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"Gewinnmaximierung ist unchristlich" - Schwester Teresa Forcades im Interview
Schwester Teresa Forcades ist Nonne und Kapitalismuskritikerin. Das System gefährde den Zusammenhalt, sagt sie. Es gehe nicht darum, möglichst viel Geld zu verdienen, sondern unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Angestellte schlechter zu bezahlen, mit billigeren Rohstoffen schlechte Qualität erzeugen, um möglichst hohen Profit zu machen - das sei korrupt, entspreche aber der Logik des kapitalistischen Systems. Eine staatskontrollierte Ökonomie sei aber auch keine Lösung.
ECOreporter: Schwester Teresa, leben wir in Zeiten der Globalisierung in einer gerechten Welt?
Schwester Teresa: Nein, denn die weltweit verbreitete Ungerechtigkeit ist inkompatibel mit der Demokratie. Überall stehen große Unternehmen unter politischem Schutz, ihnen darf nicht geschadet werden. Es geht in großen Handelsabkommen nur darum, ihre Freiheiten zu erweitern. Gerichte fühlen sich im Zweifelsfall nicht zuständig, Schiedsgerichte sind keine Gerichte, sondern Mediatoren, die meist auf Seiten der Unternehmen sind. Jeder Mensch muss essen und trinken können, benötigt Schutz, ein Dach über dem Kopf, Gesundheitsvorsorge. Das sehe ich immer noch nicht gewährleistet.
Ist Besserung in Sicht?
Ich befürchte nicht. Die Hilfsorganisation Oxfam hat 2015 prognostiziert, dass ein Prozent der Weltbevölkerung reicher sein wird als der Rest der Welt. Genau das ist zwei Jahre später eingetroffen. Die Reichen sind so mächtig geworden, dass sie Demokratien unterdrücken können.
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Europa basiert auf dem Demokratiegedanken.
Europa soll ein Beispiel für gelebte humanistische Werte sein. In der Realität sieht es aber so aus, dass es auf unserem Kontinent 123 Millionen Arme gibt, darunter 50 Millionen sehr arme. Im ganzen EU-Raum versickerten 2016 rund eine Milliarde Euro Steuergelder, 99 Prozent davon gingen auf das Konto der Reichen. Das ist Diebstahl. Der Kapitalismus garantiert Freiheit nur für sehr Wenige. Gott hat uns aber gelehrt, miteinander zu teilen. Es gibt mehr als genug für alle. Wir wollen doch in einer Demokratie und nicht in einer Plutokratie leben.
Hat die Demokratie keine Zukunft?
Schwester Teresa: Ich bin Demokratin, weil ich das System für das am wenigsten schlechteste halte. Das Problem ist die Demokratie, die nur repräsentativ ist. Sie unterbindet die unmittelbare Mitsprache des Volkes, das nur noch politisch konsumiert, aber nicht agiert. Ich ziehe die direkte Demokratie vor, wie sie in der Schweiz ausgeübt wird. Dort ist die Bevölkerung stärker in Entscheidungen eingebunden. Ideal ist dieses System aber auch nicht, schließlich ist die Schweiz ein Zentrum der Steuerdelikte.
Zur Person: Schwester Teresa
Die Benediktinerin Teresa Forcades ist Ärztin und Theologin. Die Spanierin studierte in Harvard, Barcelona und New York. Sie lebt und arbeitet seit über 20 Jahren auf dem Berg Montserrat im Kloster Sant Benet.
Die Nonne engagiert sich in der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung, geißelt die Machenschaften großer Pharmakonzerne und die Auswüchse des Kapitalismus.
Was wäre besser?
Ich plädiere für eine deliberative Demokratie, in der die Menschen im Austausch miteinander stehen. Wo sie über Grenzen hinweg auch mit denen reden, die andere Meinungen vertreten. Wo die Menschen ihren Nachbarn vertrauen und Neues ausprobieren, um unser Leben zu verbessern.
Wachstum verbessert unser Leben. Ohne Wachstum geht es nicht.
Viele Menschen haben eine rein ökonomische Vorstellung von Wachstum. Die klassische Wirtschaftswissenschaft redet den Menschen ein, möglichst schnell möglichst viel Geld machen zu müssen. Gewinnmaximierung aber ist unchristlich. Jesus hat in der Bergpredigt gesagt: „Niemand kann zwei Herren dienen. – Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“
Aber wir müssen doch Geld verdienen.
Natürlich müssen die Menschen Geld verdienen. Wir leisten das mit dem Verkauf von Keramiken in unserem Kloster auch.

Schwester Teresa Forcades kritisiert den Kapitalismus. Foto: Teresa Forcades
Aber wollen wir möglichst viel Geld damit verdienen? Nein, wir wollen nur unsere Bedürfnisse befriedigen. Ansonsten müssten wir unsere Angestellten schlechter bezahlen, mit billigeren Rohstoffen schlechte Qualität erzeugen, um möglichst hohen Profit zu machen. Das wäre korrupt, aber es entspricht der Logik des kapitalistischen Systems. Es gibt keine politische Demokratie ohne ökonomische Demokratie.
Ist der Kapitalismus das Problem?
Ja, aber eine staatskontrollierte Ökonomie ist auch keine Lösung. Wir überwinden den Kapitalismus nicht von oben, etwa über eine Partei. Wenn es einen Bewusstseinswandel gibt, dann wird er von unten ausgehen. Ich spreche meist nur vor kleinen Kreisen. Es wäre schön, wenn sich diese Kreise erweitern würden.
Wie könnte ein Wirtschaftssystem aussehen, dass möglichst vielen dient?
Ein Beispiel aus Großbritannien: Der Labour-Politiker Jeremy Corbyn hatte vorgeschlagen, jedes Unternehmen, das den Besitzer wechselt, erst den Beschäftigten anzubieten. Wo aber sollen sie das Geld hernehmen? Meine Antwort: vom Staat. Sollten die Arbeiter erfolgreich sein, zahlen sie das Geld an den Staat zurück, scheitern sie, müssen sie das Geld nicht zurückzahlen. Schließlich hat der Staat das Projekt befürwortet, er zahlt im Fall des Scheiterns Arbeitslosengeld oder andere Unterstützungen. Das große Misstrauen gegenüber solchen Ideen hindert uns aber daran, solche Kooperativen zu gründen.
Das kann in der Praxis aber doch auch nicht funktionieren.
Warum nicht? Dieses Modell braucht Vertrauen, der Kapitalismus aber basiert auf dem gegenseitigen Misstrauen der Menschen, jeder gegen jeden. Wir müssen Misstrauen überwinden. Wenn das nicht gelingt, sehe ich keinen Fortschritt in eine bessere Richtung. Es ist möglich, in Vertrauen zu leben. Diese Erfahrung machen die Menschen im Kapitalismus aber nicht. Wenn sie in Kooperationen gute Erfahrungen sammeln, könnte das eine neue Bewegung hervorrufen, die ich begrüßen würde.
Welche Rolle spielt die Technisierung?
Die Technik ist nicht das Problem, sie hilft uns. Ich schätze die Möglichkeiten sehr, die mir die digitale Welt bietet. Mir bereitet der Mangel an Vertrauen Sorgen. Reden allein reicht nicht. Wir sehen das in Deutschland. Dort, wo die Menschen mit Flüchtlingen an einem Ort zusammenleben, ist die Skepsis in der heimischen Bevölkerung weitaus geringer als dort, wo es keine Flüchtlinge gibt.
Danke für das Gespräch!