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"Nachhaltigkeitsrating-Agenturen spüren Zukunftsthemen auf." - ECOreporter.de-Interview mit Silke Riedel, imug, über die Bedeutung von Nachhaltigkeitsanalysen
Nachhaltigkeitsrating-Agenturen sind ein wichtiges Verbindungsglied zwischen Unternehmen und nachhaltigen Investoren. Was macht ein Unternehmen für Nachhaltigkeitsfonds investierbar? Was sind Voraussetzungen für fundierte Nachhaltigkeitsanalysen? Wie unabhängig können Nachhaltigkeitsrating-Agenturen arbeiten? Antworten auf diese und weitere Fragen gibt Silke Riedel, Head of Investment Research der imug Beratungsgesellschaft für sozial-ökologische Innovationen mbH aus Hannover, im ECOreporter.de-Interview.
ECOreporter.de: Was unterscheidet die Arbeit einer Nachhaltigkeitsrating-Agentur von einer herkömmlichen Ratingagentur?
Silke Riedel: Zunächst einmal das Thema Nachhaltigkeit. Eine Nachhaltigkeitsrating-Agentur bearbeitet die so genannten ESG-Themen ( Environmenty, Social, Corporate Governance): die ökologische Nachhaltigkeit von Emittenten, deren soziale Leistungen und die Qualität der Unternehmensführung. Ganz wichtig ist auch der Unterschied im Geschäftsmodell: herkömmliche Ratingagenturen werden von den Emittenten bezahlt, also den Objekten ihrer Analysen. Eine Nachhaltigkeitsrating-Agentur dagegen bekommt ihr Geld von den Investoren, also den Nutzern der Analysen, und vermeidet so den Interessenkonflikt, eine Bewertung der zahlenden Kunden zu erstellen. Zudem wird der Markt für nachhaltige Ratings nicht von ganz wenigen Anbietern bestimmt, wie es bei herkömmlichen Ratings der Fall ist. Fitch, Standard & Poor’s und Moody's bilden ja ein Oligopol und können ihre Methoden bestimmen. Als Nachhaltigkeitsrating-Agentur stehen sie im Wettbewerb mit ungleich mehr Anbietern und müssen darauf eingehen, worauf ihre Kunden Wert legen. Hier bestimmen also die Investoren, worauf die Nachhaltigkeitsanalyse eingeht.
Hinzu kommt, dass ein herkömmliches Rating sich im Wesentlichen auf die Informationen beschränkt, die bei den Emittenten eingeholt werden. Bei einem Nachhaltigkeitsrating fließen auch viele externe Quellen, z.B. von kritischen Nichtregierungsorganisationen mit ein, mit Angaben, die zuweilen im Widerspruch zu den Angaben der Emittenten stehen, und die man einordnen muss.
ECOreporter.de: Was zeichnet eine gute Nachhaltigkeitsrating-Agentur, was muss sie bieten?
Riedel: Vor allem muss sie eine hohe Transparenz über ihre Methoden und Kriterien bieten. Es muss deutlich nachvollziehbar sein, welche Annahmen und Bewertungen zu einer Beurteilung führen, wie die Ratings zustande kommen. Für die Emittenten darf das Rating keine „black box“ darstellen, sie müssen das Urteil verstehen können, nur dann können sie auch Verbesserungen anstreben.
Wichtig ist daneben, dass die Analysten gut ausgebildet sind und in der Nachhaltigkeitsrating-Agentur eine Breite von Qualifikationen besteht. Dass also nicht nur Ökonomen eingebunden werden, sondern sich in den Teams Experten mit verschiedenen Hintergründen befinden, zum Beispiel auch Ingenieure, Sozial- und Kulturwissenschaftler. Wesentlich ist, dass die Analysten kritische Geister sind, also Informationen kritisch hinterfragen können, nicht nur Daten sammeln, sondern auch interpretieren und gewichten können. Dass sie in der Lage sind, wirklich tiefe Analysen zu erstellen.
Von der Methodik her erscheint es mir sehr wichtig, dass die Ratings eine große Breite an Themen abdecken, sich also nicht auf wenige Indikatoren beschränken. Prominente Indikatoren wie die Emission von Klimagasen müssen berücksichtigt werden, aber es ist gut, wenn auch Themen wie etwa der Artenschutz mit einfließen oder der Umgang mit Tierversuchen, um Beispiele aus dem ökologischen Bereich zu nennen.
ECOreporter.de: Inwiefern gibt es Mindeststandards für Nachhaltigkeitsratings? Existieren entsprechende Siegel oder Zertifizierungen?
Riedel: Unabhängige Nachhaltigkeitsrating-Agenturen haben einen neuen europäischen Qualitätsstandard für nachhaltiges Investment (SRI) und unternehmerische Nachhaltigkeit (CSR) ins Leben gerufen. Von den deutschen Anbietern wurden zum Beispiel imug und oekom research nach diesem freiwilligen Standard des Verbands der unabhängigen Nachhaltigkeits-Rating-Agenturen (Association for Independent Corporate Sustainability and Responsibility Research - AI CSRR) zertifiziert. Dieses freiwillige Auditierungssystem stellt sehr hohe Ansprüche. Gefordert werden etwa fortlaufende Qualitätsverbesserungen und Qualitätskontrollsysteme über alle Researchgebiete und die Verankerung einer kontinuierlichen Qualitätsprüfung in allen Arbeitsabläufen. Das CSRR-Siegel sichert hohe Qualitätsmaßstäbe bei der Analyse von Nachhaltigkeit und unternehmerischer Verantwortung zu sichern. Er fordert vor allem eine grundlegende Orientierung an den Prinzipien Integrität, Transparenz und Verantwortlichkeit. Weitere Informationen zum Qualitätsstandard der AI CSRR finden Sie unter:
www.csrr-qs.org
ECOreporter.de: Wie aussagefähig kann ein Nachhaltigkeitsrating sein? Wie sehr muss die Analyse im Ergebnis verkürzen, um doch für das Management einen Nachhaltigkeitsfonds so handhabbar zu sein, dass er beim Verwalten von Dutzenden Einzelpositionen darauf aufbauen kann?
Riedel: Natürlich kann ein Nachhaltigkeitsrating immer nur eine Annäherung an die Wirklichkeit sein. Zwar wird am Ende die Analyse zu einer konkreten Aussage verdichtet, also in einer Benotung oder einer Einstufung gebündelt, die dann darüber entscheidet, ob Wertpapiere eines Emittenten in ein nachhaltiges Anlageuniversum aufgenommen werden können oder nicht. Aber die Nachhaltigkeitsrating-Agenturen stellen den Kunden ja nicht nur das Ergebnis zur Verfügung, sondern zu jedem Titel einen ausführlichen Report mit 25 bis 50 Seiten Umfang. Natürlich wird ein Fondsmanagement nicht all diese Reports lesen, sondern sich im Wesentlichen an die Bewertungsergebnisse halten. Aber die Kunden haben die Möglichkeit, sich die Nachhaltigkeitsleistung einzelner Emittenten genauer anzuschauen. Etwa wenn ein Titel schlecht bewertet wird, der bislang im Portfolio enthalten war. Dann kann ein Fondsmanager oder der Nachhaltigkeitsbeirat eines Fonds in den Report schauen und sich ein genaueres eigenes Urteil dazu bilden, ob der Titel nun nicht mehr investierbar ist – und warum.
ECOreporter.de: Auf welche Informationsquellen muss sich ein Nachhaltigkeitsrating stützen? Was ist das Minimum, was würden Sie als sinnvolle Ergänzung einordnen?
Riedel: Die Angaben, die Unternehmen zur Verfügung stellen, sind eine wichtige Basis. Viele stellen ja mittlerweile Nachhaltigkeitsberichte zur Verfügung. Das ist aber nur eine Grundlage. Eine sehr große Rolle spielen externe Quellen, also Informationen von unabhängigen Experten – etwa zu den spezifischen Nachhaltigkeitsproblemen einzelner Branche – und von Nicht-Regierungsorganisationen, die häufig die besonderen Bedingungen vor Ort sehr genau kennen und auf lokale Besonderheiten hinweisen können. Solche externen Quellen kann man nicht einfach einkaufen, solch ein Stamm an hilfreichen Kontakten muss über Jahre aufgebaut und gepflegt werden. Hinzu kommt ein systematisches und kompetentes Medienscreenig, durch das man zum Beispiel auf Berichte über den Umgang mit Mitarbeitern oder Umweltprobleme stoßen kann.
Früher haben Nachhaltigkeitsanalysten auch häufiger Besuche vor Ort durchgeführt, also zum Beispiel Produktionsstätten aufgesucht. Dabei steht aber meist der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ertrag. Die modernen Kommunikationsmittel machen es heute auch viel leichter, mit Unternehmen einen intensiven Austausch über ihre Nachhaltigkeit zu führen.
Hinzu kommt, dass etliche Nachhaltigkeitsrating-Agenturen sich in internationalen Netzwerken zusammen geschlossen haben, so wie das imug dem Netzwerk von Eiris angehört. So können wir Analysen von Agenturen aus deren Heimatmarkt abrufen, etwa aus Japan über japanische Unternehmen, und wiederum Anfragen zur Nachhaltigkeit deutscher Unternehmen beantworten.
ECOreporter.de: Wie funktioniert die Kommunikation einer Nachhaltigkeitsrating-Agentur mit dem zu analysierenden Unternehmen konkret? Inwiefern ist sie standardisiert, inwiefern führt sie zu Ergebnissen, die über reine Fakten hinausgehen?
Riedel: Bei uns hat es sich als Standard etabliert, den Emittenten einmal im Jahr ihr Profil zu zusenden, mitsamt noch offenen Fragen. Die können das Profil dann kommentieren und die offenen Fragen beantworten. Auf diese Weise entsteht viel direkte Kommunikation. Bei Unternehmen sind die Abteilungen für Investor Relations unsere primären Ansprechpartner, immer öfter auch Nachhaltigkeitsbeauftragte und Nachhaltigkeitsstäbe. Hier wurde auch in Krisenzeiten Kapazität aufgebaut, nicht etwa abgebaut.
Denn viele Unternehmen messen dem Austausch mit Nachhaltigkeitsrating-Agenturen eine zunehmende Bedeutung bei. Durch unsere Anfrage sind wir ein Sprachrohr des Kapitalmarktes. Über uns erfahren die Unternehmen ganz konkret, was Akteure am Kapitalmarkt von ihnen erwarten, vor allem wenn mehrere Agenturen ins gleiche Horn blasen, sich also mit ähnlichen Fragen und Forderungen melden.
Außerdem spüren die Nachhaltigkeitsrating-Agenturen für die Unternehmen Zukunftsthemen auf. In der Kommunikation mit uns werden sie etwa darauf hingewiesen, dass ein effizientes Wassermanagement in den kommenden Jahren ein wichtiges Thema werden wird. Nachhaltigkeitsanalysen weisen darauf hin, dass hier Probleme bestehen, die in den kommenden Jahren immer dringlicher werden. Mit unseren Anfragen können wir Anstöße geben, hier frühzeitig Lösungen anzustreben.
ECOreporter.de: In den letzten Jahren hat im Bereich der Nachhaltigkeitsrating-Agentur eine starke Marktbereinigung stattgefunden. Was ist der Grund dafür, welche Chancen und welche Risiken gehen mit dieser Entwicklung einher?
Riedel: Vor Jahren gab es sehr viele Akteure im Markt, von denen wiederum viele einfach zu klein waren, um den steigenden Anforderungen auch gerecht zu werden. Insofern war es naheliegend und auch hilfreich, dass es zu Zusammenschlüssen und Übernahmen kam. Dies kann zu mehr Qualität bei den Analysen führen. Daneben drängte große Akteure wie der Index-Anbieter MSCI neu in den Markt, weil sie das große Potential im Markt des nachhaltigen Investments erkannt haben und sich durch Übernahmen kleiner Spezialisten für Nachhaltigkeitsratings die benötigte Kompetenz einverleiben konnten.
Eine Folge dieser Marktbereinigung kann sein, dass die Analysen sich verstärkt dem Mainstream anpassen, also zum Beispiel weniger streng ausfallen, um Anlageuniversen nicht zu sehr einzuschränken. Aber ich bin davon überzeugt, dass es auch in Zukunft eine ausreichende Nachfrage für tiefgehende Nachhaltigkeitsanalysen geben wird. Zum Beispiel im deutschen Markt hat sich einfach ein bestimmtes Niveau etabliert, das die Kunden verlangen. Daher werden auch in Zukunft qualitätsorientierte Nischenanbieter ihren Platz im Markt finden können. Es wird für sie aber nicht einfacher werden.
ECOreporter.de: Wie kann eine Nachhaltigkeitsrating-Agentur wirtschaftlich arbeiten? Inwiefern können freie Nachhaltigkeitsrating-Agenturen auch in Zukunft unabhängig am Markt bestehen?
Riedel: Als Nachhaltigkeitsrating-Agentur sollte man bei den Kunden breit aufgestellt sein, sich also nicht auf wenige Kunden beschränken. Das wird aber auch dadurch erleichtert, dass der Markt des nachhaltigen Investments ein absoluter Wachstumsmarkt ist, mit weiter großem Wachstumspotential. Immer mehr potentielle Kunden kommen in diesen Markt und benötigen fundierte Nachhaltigkeitsanalysen.
Natürlich gibt es Kunden mit einer starken Preissensibilität. Doch wer für ein Nachhaltigkeitsrating nur wenig zu zahlen bereit ist, ist meist auch nicht sehr an dem Thema Nachhaltigkeit interessiert und wird kaum ein Großkunde werden. Andere Anbieter setzen bewusst auf Nachhaltigkeit, erkennen die Bedeutung grundlegender Analysen dafür und sind bereit, dafür angemessen zu bezahlen.
ECOreporter.de: Frau Riedel, wir danken Ihnen für das Gespräch.
ECOreporter.de: Was unterscheidet die Arbeit einer Nachhaltigkeitsrating-Agentur von einer herkömmlichen Ratingagentur?
Silke Riedel: Zunächst einmal das Thema Nachhaltigkeit. Eine Nachhaltigkeitsrating-Agentur bearbeitet die so genannten ESG-Themen ( Environmenty, Social, Corporate Governance): die ökologische Nachhaltigkeit von Emittenten, deren soziale Leistungen und die Qualität der Unternehmensführung. Ganz wichtig ist auch der Unterschied im Geschäftsmodell: herkömmliche Ratingagenturen werden von den Emittenten bezahlt, also den Objekten ihrer Analysen. Eine Nachhaltigkeitsrating-Agentur dagegen bekommt ihr Geld von den Investoren, also den Nutzern der Analysen, und vermeidet so den Interessenkonflikt, eine Bewertung der zahlenden Kunden zu erstellen. Zudem wird der Markt für nachhaltige Ratings nicht von ganz wenigen Anbietern bestimmt, wie es bei herkömmlichen Ratings der Fall ist. Fitch, Standard & Poor’s und Moody's bilden ja ein Oligopol und können ihre Methoden bestimmen. Als Nachhaltigkeitsrating-Agentur stehen sie im Wettbewerb mit ungleich mehr Anbietern und müssen darauf eingehen, worauf ihre Kunden Wert legen. Hier bestimmen also die Investoren, worauf die Nachhaltigkeitsanalyse eingeht.
Hinzu kommt, dass ein herkömmliches Rating sich im Wesentlichen auf die Informationen beschränkt, die bei den Emittenten eingeholt werden. Bei einem Nachhaltigkeitsrating fließen auch viele externe Quellen, z.B. von kritischen Nichtregierungsorganisationen mit ein, mit Angaben, die zuweilen im Widerspruch zu den Angaben der Emittenten stehen, und die man einordnen muss.
ECOreporter.de: Was zeichnet eine gute Nachhaltigkeitsrating-Agentur, was muss sie bieten?
Riedel: Vor allem muss sie eine hohe Transparenz über ihre Methoden und Kriterien bieten. Es muss deutlich nachvollziehbar sein, welche Annahmen und Bewertungen zu einer Beurteilung führen, wie die Ratings zustande kommen. Für die Emittenten darf das Rating keine „black box“ darstellen, sie müssen das Urteil verstehen können, nur dann können sie auch Verbesserungen anstreben.
Wichtig ist daneben, dass die Analysten gut ausgebildet sind und in der Nachhaltigkeitsrating-Agentur eine Breite von Qualifikationen besteht. Dass also nicht nur Ökonomen eingebunden werden, sondern sich in den Teams Experten mit verschiedenen Hintergründen befinden, zum Beispiel auch Ingenieure, Sozial- und Kulturwissenschaftler. Wesentlich ist, dass die Analysten kritische Geister sind, also Informationen kritisch hinterfragen können, nicht nur Daten sammeln, sondern auch interpretieren und gewichten können. Dass sie in der Lage sind, wirklich tiefe Analysen zu erstellen.
Von der Methodik her erscheint es mir sehr wichtig, dass die Ratings eine große Breite an Themen abdecken, sich also nicht auf wenige Indikatoren beschränken. Prominente Indikatoren wie die Emission von Klimagasen müssen berücksichtigt werden, aber es ist gut, wenn auch Themen wie etwa der Artenschutz mit einfließen oder der Umgang mit Tierversuchen, um Beispiele aus dem ökologischen Bereich zu nennen.
ECOreporter.de: Inwiefern gibt es Mindeststandards für Nachhaltigkeitsratings? Existieren entsprechende Siegel oder Zertifizierungen?
Riedel: Unabhängige Nachhaltigkeitsrating-Agenturen haben einen neuen europäischen Qualitätsstandard für nachhaltiges Investment (SRI) und unternehmerische Nachhaltigkeit (CSR) ins Leben gerufen. Von den deutschen Anbietern wurden zum Beispiel imug und oekom research nach diesem freiwilligen Standard des Verbands der unabhängigen Nachhaltigkeits-Rating-Agenturen (Association for Independent Corporate Sustainability and Responsibility Research - AI CSRR) zertifiziert. Dieses freiwillige Auditierungssystem stellt sehr hohe Ansprüche. Gefordert werden etwa fortlaufende Qualitätsverbesserungen und Qualitätskontrollsysteme über alle Researchgebiete und die Verankerung einer kontinuierlichen Qualitätsprüfung in allen Arbeitsabläufen. Das CSRR-Siegel sichert hohe Qualitätsmaßstäbe bei der Analyse von Nachhaltigkeit und unternehmerischer Verantwortung zu sichern. Er fordert vor allem eine grundlegende Orientierung an den Prinzipien Integrität, Transparenz und Verantwortlichkeit. Weitere Informationen zum Qualitätsstandard der AI CSRR finden Sie unter:

ECOreporter.de: Wie aussagefähig kann ein Nachhaltigkeitsrating sein? Wie sehr muss die Analyse im Ergebnis verkürzen, um doch für das Management einen Nachhaltigkeitsfonds so handhabbar zu sein, dass er beim Verwalten von Dutzenden Einzelpositionen darauf aufbauen kann?
Riedel: Natürlich kann ein Nachhaltigkeitsrating immer nur eine Annäherung an die Wirklichkeit sein. Zwar wird am Ende die Analyse zu einer konkreten Aussage verdichtet, also in einer Benotung oder einer Einstufung gebündelt, die dann darüber entscheidet, ob Wertpapiere eines Emittenten in ein nachhaltiges Anlageuniversum aufgenommen werden können oder nicht. Aber die Nachhaltigkeitsrating-Agenturen stellen den Kunden ja nicht nur das Ergebnis zur Verfügung, sondern zu jedem Titel einen ausführlichen Report mit 25 bis 50 Seiten Umfang. Natürlich wird ein Fondsmanagement nicht all diese Reports lesen, sondern sich im Wesentlichen an die Bewertungsergebnisse halten. Aber die Kunden haben die Möglichkeit, sich die Nachhaltigkeitsleistung einzelner Emittenten genauer anzuschauen. Etwa wenn ein Titel schlecht bewertet wird, der bislang im Portfolio enthalten war. Dann kann ein Fondsmanager oder der Nachhaltigkeitsbeirat eines Fonds in den Report schauen und sich ein genaueres eigenes Urteil dazu bilden, ob der Titel nun nicht mehr investierbar ist – und warum.
ECOreporter.de: Auf welche Informationsquellen muss sich ein Nachhaltigkeitsrating stützen? Was ist das Minimum, was würden Sie als sinnvolle Ergänzung einordnen?
Riedel: Die Angaben, die Unternehmen zur Verfügung stellen, sind eine wichtige Basis. Viele stellen ja mittlerweile Nachhaltigkeitsberichte zur Verfügung. Das ist aber nur eine Grundlage. Eine sehr große Rolle spielen externe Quellen, also Informationen von unabhängigen Experten – etwa zu den spezifischen Nachhaltigkeitsproblemen einzelner Branche – und von Nicht-Regierungsorganisationen, die häufig die besonderen Bedingungen vor Ort sehr genau kennen und auf lokale Besonderheiten hinweisen können. Solche externen Quellen kann man nicht einfach einkaufen, solch ein Stamm an hilfreichen Kontakten muss über Jahre aufgebaut und gepflegt werden. Hinzu kommt ein systematisches und kompetentes Medienscreenig, durch das man zum Beispiel auf Berichte über den Umgang mit Mitarbeitern oder Umweltprobleme stoßen kann.
Früher haben Nachhaltigkeitsanalysten auch häufiger Besuche vor Ort durchgeführt, also zum Beispiel Produktionsstätten aufgesucht. Dabei steht aber meist der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ertrag. Die modernen Kommunikationsmittel machen es heute auch viel leichter, mit Unternehmen einen intensiven Austausch über ihre Nachhaltigkeit zu führen.
Hinzu kommt, dass etliche Nachhaltigkeitsrating-Agenturen sich in internationalen Netzwerken zusammen geschlossen haben, so wie das imug dem Netzwerk von Eiris angehört. So können wir Analysen von Agenturen aus deren Heimatmarkt abrufen, etwa aus Japan über japanische Unternehmen, und wiederum Anfragen zur Nachhaltigkeit deutscher Unternehmen beantworten.
ECOreporter.de: Wie funktioniert die Kommunikation einer Nachhaltigkeitsrating-Agentur mit dem zu analysierenden Unternehmen konkret? Inwiefern ist sie standardisiert, inwiefern führt sie zu Ergebnissen, die über reine Fakten hinausgehen?
Riedel: Bei uns hat es sich als Standard etabliert, den Emittenten einmal im Jahr ihr Profil zu zusenden, mitsamt noch offenen Fragen. Die können das Profil dann kommentieren und die offenen Fragen beantworten. Auf diese Weise entsteht viel direkte Kommunikation. Bei Unternehmen sind die Abteilungen für Investor Relations unsere primären Ansprechpartner, immer öfter auch Nachhaltigkeitsbeauftragte und Nachhaltigkeitsstäbe. Hier wurde auch in Krisenzeiten Kapazität aufgebaut, nicht etwa abgebaut.
Denn viele Unternehmen messen dem Austausch mit Nachhaltigkeitsrating-Agenturen eine zunehmende Bedeutung bei. Durch unsere Anfrage sind wir ein Sprachrohr des Kapitalmarktes. Über uns erfahren die Unternehmen ganz konkret, was Akteure am Kapitalmarkt von ihnen erwarten, vor allem wenn mehrere Agenturen ins gleiche Horn blasen, sich also mit ähnlichen Fragen und Forderungen melden.
Außerdem spüren die Nachhaltigkeitsrating-Agenturen für die Unternehmen Zukunftsthemen auf. In der Kommunikation mit uns werden sie etwa darauf hingewiesen, dass ein effizientes Wassermanagement in den kommenden Jahren ein wichtiges Thema werden wird. Nachhaltigkeitsanalysen weisen darauf hin, dass hier Probleme bestehen, die in den kommenden Jahren immer dringlicher werden. Mit unseren Anfragen können wir Anstöße geben, hier frühzeitig Lösungen anzustreben.
ECOreporter.de: In den letzten Jahren hat im Bereich der Nachhaltigkeitsrating-Agentur eine starke Marktbereinigung stattgefunden. Was ist der Grund dafür, welche Chancen und welche Risiken gehen mit dieser Entwicklung einher?
Riedel: Vor Jahren gab es sehr viele Akteure im Markt, von denen wiederum viele einfach zu klein waren, um den steigenden Anforderungen auch gerecht zu werden. Insofern war es naheliegend und auch hilfreich, dass es zu Zusammenschlüssen und Übernahmen kam. Dies kann zu mehr Qualität bei den Analysen führen. Daneben drängte große Akteure wie der Index-Anbieter MSCI neu in den Markt, weil sie das große Potential im Markt des nachhaltigen Investments erkannt haben und sich durch Übernahmen kleiner Spezialisten für Nachhaltigkeitsratings die benötigte Kompetenz einverleiben konnten.
Eine Folge dieser Marktbereinigung kann sein, dass die Analysen sich verstärkt dem Mainstream anpassen, also zum Beispiel weniger streng ausfallen, um Anlageuniversen nicht zu sehr einzuschränken. Aber ich bin davon überzeugt, dass es auch in Zukunft eine ausreichende Nachfrage für tiefgehende Nachhaltigkeitsanalysen geben wird. Zum Beispiel im deutschen Markt hat sich einfach ein bestimmtes Niveau etabliert, das die Kunden verlangen. Daher werden auch in Zukunft qualitätsorientierte Nischenanbieter ihren Platz im Markt finden können. Es wird für sie aber nicht einfacher werden.
ECOreporter.de: Wie kann eine Nachhaltigkeitsrating-Agentur wirtschaftlich arbeiten? Inwiefern können freie Nachhaltigkeitsrating-Agenturen auch in Zukunft unabhängig am Markt bestehen?
Riedel: Als Nachhaltigkeitsrating-Agentur sollte man bei den Kunden breit aufgestellt sein, sich also nicht auf wenige Kunden beschränken. Das wird aber auch dadurch erleichtert, dass der Markt des nachhaltigen Investments ein absoluter Wachstumsmarkt ist, mit weiter großem Wachstumspotential. Immer mehr potentielle Kunden kommen in diesen Markt und benötigen fundierte Nachhaltigkeitsanalysen.
Natürlich gibt es Kunden mit einer starken Preissensibilität. Doch wer für ein Nachhaltigkeitsrating nur wenig zu zahlen bereit ist, ist meist auch nicht sehr an dem Thema Nachhaltigkeit interessiert und wird kaum ein Großkunde werden. Andere Anbieter setzen bewusst auf Nachhaltigkeit, erkennen die Bedeutung grundlegender Analysen dafür und sind bereit, dafür angemessen zu bezahlen.
ECOreporter.de: Frau Riedel, wir danken Ihnen für das Gespräch.