Erneuerbare Energie

Finanz-Experte warnt: Neues EEG wird zu weniger Windstrom als möglich führen und zu höheren Preisen als nötig

Der Kieler Banker Dr. Jörg Böttcher ist einer der erfahrensten Finanzexperten, wenn es um Erneuerbare Energie geht, insbesondere um Windenergie. Die Pläne der Bundesregierung für die Reform des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG) hat er sich genau angeschaut. Er hat detaillierte Berechnungen angestellt und kommt zu dem Ergebnis: Da passt etwas ganz und gar nicht. Wenn die Bundesregierung das EEG so umsetzt wie geplant, wird sie für Windanlagenbetreiber die falschen Signale senden. Es wird weniger Windstrom produziert werden als möglich wäre – schlecht für den Klimawandel – und der Strom wird teurer werden als nötig – schlecht für die Stromkunden. Im Ergebnis dürfte zudem die Finanzierung von Windkraftwerken schwieriger werden.

ECOreporter.de: Dr. Böttcher, schon das derzeitige EEG enthält für Windkraftanlagen eine Regelung, mit der Standort, Technik und Vergütung gekoppelt werden. Können Sie kurz den Sinn und das Prinzip dieser Regelung erläutern?

Dr. Böttcher:  Der Gesetzgeber hatte sich bereits bei der Einführung des EEG im Jahr 2000 das Ziel gesetzt, dass Windenergie auch an windschwächeren Standorten möglich sein müsse. Zu diesem Zweck sieht das EEG für den Bereich Onshore-Wind eine Differenzierung von zwei Vergütungssätzen vor, dem erhöhten Vergütungssatz, z.B. 8,9 Cent pro Kilowattstunde (kWh) und dem normalen Vergütungssatz (z.B. 4,95 Cent/kWh). Jedes Projekt erhält die erhöhte Vergütung mindestens für fünf Jahre. Diese Vergütungsdauer verlängert sich in Abhängigkeit von der relativen Standortqualität: Je schlechter das Windangebot ist, umso länger wird die erhöhte Vergütung gezahlt, maximal aber 20 Jahre plus das Jahr der Inbetriebnahme. Als Maßstab dient hierzu der sogenannte Referenzertrag – das ist ein fiktiver Standort, bei dem in 50 Meter Nabenhöhe eine Windgeschwindigkeit von 5,5 Meter pro Sekunde herrscht. Für jeden Prozentpunkt, den ein Vorhaben unter 150 Prozent des Referenzertrages liegt, erhält es die erhöhte Vergütung 2,67 Monate länger. Ein 100-Prozent-Standort erhält damit aktuell die erhöhte Vergütung für 193,33 Monate bzw. 16,11 Jahre (90-Prozent-Standort 220 Monate, 18,33 Jahre). Der Referenzertrag wird aufgrund der tatsächlichen Produktion nach fünf Jahren Betriebsdauer ermittelt und festgesetzt.

ECOreporter.de: Hat diese Regelung ihr Ziel erreicht, oder funktioniert das nicht?

Dr. Böttcher:  Auch wenn die Regelung kompliziert erscheint, hat sie sich bewährt: Windenergie-Vorhaben können damit in ganz Deutschland wirtschaftlich betrieben werden.

ECOreporter.de: Nun gibt es einen neuen Referenten-Entwurf für das EEG. Darin wird auch der Referenzertrag neu geregelt. Was sehen Sie als Kern dieser neuen Fassung an?

Dr. Böttcher:  Die Berechnung des Referenzertrages wird komplexer: Zunächst erhält jedes Vorhaben, das unter 130 Prozent des Referenzertrages produziert, die erhöhte Vergütung für 1,67 Monate länger. Ein 100-Prozent--Standort erhält damit die erhöhte Vergütung für 110 Monate oder 9,17 Jahre. Mit dieser Änderung soll eine Überförderung von sehr windreichen Standorten vermieden werden. Zusätzlich erhält jedes Vorhaben, das unter 95 Prozent des Referenzertrages liegt, die erhöhte Vergütung nochmals um 5,26 Monate länger. Mit dieser zweite Stufe soll erreicht werden, dass nach wie vor Vorhaben an windschwächeren Standorten realisiert werden können.

Bildhinweis: Windpark bei Beckum. / Quelle: Energiekontor

ECOreporter.de: Glauben Sie, dass die neuen Regelungen ihr Ziel erreichen werden, oder haben Sie Bedenken?

Dr. Böttcher:  Das Prinzip einer regional differenzierten Vergütung entsprechend der Windhöffigkeit wird mit der Modifizierung erreicht und auch eine Überförderung von sehr windreichen Standorten vermieden. Allerdings besteht insbesondere für Vorhaben, die einen Referenzertrag zwischen 95 und etwa 80 Prozent aufweisen, ein recht starker Anreiz, die Produktion in den ersten fünf Jahren in Richtung von 80 Prozent Referenzertrag auszusteuern. Denn entsprechend länger gibt es die erhöhte Vergütung, die diesen anfänglichen Nachteil mehr als aufwiegt. Bei Vorhaben, die einen besonders hohen Referenzertrag aufweisen, etwa größer 110 Prozent, und solchen, die einen relativ niedrigen Wert aufweisen, beispielsweise kleiner 80 Prozent, besteht dieser Anreiz hingegen nicht: Die erste Gruppe verliert zu viele Einnahmen in den ersten fünf Jahren, die zweite Gruppe erhält auch nach dem Entwurf der jetzigen Neuregelung die erhöhte Vergütung so lange, dass eine weitere Verlängerung entweder sehr spät im Projekt passiert oder durch die 20-Jahresregel gedeckelt ist.

ECOreporter.de: Kann man das auch so sagen: Der Gesetzgeber hat an die effektive Stromproduktion gedacht, aber der Windanlagenbetreiber wird ein Schnippchen schlagen können?

Dr. Böttcher:  Ja, für eine ganze Reihe von Windparkbetreiber wird es ökonomisch vorteilhaft sein, in den ersten fünf Jahren auf etwas Stromertrag zu verzichten, um die erhöhte Vergütung länger zu bekommen. Und in der Realität ist es so, dass im Bereich zwischen 80 und 95 Prozent Referenzertrag halt eine ganze Reihe von Windenergieprojekten operiert.

ECOreporter.de: Für den Laien klingt das ja nicht so dramatisch: Stromproduktion drosseln, halt ein wenig mehr Laufzeit der erhöhten Vergütung. Ist das wirklich finanziell von so großer Bedeutung?

Dr. Böttcher:  Wir haben mehrere reale Beispielfälle durchgerechnet: Bei einer konkreten Finanzierungsanfrage mit einem Referenzertrag von 95 Prozent bedeutet eine Aussteuerung auf 80 Prozent des Referenzertrages in den Jahren 1 bis 5 immerhin einen Anstieg des gesamten Projektumsatzes über 20 Jahre von 33,4 Millionen Euro auf 37,2 Millionen Euro. Da der Mehrertrag ausschließlich dem Investor zugute kommt, verbessert sich seine interne Rendite um über zwei Prozentpunkte, und damit wird er sein Vorhaben auch entsprechend aussteuern!

ECOreporter.de: Letztlich, in Summe betrachtet: Wenn die neue Regelung so kommt, ist damit die Energiewende im Bereich Windenergie ein Stück weit ad absurdum geführt - anders gesagt: Wird eine volkswirtschaftlich unsinnige Situation herbeigeführt?

Dr. Böttcher:  Ja, bei einer Reihe von Projekten wird anfänglich weniger Strom produziert als technisch möglich ist, und das zu volkswirtschaftlichen Kosten, die höher sind als sie sein müssten. Das Problem des zweistufigen Referenzertragsmodells besteht nun einmal darin, dass verschiedene Ziele gleichzeitig mit einem Verfahren angesteuert werden.

Bildhinweis: Die HSH Nordbank aus Hamburg verfügt über eine langjährige Erfahrung mit der Finanzierung von Windkraftprojekten: das Logo über dem Haupteingang des Unternehmens. / Quelle: HSH Nordbank

ECOreporter.de: Wie könnte man diese Fehlsteuerung verhindern?

Dr. Böttcher:  Wenn man das derzeit geltende System dahin gehend verändern würde, dass bei einem Referenzertrag von unter 135 Prozent die erhöhte Vergütung um drei Monate länger gezahlt würde, hätte man eine Fehlsteuerung vollständig vermieden und gleichzeitig die anderen Förderungsziele erreicht.

ECOreporter.de: Was würde die Neuregelung für die Kreditvergabe im Bereich Windanlagen bedeuten?

Dr. Böttcher:  Für Banken, die Windenergie nur selten finanzieren, ist diese Regelung schwer zu bewerten, und sie wird eher zu einer Zurückhaltung bei der Neuvergaben von Krediten führen. Bei den im Windbereich etablierten Banken wird man wahrscheinlich komplexere Finanzierungsstrukturen mit Sondertilgungsmechanismen und Nachverhandlungsvereinbarungen sehen.

ECOreporter.de: Herr Böttcher, wir danken Ihnen für das Gespräch!
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