Erneuerbare Energie

Sie können, wenn man sie lässt – Erneuerbare Energien machen Atomkraftwerke überflüssig




Spätestens zum Ende dieses Jahrzehnts können die regenerativen Energien in Deutschland die Energieproduktion aus Kernkraftwerken zu 100 Prozent ersetzen. Davon geht zumindest der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) aus Berlin aus. „Bis zum Jahr 2020 können die Erneuerbaren Energien bereits 47 Prozent der deutschen Stromversorgung sichern. Damit würden sie einen Atomausstieg vollständig kompensieren, erläutert BEE-Präsident Dietmar Schütz. Die Versorgungssicherheit sei dabei zu keinem Zeitpunkt gefährdet. "Deutschland kann die Nutzung der Atomenergie schnell beenden, ohne dadurch von Stromimporten aus den Nachbarländern abhängig zu werden. Im Gegenteil: Im Jahr 2007 standen beispielsweise bis zu sechs Reaktoren still. Trotzdem hatte Deutschland in dieser Zeit die höchsten Strom-Exportüberschüsse in der Geschichte des Landes", so Schütz. Ihm zufolge könnten mindestens die sieben ältesten deutschen Atommeiler sofort vom Netz gehen, ohne dass es zu Versorgungsengpässen kommt.

Einige dieser ältesten Atomanlagen, etwa Brunsbüttel, Isar I und Philippsburg I ähneln bautechnisch stark dem Reaktor, der nun im japanischen Fukushima eine Katastrophe von noch nicht absehbaren Ausmaßen auszulösen droht. Heute hat Bundeskanzlerin Angela Merkel mitgeteilt, dass alle sieben vor Ende 1980 gestarteten deutschen Atomkraftwerke zumindest vorübergehend vom Netz genommen werden. Dies gilt neben den drei genannten auch für die Atomkraftwerke Unterweser, Biblis A und B, und Neckarwestheim I. Das bereits abgeschaltete AKW Krümmel soll weiter außer Betrieb bleiben. Damit sind nur noch zehn der 17 deutschen AKW am Netz, offenbar ohne Gefahr für die Energieversorgung der Bundesrepublik.

Ohne die nun für drei Monate ausgesetzte Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke könnten die regenerativen Energien laut Schütz sogar vor 2020 die Marke von 40 Prozent der deutschen Stromversorgung erreichen. Ab dieser Marke gebe es keine Notwendigkeit mehr für Kernenergie. Laut dem BEE-Präsident haben Monitoringberichte des Bundeswirtschaftsministeriums sowie die regelmäßigen Prognosen und Berichte der systemverantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber bestätigt, dass Deutschland auch nach einem Atomausstieg immer noch Stromexporteur wäre. Es werde schon heute mehr Strom erzeugt als benötigt.

"Statt Atomkraftwerken brauchen wir regenerative Kombikraftwerke. Dies haben wir der Bundeskanzlerin bereits vor fünf Jahren angeboten", so Schütz. Mit dem Zusammenschalten verschiedener Erneuerbarer Energien Anlagen zu einem Regenerativen Kombikraftwerk hatte die Branche der Erneuerbaren Energien demonstriert, dass eine vollständige Stromversorgung Deutschlands mit Erneuerbaren Energien ohne die Risikotechnologie Atomkraft möglich ist. "Bislang gibt es leider kein Instrument zum Ausbau solcher Kombikraftwerke - obwohl dies im Koalitionsvertrag und im Energiekonzept der Bundesregierung angekündigt wurde", sagte Schütz. "Wenn die Bundesregierung es wirklich ernst meint mit einem beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien, muss sie die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke dauerhaft zurücknehmen und nicht nur für drei Monate", fordert der BEE-Präsident. "Sie sind keine Brücke, sondern ein ernsthaftes Hindernis für den notwendigen Umbau unseres Energiesystems." Erst kürzlich habe das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut gezeigt, dass Laufzeitverlängerungen die Wettbewerbsfähigkeit der Erneuerbaren gegenüber den fossilen Energien um rund 16 Jahre verzögern.

Im vergangenen Jahr hatten Wissenschaftler des für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) errechnet, dass Erneuerbaren Energien in 2020 über die Hälfte des Grundlastbedarfs im Stromsektor abdecken dürften. Sie hatten dafür die reale Einspeisung im Jahresverlauf auf Basis der BEE-Prognose und stündlicher Wetterdaten von 2007 simuliert. Die resultierende Jahresdauerlinie zeigte, dass die für Kohle- und Atomkraftwerke verbleibende Restlast gegenüber 63 Gigawatt (GW) im Jahr 2007 auf maximal 27 GW zusammenschrumpft. Und seit 2007 ist der Anteil der regenerativen Energien an der Stromversorgung weiter stark angestiegen. Laut dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) deckten sie im Jahr 2010 17 Prozent des Strombedarfs der Bundesrepublik ab. Ihr Anteil stieg im Vergleich zum Vorjahr um 0,6 Prozent von 95 Milliarden Kilowattstunden (kWh) auf 102 Milliarden kWh.

Bildhinweis: AKW Grafenrheinfeld. / Quelle: RWE AG


Die Bundesregierung hat 2010  im so genannten Nationalen Allokationsplan für die Bundesrepublik Deutschland das Ziel ausgegeben, den Anteil der Erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch bis 2020 auf 18 Prozent zu erhöhen. Laut dem Bundesumweltministerium wird das Ausbauziel voraussichtlich übertroffen. Statt 18 Prozent würden bis dahin voraussichtlich knapp 20 Prozent ereicht. Entscheidenden Anteil daran habe der Stromsektor, wo der Beitrag der Erneuerbaren Energien bis 2020 auf rund 39 Prozent klettern werde.

Das Umweltbundesamt (UBA) geht nicht nur davon aus, dass in Deutschland bis 2050 eine Vollversorgung mit Strom aus Erneuerbaren Energien gelingen kann. Es plädiert auch für frühzeitige politische Weichenstellungen. „Je früher, je entschlossener wir handeln, desto mehr Zeit bleibt uns für die notwendigen technischen und gesellschaftlichen Anpassungen“, so Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamts. Im vergangenen Herbst hatte das UBA die Umstellung auf 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien in drei Grundszenarien analysiert. Die dann vorgelegte Studie basiert auf dem Szenario „Regionenverbund“. Darin nutzen alle Regionen Deutschlands ihre Potentiale für Erneuerbare Energien weitgehend aus. Es findet ein deutschlandweiter Stromaustausch statt. Nur zu einem geringen Anteil wird Strom aus Nachbarstaaten importiert. UBA-Präsident Jochen Flasbarth: „Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Stromversorgung bis 2050 vollständig auf erneuerbaren Energien basieren und die Versorgungssicherheit jederzeit gewährleistet werden kann.“ Die unterschiedlichen Erzeugungsarten der regenerativen Energien, die Speicher und das Lastmanagement sind im Szenario Regionenverbund genau aufeinander abgestimmt. Dadurch können Fluktuationen, die bei Erneuerbaren Energien auftreten, jederzeit sicher ausgeglichen werden.

Um die Stromversorgung umgestalten zu können, ist es laut dem UBA notwendig, die Erneuerbaren Energien, die Netze und die Speichersysteme deutlich auszubauen. Die Möglichkeiten, Strom einzusparen, müssten außerdem ausgeschöpft werden. „Wenn wir die Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent verringern wollen, müssen wir die Stromversorgung auf Erneuerbare Energien umstellen. Nur so ist es möglich, die Treibhausgasemissionen in der Stromerzeugung auf Null zu senken“, erklärte Jochen Flasbarth. Die UBA-Studie „Energieziel 2050: 100% Strom aus erneuerbaren Quellen“ kann unter Opens external link in new windowwww.uba.de kostenlos heruntergeladen werden.

Auch die Europäische Union (EU) könnte ihren Energiebedarf in 2050 vollständig mit Erneuerbaren Energien abdecken. Davon geht der Europäische Verband für Erneuerbare Energien (European Renewable Energy Council, EREC) laut seiner Studie „RE-thinking 2050“aus, die 2010 dem Europäischen Parlament in Brüssel vorgestellt wurde. Bis 2050 könnte die EU dem Papier zufolge ihre CO2-Emissionen um über 90 Prozent verringern. Dies würde der Wirtschaft 3.800 Milliarden Euro ersparen, erklärte EREC-Präsident Arthouros Zervos. 2,7 Millionen neue Arbeitsplätze würden bis 2020, 4,4 Millionen bis 2030 und 6,1 Millionen bis 2050 entstehen. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die vollständige Umstellung auf Erneuerbare Energien technisch möglich ist und allein von politischen Entscheidungen abhängt. Bis 2020 soll der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Energieversorgung in der EU auf 20 Prozent ansteigen. Laut einer BEE-Studie dürfte auch diese Marke früher erreicht werden. Zum Ende des Jahrzehnts werde man voraussichtlich mehr als 23 Prozent erreichen.

Die Internationale Energieagentur (IEA) hat 2010 prognostiziert, dass weltweit bis 2030 mehr als ein Viertel des Energieverbrauchs durch Erneuerbare Energien gedeckt werden kann. Studien von Greenpeace und des Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltveränderungen (WBGU) der Bundesregierung gehen sogar davon aus, dass die regenerativen Energien bis 2050 die Hälfte der weltweiten Energieversorgung tragen können. Dabei werde die Windkraft den größten Anteil zur Verfügung stellen.
Aktuell, seriös und kostenlos: Der ECOreporter-Newsletter. Seit 1999.
Nach oben scrollen
ECOreporter Journalistenpreise
Anmelden
x