Erneuerbare Energie

Grünstromverbände sehen Energiewende am Scheideweg

Während Union und SPD sich bei den Verhandlungen über eine Große Koalition auch bei Grundfragen zur Energiepolitik um eine Einigung ringen, schlagen die Verbände der Erneuerbaren Energien Alarm. Sie sehen die Energiewende „am Scheideweg“. Sowohl der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) als auch die Spartenverbände für Biogas, Solarenergie und Windenergie haben heute in Berlin gemeinsam von der kommenden Bundesregierung eine Politik eingefordert, “mit der die Energiewende erfolgreich weitergeführt werden kann“, wie es in ihrer Erklärung heißt. Deutschland stehe angesichts großer Überkapazitäten im Strommarkt und Plänen zum Bau von weiteren fossilen Kraftwerken vor der Systemfrage, so die Vertreter der Erneuerbaren-Branche. „Wir brauchen politische Rahmenbedingungen, die keinerlei Zweifel an dem Willen zur erfolgreichen Umsetzung der Energiewende aufkommen lassen“, stellte der neue BEE-Präsident Fritz Brickwedde dazu fest. Die neue Bundesregierung Deutschlands dürfe den Ausbau der Erneuerbaren keinesfalls auf 40 Prozent Anteil an der Stromproduktion im Jahr 2020 und 55 Prozent 2030 deckeln. Das wäre auch ein falsches Signal an die Klimaschutzkonferenz in Warschau. Wie bislang aus den Koalitionsverhandlungen durchsickerte, strebt die Union unter Führung von Bundesumweltminister Peter Altmaier genau solche Marken an.  

Eine besonders große Gefahr sieht Horst Seide, Präsident des Fachverbandes Biogas, für die Biogasbranche. Die bisherigen Entwürfe des Koalitionsvertrages sehen hier starke Einschnitte vor und den Ausschluss von Getreide wie etwa Mais als Rohstoff für die Verstromung von Biomasse. „Wenn Strom aus Wind- und Solaranlagen das Zentrum der künftigen Stromerzeugung bilden soll, dann müssen deren naturgegebenen Lieferlücken durch den flexiblen erneuerbaren Energieträger Biogas gefüllt werden“, so Seide. Diese Funktion des Systemstabilisators könne die Branche aber nur übernehmen, wenn die neue Regierung ihr eine Perspektive gäben. Mit einem Ausschluss der Energiepflanzen für künftige Biogasprojekte würde die Branche, die nach bereits erfolgten Kürzungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in den vergangenen zwei Jahren bereits massive Umsatzeinbrüche verzeichnet habe, „vollends abgewürgt“, so Seide. „Nach Jahren der Erforschung kommen nun ökologisch vorteilhafte Energiepflanzen in die Praxis und sorgen zunehmend für Vielfalt auf dem Acker. Diese Entwicklung sollte jetzt nicht verhindert, sondern gestärkt werden“, führte er weiter aus.

Dr. Günther Häckl, Präsident des Bundesverbandes Solarwirtschaft (BSW-Solar), bereiten Pläne für  die Besteuerung von Solaranlagen, für Abgaben, Umlagen oder administrative Barrieren Sorgen, die ebenfalls derzeit in den Koalitionsgesprächen erwogen werden. Er weist darauf hin, dass der deutsche Photovoltaik-Markt seit den massiven Fördereinschnitten im vergangenen Jahr um mehr als 60 Prozent eingebrochen ist. „Weitere Belastungen kann die Solarbranche derzeit nicht verkraften. Sonst kann die Solarenergie – von der kleinen Bürgeranlage bis zum Solarkraftwerk – nicht die gewünschte tragende Rolle in der künftigen Energieerzeugung unseres Landes spielen“, warnt Häckl.

Die Präsidentin des Bundesverbandes WindEnergie (BWE), Sylvia Pilarsky-Grosch, wandte sich gegen Vorwürfe, die vor allem aus der Union zu vernehmen waren, ihre Branche würde zu stark gefördert:  „Entgegen der Polemik der vergangenen Tage ist klar: Mit einer Vergütung zwischen 9,15 Cent und knapp unter 6 Cent je Kilowattstunde ist die Windenergie an Land kein Kostentreiber, sondern stabilisiert den Strompreis. Eine moderne Windkraftanlage ist in den Stromgestehungskosten günstiger als ein neues Kohlekraftwerk, wenn alle Kosten fair berücksichtigt werden.“ Pilarsky-Grosch verweist auf eine aktuelle Kostenstudie des BWE und des Maschinenbauverbands VDMA, wonach es keine flächendeckende Überförderung gebe. Allenfalls an guten Standorten gebe es Einsparpotentiale. Laut der Verbandschefin, würden Ausbaukorridore oder neue Abstandsregelungen, wie sie von den Verhandlungspartnern diskutiert werden, die Energiewende ausbremsen und weit über 100.000 Arbeitsplätze in der exportstarken Windbranche gefährden.

„Die Stromgestehungskosten von Windenergieanlagen sind in den letzten Jahren insbesondere aufgrund technischer Anlagenoptimierungen und neuen Anlagenkonzepten weiter deutlich gesunken“, stellte Thorsten Herdan, Geschäftsführer VDMA Power Systems, zu der angeführten Windkraft-Studie fest. Ihm zufolge sind Kosten für Windkraftprojekte von vielen Faktoren abhängig, etwa von Standortspezifika, Materialpreisen, Finanzierungskosten und eben den politischen Rahmenbedingungen. Kostensenkungen können nur unter Berücksichtigung dieser Abhängigkeiten bewertet und erzielt werden. Mit einem einheitlichen Vergütungssatz würden je nach Höhe entweder Projekte nur an den besten Standorten umgesetzt oder an diesen eben erhebliche Mitnahmeeffekte ausgelöst. Bei der Windenergie an Land kommt es bei der grundlegenden Reform des EEG darauf an, das bestehende Vergütungssystem zu optimieren, und dort, wo Kostensenkungen möglich sind, diese auch zu realisieren. Per  Mausklick gelangen Sie zu einer Kurzfassung der Studie „Kostensituation der Windenergie an Land“.

Bildhinweis: Die Stromgestehungskosten von Windenergieanlage haben sich denen von Kohlekraftwerken deutlich angenähert. / Quelle: Fotolia

Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE aus Freiburg sind die Stromgestehungskosten bei allen Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien in den letzten Jahren stark gefallen. Sie hätten inzwischen den Anschluss an die konventionelle Stromerzeugung erreicht, heißt es in der Untersuchung mit dem Titel „Stromgestehungskosten erneuerbare Energien“. Selbst kleine Aufdachsolaranlagen in Norddeutschland seien heute in der Lage, Strom für unter 0,14 Euro/Kilowattstunde (kWh) zu produzieren. Sie lägen damit weit unter dem durchschnittlichen Haushaltsstrompreis von 0,29 Euro/kWh.

Die Autoren der Analyse gehen davon aus, dass die Kosten für Strom aus Photovoltaik- und Windanlagen in Deutschland in 2030 unter denen fossiler Kraftwerke liegen werden. „Entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit von erneuerbaren und konventionellen Energien sind nicht die Herstellungskosten allein, sondern auch vor- und nachgelagerte Kosten“, erläutert Christoph Kost, Projektleiter am Fraunhofer ISE. „Natürliche Rahmenbedingungen wie Sonneneinstrahlung und Windangebot, Finanzierungskosten und Risikoaufschläge für neue Kraftwerke haben erheblichen Einfluss auf die Ergebnisse. Nur mit ihrer Berücksichtigung können wir die Stromgestehungskosten einzelner Technologien wirklich miteinander vergleichen und die Konkurrenzfähigkeit der erneuerbaren Energien überzeugend veranschaulichen.“

Als Referenzwerte zog die Studie die Stromgestehungskosten von neuen konventionellen Braun-, Steinkohle- und Erdgaskraftwerken heran. Abhängig von den angenommenen Volllaststunden, Brennstoff- und CO2-Zertifikatspreisen liegen die Stromgestehungskosten von Braunkohle der Untersuchung zufolge aktuell bei bis zu 0,053 Euro/kWh, von Steinkohle bei bis zu 0,080 Euro/kWh und von Gas- und Dampfkraftwerken (GuD) bei bis zu 0,098 Euro/kWh. Die Autoren der Untersuchung gehen davon aus, dass die Stromgestehungskosten für Photovoltaik bis 2030 auf 0,06 bis 0,09 Euro/kWh sinken werden. "Damit könnten selbst kleine Aufdachanlagen mit Onshore-Wind und den gestiegenen Stromgestehungskosten von Braunkohle-, Steinkohle- und GuD-Kraftwerken konkurrieren", sagt Prof. Eicke R. Weber, Leiter des Fraunhofer ISE. Im Vergleich der erneuerbaren Energien untereinander zeige sich zudem, dass die Kosten von Photovoltaik- und Onshore-Windanlagen zukünftig auf dem gleichen Level deutlich unter 0,10 Euro/kWh liegen werden.

Nach Auffassung der Erneuerbaren-Verbände steht nun in Deutschland der Beweis an, dass die Energiewende machbar ist: „Wir sind global der technologische Taktgeber für Erneuerbare Energie und setzen bei Anlagen, Netzsteuerung und Systemverträglichkeit den technischen Maßstab in der Welt. Damit dies so bleibt, brauchen wir einen funktionierenden Heimatmarkt und eine Bundesregierung, die bereit ist, die von ihr begonnene Energiewende fortzuführen“, teilten sie in ihrer gemeinsamen Erklärung mit.
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