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„Nur verantwortungsbewusster Umgang mit Mikrokrediten ist wirklich nachhaltig“ – Interview mit Dr. Florian Grohs, Oikocredit Deutschland , zur Messe Grünes Geld Freiburg





ECOreporter.de: Was ist das Kerngeschäft von Oikocredit? Was unterscheidet sie von anderen Mikrokredit fonds?

Dr. Florian Grohs: Die internationale Entwicklungsgenossenschaft Oikocredit verschafft seit 35 Jahren armen Menschen Zugang zu Krediten, um ihnen die wirtschaftliche Eigenständigkeit zu ermöglichen und ihre Lebensbedingungen grundlegend zu verbessern. Unser Kerngeschäft ist die Vergabe von Krediten und Eigenkapitalbeteiligungen an Mikrofinanzorganisationen, Genossenschaften und mittelständische Unternehmen in Entwicklungsländern. Wir unterscheiden uns von anderen Mikrokreditfonds, da uns die soziale Wirkung unserer Kredite sehr am Herzen liegt. Oikocredit hat seit der Gründung 35 Länderbüros in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteropa aufgebaut, um so unsere Geschäftspartner direkt vor Ort zu betreuen. Im Gegensatz zu anderen Mikrofinanzfonds ist Oikocredit eine Genossenschaft und gehört den Anlegern. Daher engagieren sich hunderte Anleger ehrenamtlich für Oikocredit und nehmen an den demokratischen Entscheidungsprozessen teil. Wir legen großen Wert auf Transparenz.



ECOreporter.de: Wie hat sich Ihr Unternehmen seit der Gründung entwickelt?

Grohs: Seit der Gründung vor 35 Jahren ist Oikocredit stetig gewachsen. Mitte 2010 hatten wir 818 Geschäftspartner und ein Kreditportfolio von 446 Millionen Euro. Damit erreichen wir mit den Krediten an unsere Geschäftspartner weltweit 17 Millionen Menschen. Die tatsächlichen Wertberichtigungen sind sehr niedrig und liegen seit Jahren unter 1 Prozent pro Jahr. Heute besitzen 36.000 Anleger Genossenschaftsteile, wobei fast die Hälfte davon aus Deutschland stammt.

ECOreporter.de:  Was erhoffen Sie sich von der Messe Grünes Geld 2010 in Freiburg?

Grohs: Wir wollen sowohl unseren jetzigen als auch neuen Anlegern die Möglichkeit bieten, das Gespräch mit uns zu suchen. Schon im letzten Jahr kamen viele Menschen zu unserem Stand, um sich zu informieren und wir hoffen, dass wir auch 2010 einen regen Zuspruch erleben.

ECOreporter.de:  Was wollen Sie auf der Messe Grünes Geld in Freiburg präsentieren?

Grohs: Wir stellen dort unser klassisches Anlageprodukt vor: den Kauf von Genossenschaftsanteilen ab 200 Euro, auf die in der Regel 2 Prozent Dividende ausgeschüttet werden. Ein Großteil unserer Investitionen geht in den Mikrofinanzsektor. Daher werden wir im Vortragsprogramm über aktuelle Entwicklungen in diesem Markt berichten, mit besonderem Fokus auf der Messung des sozialen Gewinns.



ECOreporter.de: Welche Chancen und Risiken ergeben sich für Anleger, die sich für eins Ihrer Investments entscheiden?

Grohs: Oikocredit bietet einen bescheidenen finanziellen, aber einen hohen sozialen Gewinn. Der Wert eines Anteils ist seit der Gründung konstant geblieben und seit über zehn Jahren zahlen wir eine stabile Dividende von 2 Prozent pro Jahr aus. Damit heben wir uns bewusst von spekulativ beeinflussten, stark schwankenden Aktienkursen ab. Oikocredit-Anteilseigner beteiligen sich am Eigenkapital von Oikocredit und den damit verbundenen Risiken. Die sehr hohe Eigenkapitalquote von über 80 Prozent, das breit gestreute Kreditportfolio in mehr als 70 Ländern, und die hohen Rücklagen bieten den Anlegern eine gute Absicherung gegen Krisen. Oikocredit hat auch in der jüngsten Finanzkrise ein positives Ergebnis erzielt.

ECOreporter.de: Wie hat sich das allgemeine Vorwissen über das Mikrokreditwesen in den vergangenen Jahren entwickelt?


Grohs: Durch die Vergabe des Friedensnobelpreises an Mohammad Yunus und seine Grameen Bank hat sich das Vorwissen über Mikrokredite positiv entwickelt. Aber Mikrofinanzen beinhalten noch viel mehr, zum Beispiel Mikrosparen, Mikroversicherungen und die Möglichkeit, auch kleine Geldbeträge zu überweisen. Gerade in diesem Bereich ist die Öffentlichkeit noch nicht ausreichend informiert, denn diese Maßnahmen helfen armen Menschen sich gegen Schicksalsschläge abzusichern und langsam auch eigenen Besitz aufzubauen.

ECOreporter.de: Gibt es Vorbehalte gegenüber Mikrokrediten? Wie begegnen Sie diesen?


Grohs: In letzter Zeit gab es verstärkt kritische Stimmen, die einige negative Begleiterscheinungen von Mikrokrediten kritisierten. Hier ist zum einen der spektakuläre Börsengang der indischen Mikrofinanzorganisation SKS zu nennen, aber auch Berichte über die Überschuldung von Kleinunternehmern, die in einigen Ländern wie Bosnien oder Nicaragua durch ein Überangebot zu viele Kredite aufgenommen haben. Das hat auch bei einigen Mikrofinanzorganisationen dazu geführt, dass die Kredite weniger oft zuverlässig zurückgezahlt wurden als in der Vergangenheit. Die meisten Akteure haben aus den Berichterstattungen und den jüngst gemachten Erfahrungen gelernt. Es ist klar, dass nur ein verantwortungsbewusster Umgang mit Mikrokrediten wirklich nachhaltig ist. Mikrofinanz soll armen Menschen helfen, der Armut zu entkommen, daher lehnen wir entschieden alle Praktiken ab, die zu einer Verschlechterung der Situation von Kleinunternehmern führen. Oikocredit hat schon im November 2009 auf die Überschuldungsproblematik hingewiesen. Wir überprüfen daher vor Ort genau, ob unsere Partnerorganisationen im Mikrofinanzsektor auch verantwortungsbewusst arbeiten, entwickeln Systeme, um die soziale Wirksamkeit der Mikrokredite zu erfassen, und engagieren uns international für transparente und faire Kreditbedingungen.
Trotz dieser Herausforderungen bin ich davon überzeugt, dass Mikrofinanz einen wichtigen Beitrag zur Beseitigung der Armut leisten kann, wenn mit diesem Finanzinstrument verantwortungsbewusst umgegangen wird.
Eine Forschergruppe des Massachusetts Institute of Technology hat einen Bericht veröffentlicht, in dem sie zu dem Schluss kommt, dass Mikrokredite nicht das Wundermittel sind, als das sie manchmal gepriesen werden. Dennoch ermöglichen sie Menschen, die bisher keinen Zugang zu Banken hatten, Geld zu leihen, zu investieren und Unternehmen zu gründen oder auszubauen. Eine eigene Untersuchung von Oikocredit zeigt, dass Frauen, die Mikrokredite erhalten haben, über positive Veränderungen in vielen Lebensbereichen und mehr Selbstständigkeit in ihren Entscheidungen berichten.

ECOreporter.de: Wie bewerten Sie den Börsengang der SKS und die damit verbundene Kritik?

Grohs: Die hohen Wachstumsraten im indischen Mikrofinanzbereich haben auch nach unserer Ansicht viele Investoren angelockt, denen es nur um einen hohen Profit geht, wie der Börsengang der indischen Mikrofinanzinstitution SKS zeigt. Diese hohen Wachstumsraten verführen manche Mikrofinanzorganisationen dazu, Kredite möglichst schnell ohne ausreichende Prüfung zu vergeben. Wenn dann Kreditnehmer in Schwierigkeiten kommen, können sie tatsächlich genau in die Schuldenfalle tappen, aus der sie durch Mikrokredite herauszukommen hofften. Daher haben und werden wir uns nicht an Börsengängen von Mikrofinanzunternehmen wie SKS beteiligen.

ECOreporter.de: Auf welche zukünftigen Marktherausforderungen haben Sie sich wie eingestellt?


Grohs: Mikrofinanz wird - außer vielleicht in Indien - längst nicht mehr so stark wachsen wie in der Vergangenheit. Oikocredit will verstärkt kleinere Mikrofinanzorganisationen fördern, die nur beschränkt Zugang zu Krediten haben, weil sie beispielsweise in besonders schwer zu erreichenden ländlichen Gebieten arbeiten. Daneben wird Oikocredit auch vermehrt Produktionsunternehmen wie Kaffeegenossenschaften oder Molkereien mit Krediten und Eigenkapitalbeteiligungen fördern, da diese Unternehmen dabei helfen, sichere Absatz- und Einkommensmöglichkeiten für Kleinbauern zu schaffen.

ECOreporter.de: Wie wird sich das Mikrofinanzwesen künftig weiter entwickeln? Was oder wer wird diese Entwicklung maßgeblich beeinflussen? Gibt es Bereiche, wo das Modell Mikrokredit an seine Grenzen stößt?

Grohs: Es wird immer deutlicher, dass Mikrokredite alleine nicht mehr ausreichen. Arme Menschen brauchen auch Sparmöglichkeiten, Versicherungen und bezahlbare Wege um Geld zu überweisen. Gerade in Afrika, aber auch in vielen anderen Ländern wollen viele Menschen auch die Möglichkeit haben, kleinste Beträge sicher zu sparen, sodass Mikrosparen immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. Mikrokredite sind für arme, aber unternehmerisch aktive Menschen wie  Straßenhändler durchaus hilfreich, doch leider können die Ärmsten der Armen oder kranke Menschen Mikrokredite oft nicht sinnvoll einsetzen. Sie sind auf Zuschüsse oder auf die Schaffung von Arbeitsplätzen mit fairen Löhnen angewiesen.

ECOreporter.  Was erwarten sie für die Zukunft?

Grohs: Es gibt noch viele Menschen am unteren Ende der Pyramide, die Mikrofinanz oder einen besseren Marktzugang brauchen, um ihre Lebensverhältnisse zu verbessern. Mikrofinanz wird weiterhin wachsen, es ist Teil der Lösung, nicht das Problem.
Es wird für uns immer wichtiger, den „sozialen Gewinn“ von Mikrofinanz zu messen und nachzuweisen. Oikocredit hat in diesen Bereich, auch soziales Wirkungsmanagement genannt, mehr Mittel und Personal bereitgestellt. Der Auftrag, den uns unseren Anlegern mit auf den Weg geben, ist letztendlich ein sozialer. Wir wollen weiterhin unser Portfolio ausdehnen. Ein Schwerpunkt sind dabei die Mesofinanzierungen, das sind größere Direktkredite z.B. an landwirtschaftliche Genossenschaften, Molkereien und Fair Trade Organisationen. Wir wollen auch in den nächsten Jahren neue Länderbüros eröffnen, um näher bei unseren Partnern zu sein, wobei es schon konkrete Planungen für Mosambik, Nigeria und Kirgistan gibt.

ECOreporter.de: Was raten Sie einem Privatanleger, der erstmals in den Bereich Mikrokreditwesen einsteigen möchte?

Grohs: Inzwischen gibt es verschiedene Mikrofinanzfonds, so dass die Anleger sich vorher gut informieren sollten, welcher Mikrofinanzfonds am besten zu ihnen passt. Das gilt aber für jede Geldanlage. Dabei sollten die Anleger schauen, wie die Mikrofinanzfonds die einzelnen Ziele Rendite, soziale Wirkung und Sicherheit gewichten. Bei Oikocredit liegt der Schwerpunkt z.B. auf der sozialen Wirkung und der Sicherheit, weniger auf der Rendite.

ECOreporter.de: Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Grohs!

Bildhinweis: Indische Mikrofinanzkundin. / Quelle: Oikocredit
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