. VW, Daimler und BMW haben auch mehr oder weniger detaillierte Nachhaltigkeitsrichtlinien für ihre Lieferanten. Das Problem ist, dass eine systematische Überprüfung entlang der Produktionskette bislang nicht stattfindet und vom Gesetzgeber auch nicht verlangt wird. Automobilhersteller untersuchen und kennen in der Regel durchaus die Herkunft derjenigen Rohstoffe, bei denen es Versorgungsrisiken für die Industrie gibt. Das gilt insbesondere für die Seltenen Erden. Ähnliche Bemühungen der Unternehmen würden wir uns auch im Falle von Menschenrechtsrisiken wünschen. Transparenz ist möglich, man muss sie nur wollen.
ECOreporter: Wissen die Automobilhersteller denn um die Missstände bei der Rohstoffgewinnung?
Martens: Es gibt etliche zivilgesellschaftliche Organisationen, die über die entsprechenden Informationen verfügen. Die Automobilhersteller müssten das in ihren Entscheidungen über die Auswahl ihrer Zulieferer berücksichtigen. Nur so können sie vermeiden, dass sie ungewollt zu Komplizen bei Umweltvergehen und Menschenrechtsverletzungen werden und ihre Reputation entsprechenden Schaden nimmt. Die Erhöhung der Transparenz über die Zulieferketten und die Verbesserung des wechselseitigen Informationsaustauschs zwischen Unternehmen und Organisationen wären dafür wichtige Voraussetzungen.
ECOreporter: Die Automobilhersteller brüsten sich damit, immer höhere Recyclingquoten zu erzielen und damit die Rohstoffvorräte zu schonen. Welche Rolle spielt das Recycling?
Martens: Gerade angesichts zunehmender Rohstoffknappheit und Weltmarktkonkurrenz wird Recycling eine immer größere Rolle spielen. Es gibt dafür neben ökologischen auch ökonomische Gründe. Das gilt insbesondere auch für die Automobilindustrie. Nach der EU-Recyclingverordnung müssen schon jetzt 85 Prozent eines Autos wiederverwertet werden, ab 2015 sind es sogar 95 Prozent. Allerdings ist Recycling per se nicht umweltfreundlich. Ein Vertreter aus der Kupferindustrie sagte mir, dass durch die komplexere Verarbeitung von Metallen wie Kupfer der CO2-Ausstoß bei der Recyclingproduktion heute um ein Vielfaches höher sei als noch vor einigen Jahren. Auch ein Auto, das zu 100 Prozent aus Recyclingmaterial besteht, ist deswegen nicht automatisch umweltfreundlich.
ECOreporter: Vielen Dank für das Interview.
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