Erneuerbare Energie

Erneuerbare-Energie-Lügen haben lange Beine - ein Standpunkt von ECOreporter.de-Chefredakteur Jörg Weber

Schon kurz nach  Fukushima, als sich das Aus für die deutsche Atomkraft abzeichnete, mehren sich in den Medien die Berichte über die teuren Erneuerbaren Energien. Nachricht über Nachricht, in den Zeitungen, im Radio, im Fernsehen: Strom wird teuer. Wegen der Erneuerbaren. Eine Verdoppelung sei zu erwarten oder noch mehr. Zehntausende Arbeitsplätze in der Industrie seien gefährdet; wahrscheinlich sogar der Industriestandort Deutschland. Die Fakten, Gründe, Argumente waren verdreht oder fehlten ganz. Wie haben die Erneuerbare-Energie-Gegner das geschafft?

Dabei sprachen und sprechen die Fakten eindeutig dagegen, dass Erneuerbare Energien den Strompreis nach oben treiben würden (wir haben in dieser Woche in Beiträgen über den Opens external link in new windowStrompreis und einen Opens external link in new windowKostenvergleich der verschiedenen Energiearten für Sie Fakten dazu anschaulich zusammengefasst). Die am meisten genutzte Erneuerbare Energie in Deutschland ist die Windkraft an Land. 8,93 Cent pro Kilowattstunde beträgt die Einspeisevergütung. Ein neues Kohle- oder Gaskraftwerk liefert den Strom nicht so preiswert. Wieso, habe ich mich schon damals, vor über einem Jahr, gefragt, sind die Medien so voll mit so falschen Nachrichten? Von Verschwörungstheorien halte ich nichts, wir Journalisten sind nicht „gekauft“. Da ich mich häufig mit Erneuerbaren Energien beschäftige, habe ich meine Quellen für die Recherche. Dort sind die Fakten richtig. Wieso dann also die Falschberichte?

Ich habe überlegt, wo ich recherchieren würde, wenn ich in einer Redaktion einer Tageszeitung sitzen würde, nicht auf Erneuerbare Energie spezialisiert wäre und eine Pressemeldung über die zu erwartenden Strompreissteigerungen bekommen würde. Natürlich! Als Wirtschaftsjournalist hat man eine Grundregel gelernt: Das Thema Energie gehört zum Wirtschaftsministerium. Da gibt es die Datensammler, die die Fakten für die Bürger und insbesondere die Presse bereitstellen.

Also habe ich damals die Internetseite des Bundeswirtschaftsministeriums angewählt. Damaliger Chef: Rainer Brüderle, FDP. Ich war erstaunt: Eine gut gemachte Internetseite, übersichtlich, schnell, einfache Navigation, bürgerfreundlich. Und vor allem: vertrauenswürdig. Ich habe die Energie- Informationen gefunden – und war überrascht: alles übersichtlich präsentiert. Mancher Unterton war mir vielleicht zu halbherzig, rechte Begeisterung für Erneuerbare Energien war nicht aus der Seite herauszulesen. Das hatte ich aber auch nicht erwartet. Und alles war top-aktuell. Erst bei den Vergütungen für Strom aus Erneuerbare-Energie- Kraftwerken stutzte ich: Da stand beispielsweise als Vergütung für Solarstrom: 54,6 Cent. Erschreckend hoch, wenn man den Strompreis von 22 bis 25 Cent im Kopf hat, den man auf seiner Stromrechnung abliest. Erschreckend aber auch, dass diese Preisangabe um etwa sechs Jahre veraltet war. Schon im April 2011, als Brüderles Ministerium die 54,6 Cent nannte, lag die wirkliche Vergütung nur bei knapp 29 Cent.

Das ist die Methode, mit der gearbeitet wird in der Energiepolitik: halbe Wahrheiten, die eigentlich fette Lügen sind!

Bildhinweis: Solarpark mit Anlagen von Q-Cells. Dass der Solarkonzern nun insolvent ist, hängt auch mit den starken Kürzungen der Solarstromtarife zusammen. / Quelle: Unternehmen


Die Dreistigkeit im Umgang mit der Wahrheit ist teilweise noch immer erschütternd, wenn es um Energiepolitik geht. Brüderles Nachfolger als Bundeswirtschaftsminister ist Dr. Philipp Rösler, Vizekanzler und FDP-Bundesvorsitzender. Er liefert dafür Beispiele am laufenden Band. Erschütternd ist dabei nicht so sehr, wie er die Wahrheit strapaziert, sondern dass er mit dieser Methode durchkommt – denn Widerspruch ist in den meisten Fällen nicht zu vernehmen. Ein Beispiel: Im Januar 2012 sank die Einspeisevergütung für Solarstrom drastisch. Das war lange ausgehandelt worden, die Solarunternehmen und ihre Verbände hatten der Kürzung zähneknirschend zugestimmt.

Die Kürzung der Solarstromvergütung wurde von Rösler kaum erwähnt. Kaum drei Wochen nachdem die Kürzung galt, meldete sich Rösler jedoch lautstark und penetrant immer wieder: Der Solarstrom sei zu teuer, die deutsche Wirtschaft und der Verbraucher könnten das nicht mehr bezahlen. Die Einspeisevergütung müsse dringendst und drastisch weiter gekürzt werden. Insgesamt sollte die Menge der Solarstromanlagen begrenzt werden, und zwar schnell, sonst werde es immer teurer. Nun muss man wissen, dass selbst der private Dachbesitzer und Betreiber einer kleinen Solarstromanlage eine Umsatzsteuererklärung abgeben muss, denn er ist Dank der Solaranlage zum Stromerzeuger geworden, zum Unternehmer. Das ist eine Liberalisierung der Energiewirtschaft. Eigentlich etwas, was jedem Liberalen gefallen müsste: An die Stelle eines Oligopols aus wenigen Konzernen tritt eine Vielzahl an Stromerzeugern. Und das soll staatlich eingeschränkt werden, auf Betreiben eines liberalen Ministers? Doch in den Medien ist das kein Thema, niemand weist auf dieses Paradox hin.

Schlimmer noch: Im gleichen Atemzug, in dem Rösler fordert, die Einspeisevergütung für Solarstrom zu kappen, verlangt er den Ausbau der Windkraft auf dem Meer. Das hört sich plausibel an, wenn man weiß, dass Windkraft an Land die billigste Energie ist. Nur: Windstrom vom Meer ist eben nicht billig. Das immerhin weiß auch Rösler und fordert erfolgreich, die Vergütung für Strom aus Windkraftanlagen auf dem Meer zu erhöhen. Auf 15 Cent, in vielen Fällen sogar auf etwa 19 Cent. Das ist hoch. Vor allem ist es höher als die von Rösler für die baldige Zukunft geforderte Vergütung für Strom aus großen Solaranlagen.

Bildhinweis: Der Ausbau der Offshore-Windkraft bleibt bislang weit hinter den Erwartungen zurück und wird immer teurer. / Quelle: Siemens


Wie passt Röslers Argumentation zusammen: 19 Cent für Solarstrom ruinieren die Kassen der Deutschen, 19 Cent für Windstrom vom Meer sind die Rettung? Rösler begründet das nicht. Aber es fragt auch niemand nach, zumindest ist in den großen Medien zu diesem Widerspruch nichts zu vernehmen. Die Erklärung ist allerdings recht einfach: Solarstromanlagen, auch große Anlagen, können schon gebaut werden, wenn sich ein oder zwei Dutzend Bürger zusammen tun und außerdem eine Bank für die Finanzierung finden. Dafür gibt es Hunderte an Beispielen in Deutschland. Windparks auf dem Meer können nur Konzerne realisieren, die Milliarden zur Verfügung haben. Stromkonzerne zum Beispiel.

Ansonsten hat sich Rösler bei der Erneuerbaren Energie als schlauer erwiesen als Brüderle: Während man Brüderle noch Desinformation vorwerfen konnte, informiert Rösler übers Internet gar nicht mehr. Wer etwa nach einer aktuellen Übersicht über Einspeisevergütungen fahndet, findet dazu über die Suche auf der Internetseite des Rösler-Ministeriums schlicht nichts. Dafür strotzen Röslers Erklärungen und die vieler anderer Politiker von einem Grundsatz: Erneuerbare Energie wird gleichgesetzt mit „teuer“, „subventioniert“ und „gefördert“. Es muss sich dem Bürger einbrennen ins Gehirn, so oft ist es zu lesen, zu hören, zu sehen in den Medien: Erneuerbare Energien sind „gefördert“ und unterliegen nicht dem Wettbewerb. Was so oft gesagt wird, muss anscheinend richtig sein – sonst würden es ja nicht hunderte Journalisten Woche für Woche ohne jede Zusatzanmerkung weiterverbreiten. Noch dazu sprechen selbst manche Erneuerbare- Energie-Unternehmer von „Förderung“, wenn sie die Einspeisevergütung meinen. Nur: Das ist schlichtweg Quatsch. Die Einspeisevergütung ist keine Förderung, sie ist auch keine Subvention. Denn dann würde der Staat die Kosten tragen. Tatsächlich handelt es sich bei der Einspeisevergütung um einen vom Staat festgesetzten Preis. Um einen Preis, der übrigens stetig sinkt. Diesen Preis bezahlen die Bürger mit der Stromrechnung. Nicht der Staat als Subvention. Darf es so etwas wie einen staatlich festgesetzten Preis in einer freien Marktwirtschaft geben? Man kann mit vielen Gegenfragen antworten: Darf es den Klimawandel geben, den die konventionellen Kraftwerke verursachen? Darf es das Atommülllager Asse geben, wo Atommüll nahezu kostenlos von Konzernen entsorgt wird, also subventioniert? Denn die wahre Entsorgung wird Milliarden kosten, die wir Steuerzahler tragen werden.

Eine weitere Frage wäre, ob die Stromkonzerne einfach so die Strompreise erhöhen dürfen, mit Hinweis auf die Erneuerbaren Energien? Nun ja, aber ein staatlich geregelter Preis, staatliche Preisaufsicht, das darf einfach nicht sein, oder? Oder aber vielleicht doch – denn während Rösler die Einspeisevergütungen als Gefahr für die Marktwirtschaft hinstellt, entwirft er gleichzeitig sehr konkrete Pläne für die staatliche Regulierung der Benzinpreise an den Tankstellen. Man mag langsam darüber lächeln, wie dreist in der Energiepolitik gespielt wird – aber Fukushima hat gezeigt, wie schnell einem das Lächeln vergehen kann.

Ich weiß, jede Woche erscheint in Zeitungen mit zusammengenommen Millionen Auflage viel gegen Erneuerbare Energie. Trotzdem hier noch einmal der winzige Versuch, auf drei Punkte hinzuweisen:

1. Nach allen mir bekannten wissenschaftlichen Untersuchungen werden in Ländern, die auf Erneuerbare Energien setzen, die Energiepreise ab etwa 2030 deutlich unter denen liegen, die nur auf konventionelle Energie setzen. Es ist so schlicht, dass man es kaum aufschreiben mag, aber: Kohle, Gas und Öl werden immer teurer, Wind und Sonne nicht. Kein Wunder also, das selbst die als konservativ bekannte Internationale Energieagentur (IEA) massive Investitionen in Erneuerbare Energien fordert.

2. Wenn Deutschland keine Rohstoffe wie Öl, Kohle und Gas mehr importieren muss, dann ist das wirtschaftlich ein Mega-Milliarden-Bonus – und politisch bedeutet es, nicht mehr auf das Gutdünken der Putins dieser Welt angewiesen zu sein.

3. Ja, es gibt ihn noch, den Klimawandel. Schon aus ökonomischen Gründen ist es sinnvoll, ihn mit Erneuerbaren Energien zu bremsen. Aber man kann es auch so pathetisch sagen, dass man sich wahrscheinlich bei den Wirtschaftsliberalen lächerlich machen würde: Wir müssen den Klimawandel schon wegen unserer Kinder ernst nehmen. Sehr ernst.

Zum Schluss bleibt festzustellen: Die Energiewende hat in Deutschland schon in den achtziger Jahren begonnen. Heute haben wir über 20 Prozent Strom aus Erneuerbaren Energien. Was einem dann doch selbst gegenüber dem Herrn Rösler ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Nicht weil die FDP von 20 Prozent nicht einmal mehr zu träumen wagt. Sondern weil selbst die hoffnungsvollsten Ökos in den achtziger Jahren nicht damit gerechnet haben, dass der Ökostromanteil 2012 schon so groß sein würde.
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