Eine Studie zeigt wieder einmal: Die Nachhaltigkeits-Bewertungen großer Ratingagenturen sind nicht vergleichbar. / Foto: Pixabay

  Nachhaltige Aktien, Ratingagenturen, Finanzdienstleister, Fonds / ETF

Studie: Große ESG-Datenanbieter bewerten völlig unterschiedlich

Die Bewertungen der Nachhaltigkeit von Unternehmen durch große Agenturen besitzen keine gemeinsame Basis und sind untereinander praktisch nicht vergleichbar. Das zeigt eine Untersuchung des Beratungsunternehmens Cofinpro. Befragt wurden 15 große Anbieter, die ESG-Daten von mehreren tausend Unternehmen bereitstellen.

Ein großer Spielraum bei der Interpretation und fehlende Standards sorgen demnach dafür, dass die sogenannten ESG-Scores zu teils völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen. ESG steht für die Bereiche Ökologie (E wie Environment), Soziales (S wie Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (G wie Governance). Was eine gute ESG-Leistung ausmacht, ist nicht verbindlich definiert.

Da auch für die Beurteilung keine Vorgaben existieren, können große Nachhaltigkeits-Ratingagenturen wie MSCI, Morningstar oder S&P Global Ratings Schwerpunkte so beliebig wie unterschiedlich setzen – bis hin zur Gewichtung der kompletten ESG-Kategorie. Die Cofinpro-Studie macht dies deutlich sichtbar.

Gewichtung von Kriterien völlig unterschiedlich

So werden bei einem Großteil der Anbieter zwar soziale Kriterien berücksichtigt wie:

  • Menschenrechte (Human Rights)
  • Gesundheit und Sicherheit (Health & Safety)
  • Verhältnis zwischen den Bevölkerungsgruppen (Community Relations).

Abseits dieser drei Hauptkriterien gibt es jedoch eine große Zahl an Merkmalen und Schwerpunkten, die von den einzelnen Anbietern entweder stark, nur am Rande oder auch gar nicht berücksichtigt werden.

Themen, mit denen Agenturen so nahezu willkürlich – oder zumindest nach keiner einheitlichen Methodik – umgehen, sind der Studie zufolge etwa die Beurteilung von Lieferketten, Datensicherheit, Unfallquoten oder Kinderarbeit.

Bei der Bewertung der "guten Unternehmensführung" (Governance) ergibt sich laut Cofinpro das gleiche Bild. Abseits der stärksten Kriterien "Risikomanagement" (Risk Management) und "Verhaltenskodex" (Code of Conduct) schwankt die Bedeutung beispielsweise von Korruptionsrichtlinien, Investitionsbereitschaft oder Geschlechtergerechtigkeit für die Note in diesem Bereich stark.

Beim Bezug ihrer Daten nutzen die Agenturen überwiegend öffentlich zugängliche Quellen wie Nachrichtenartikel oder auch Social Media. Alle bis auf eine Agentur verwenden nach eigener Angabe auch allgemein zugängliche Unternehmensdaten. Nicht öffentlich zugängliche Unternehmensdaten und nicht öffentlich zugängliche Daten von Organisationen und Regierungen nutzt dagegen jeweils nur ein Anbieter.

Das Sammeln der Rohdaten aus tausenden Quellen erfolgt automatisiert und wird bei den meisten Agenturen durch Machine Learning unterstützt. Die Aktualisierung der Beurteilungen und Scores erfolgt meist auf täglicher oder wöchentlicher Basis.

Banken und Fondsgesellschaften müssen Methodik verstehen

Die Überprüfung, ob Daten vertrauenswürdig und korrekt sind, erfolgt in aller Regel intern. Nur drei Agenturen stimmen laut der Cofinpro-Studie erhaltene Daten mit den zu bewertenden Unternehmen ab – und nur zwei beziehen bei der Prüfung externe Kräfte oder auch andere ESG-Datenanbieter mit ein.

Wie die Kategorien E, S und G beim Errechnen einer Gesamtnote gewichtet werden, entscheidet ebenfalls jede Agentur individuell. Für die Wahl einer Agentur müssen Fonds- und ETF-Anbieter wie Banken und Vermögensverwalter also eigentlich die Zusammensetzung des jeweiligen ESG-Scores oder -Ratings verstehen und mit den eigenen Vorstellungen von Nachhaltigkeit vergleichen.

Die Confinpro-Analysten sehen das Risiko, dass genau dies nicht geschieht. Stattdessen, so befürchten sie, würden Einstufungen der ESG-Datenanbieter oft übernommen, ohne die Methodik dahinter zu durchdringen. Dabei wirke sich die unterschiedliche Vorgehensweise von Agenturen direkt auf die Entscheidungen von institutionellen Investoren wie auch von Privatanlegerinnen und -anlegern aus.

Finanzinstitute sollten deshalb selbst aktiv werden, fordern die Analysten. Sie müssten die einzelnen Arbeitsschritte der Daten-Provider analysieren und ein eigenes Scoring-Modell definieren, in dem die Informationen der Datenlieferanten verarbeitet werden. Wichtig sei dabei, eine eigene Linie zu finden, die für alle Anspruchsgruppen transparent und nachvollziehbar ist.

Zudem empfehlen die Analysten, bei eigenen Modellen auf weniger Kennzahlen zu setzen. Diese sollten einen klaren Ursache-Wirkung-Zusammenhang aufweisen. Das sei zielführender, als eine zu große Masse an interpretationsbedürftigen Kennzahlen heranzuziehen.

ECOreporter verlässt sich bei seinen Fondstests und ETF-Tests nicht auf ESG-Scores. Stattdessen überprüft die Redaktion etwa alle enthaltenen Unternehmen auf kritische Geschäftsbereiche oder andere schwerwiegende Kontroversen. Details zum Benotungssystem von ECOreporter finden Sie hier.

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