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„Greenwashing ist schwer erkennbar“ – Interview mit Hendrik Jan Boer, ING Investment Management



ECOreporter.de: Warum schließt der Sustainable Growth Fund Unternehmen aus dem Bereich Glücksspiel aus?

Hendrik Jan Boer: Dieses Ausschlusskriterium wurde zu Beginn der Strategie-Entwicklung für den Fonds im Jahr 2000 festgelegt. Der Festlegung der Ausschlusskriterien gingen intensive Marktanalysen und Beratungen voraus. Viele der involvierten Experten und potentiellen Kunden waren dagegen und auch unser Anlageausschuss haben sich damals eindeutig für Glücksspiel als Ausschlusskriterium ausgesprochen, weil es der Suchtgefährdung Vorschub leistet und nicht selten von Kriminellen für Geldwäschegeschäfte genutzt wird.



ECOreporter.de: Wie funktioniert die Nachhaltigkeitsanalyse zu Glücksspiel als Ausschlusskriterium? Welche Faktoren sind ausschlaggebend für den Ausschluss aus dem Fondsportfolio?

Boer: Die Unternehmen werden auf jedwede direkte Verbindung zu Glücksspielaktivitäten oder Einkünften daraus untersucht. Weist die Analyse einem Unternehmen solch eine Verbindung zu Glücksspiel nach, wird das Unternehmen umgehend ausgeschlossen, sofern der Bereich Glücksspiel 5 Prozent oder mehr am Jahresumsatz ausmacht. Die 5-Prozent-Toleranzgrenze wird gewährt, weil Unternehmen indirekt oder gegen ihren Willen an entsprechende Beteiligungen gekommen sein können. Für solche Fälle gewähren wir den Unternehmen den Spielraum, sich zu erklären, mögliche Gegenmaßnahmen zu ergreifen oder Ausstiegsstrategien zu entwickeln.



ECOreporter.de: Wurde in den letzten drei Jahren ein Unternehmen ausgeschlossen? Beispielsweise wurde die Deutsche Bank aus einigen Nachhaltigkeitsfonds und –indices gestrichen, nachdem bekannt wurde, dass sie in ein Kasino-Projekt in Las Vegas investiert. Wie bewerten Sie diesen Fall? War der Sustainable Growth Fund auch selbst in Aktien der Deutschen Bank investiert?

Boer: Im Fall der Deutschen Bank war klar, dass das Las-Vegas-Investment nicht aktiv und zu 100 Prozent von der Bank getätigt wurde. Sondern, dass das Projekt der Bank eher unfreiwillig zufiel. Die Deutsche Bank ist deshalb derzeit nicht vom Investment-Universum des Sustainable Growth Fund ausgeschlossen, obwohl Glücksspiel ein Ausschlusskriterium ist. Alle Analysten bezweifeln den strategischen Wert des Engagements. Unser Finanzanalyst Vincent Kester bewertet dieses Investment als intransparent und eher schädlich für die Bank.
Der Sustainbale Growth Fund war noch nie in Aktien der Deutschen Bank investiert. Bei der Entscheidung gegen die Aktie, standen andere Investmentaktivitäten der Bank im Vordergrund, beispielsweise die Finanzierung von großen Staudamm-Projekten. Obwohl sich das Unternehmen gewandelt hat, und derzeit den Anforderungen unserer Nachaltigkeitsanalyse standhält, sind unsere Analysten aufgrund von ökonomischen Gesichtspunkten von der Aktie nicht sonderlich überzeugt.
Ich möchte klarstellen, dass Nachhaltigkeitsanalysen grundsätzlich nicht allein von kurzfristigen Ereignissen bestimmt sein sollten. Die Sichtweise auf das Unternehmen sollte eine ganzheitlichere sein. Auch in unserem Ranking ergeben die jüngsten Screenings in punkto Best-in-Class und im Vergleich zu Wettbewerbern weiterhin grünes Licht für ein Investment.
Man sollte zudem einen Unterschied machen zwischen Best-In-Class-Analysen und stärker ethisch geprägten Ausschlusskriterien, zu denen Glücksspiel eindeutig zählt.



ECOreporter.de: Der Fonds schließt neben Glücksspiel auch Unternehmen aus, die Kinderarbeit und weitere Menschenrechtsverletzungen betreiben oder tolerieren. Wie können solche teils schwer nachweisbaren Dinge effektiv kontrolliert und ausgeschlossen werden?

Boer: Das wichtigste dabei ist, dass man auf Daten und Analysen aus unabhängigen Quellen zurückgreifen kann. Unser wichtigster Maßstab hierfür ist unsere Partnerschaft mit Sustainalytics. Diese Nachhaltigkeitsrating-Agentur ist nicht nur unabhängig sondern verfügt zugleich über die notwendigen Ressourcen und Erfahrungen, dieser Aufgabe gerecht zu werden.
Unsere Best-In-Class-Analyse berücksichtigt zwischen 100 und 150 Faktoren, die von Sustainalytics ausgearbeitet und erhoben werden.




ECOreporter.de: Wenn ein Unternehmen durch ihre Nachhaltigkeitsanalyse durchfällt, beschränken Sie sich dann darauf, es vom Investment auszuschließen, oder ergreifen Sie weitere Maßnahmen um darauf hinzuwirken, dass nachgewiesenes Fehlverhalten aufhört?

Boer: Sollte sich das Profil eines Unternehmens, in das der Fonds investiert, maßgeblich verschlechtern, verkaufen wir die Anteile. Wir engagieren uns in solchen Fällen aber auch auf Management-Meetings und nutzen unser Stimmrecht als Anteilseigner auf Hauptversammlungen.



ECOreporter.de: Kritiker des Best-in-Class-Ansatzes sagen, ein solcher Ansatz leiste so genanntem Greenwashing Vorschub, weil er auch Unternehmen wie BP als Nachhaltigkeitsbeste in alles andere als nachhaltigen Branchen ausweisen kann. Wie stehen Sie zu dieser These?

Boer: Mit Blick auf unseren Kriterienkatalog kann ich sagen, dass solche Unternehmen bei unserer Nachhaltigkeitsanalyse durchfallen. Sie schaffen es daraufhin weder ins Portfolio noch ins Anlageuniversum des Fonds. Im (sehr) erweiterten Anlageuniversum des Fonds mag es potenzielle Investmentkandidaten aus weniger „grünen“ Branchen geben. Aber wir sind uns der Gefahr des Greenwashing sehr wohl bewusst. Auch deshalb ist der Best-in-Class nur eine von zwei Methoden, die für den Fonds zusammen zum Einsatz kommen. Die Analyse nach kontroversen Geschäftsinhalten sollte die Frage beantworten, ob das Unternehmen wirklich das tut, was es zu tun vorgibt?‘



ECOreporter.de: Woran können Privatinvestoren selbst möglichst schnell und einfach erkennen, ob ein Unternehmen Greenwashing betreibt oder eine ernsthafte Nachhaltigkeitsstrategie verfolgt?

Boer: Greenwashing ist nicht schnell und einfach erkennbar. Dazu braucht es wirkliches Wissen über das betreffende Unternehmen. Nur so ist zu erkennen, wie Firmen mit ihrer eigenen Unternehmenspolitik umgehen und wie sie sich über längere Zeiträume hinweg entwickeln. Wirklich unabhängige Nachhaltigkeitsanalysten, die dies durchdringen sollen, müssen über einschlägige und langjährige Erfahrung verfügen. Misstrauisch werden wir, wenn ein Unternehmen, das über Jahre hinweg Transparenz vermissen lässt, plötzlich einen Kurswechsel vollzieht, um einen speziellen Referenzwert in Sachen Nachhaltigkeit zu erreichen.

ECOreporter.de: Herr Boer, wir danken Ihnen für das Gespräch.
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