Erneuerbare Energie

Energieernte in der Wüste - Desertec startet Realitätscheck



Als das Projekt Desertec im vergangenen Sommer der Öffentlichkeit erstmals vorgestellt wurde, war das Rauschen im Blätterwald groß. Mittlerweile ist es wieder stiller um diese Initiative geworden, auch wenn das Industriebündnis mittlerweile auf knapp 50 Gesellschafter und assoziierte Partner angewachsen ist. Doch der Ansatz ist immer noch spektakulär. Schließlich wird weit mehr anvisiert als das eine große Solarkraftwerk in der Wüste. Vielmehr sieht sich die Industrieinitiative (DII) als „Ermöglicher“. Sie prüft die Rahmenbedingungen in den Ländern des nördlichen Afrika, analysiert deren Strommärkte Afrikas und die Südeuropas, bereitet konkrete Referenzprojekte vor. Kurz: sie unterzieht die Vision einem Realitätscheck. „Wir sind dabei keineswegs auf eine einzige Technologie oder Region festgelegt. Neben solarthermischen Kraftwerken kommen je nach Standortbedingungen auch Photovoltaik und Windenergie in Frage – und das sowohl in der Wüste als auch an Küsten“, erklärt DII-Sprecher Alexander Mohanty.

Studie weckt Zuversicht

Wissenschaftler des Deutsche Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben Satellitenbilder der letzten Jahrzehnte ausgewertet und anhand der Wolken, ihrer Transparenz sowie des Staub- und Rauchpartikelgehalts der Luft errechnet, wieviel Solarenergie wo auf der Erde ankommt. Abgleiche mit Bodenmessungen bestätigten die Berechnungen: Die Abweichungen der jährlichen Strahlung lagen bei maximal 3 Prozent. Simulierte Erträge von Solarkraftwerken stimmen sogar noch exakter mit den Messungen überein. Neben der Grundlagenforschung aus dem All hat das DLR untersucht, welche Erträge solarthermische Kraftwerke können, je nachdem, welche technologische Variante sie nutzen und welche Preise sie erzielen können. Auch den möglichen Beitrag des afrikanischen Solarstroms zu der Stromversorgung in der Europäischen Union haben sie analysiert, den notwendigen Ausbau der Stromnetze kalkuliert und untersucht, inwieweit zur Kühlung eingesetztes Meerwasser im Prozess zu Trinkwasser verarbeitet werden kann. Reichlich Vorarbeit also. Und die Ergebnisse dieser Studien wirken schlichtweg ermutigend. Laut DLR ließen sich auf 2500 Quadratkilometer Wüste 17 Prozent des EU-Strombedarfs erzeugen.

Verteilt über die EU-MENA-(Europe, Middle East, North Africa)-Region bräuchte es für den Netzausbau weitere 3500 Quadratkilometer Land, stellten die Wissenschaftler fest. Insgesamt entspräche das nur 0,05 Prozent der MENA-Fläche. Zudem bekäme Nordafrika durch den lukrativen Export des grünen Stroms wirtschaftlichen Schub. Über Technologietransfers würden die Länder in die Lage versetzt, ihren stark steigenden eigenen Energiebedarf aus erneuerbaren Quellen zu decken. Und nicht zuletzt liefere ihnen die CO2-freie Meerwasserentsalzung einen Schlüssel, um sich dauerhaft aus ihrer dramatisch zugespitzten Wasserknappheit zu befreien, so die DLR.

Vision oder Fata Morgana?

Kritiker halten all das allerdings für eine Fata Morgana. Meerwasser in der Wüste gebe es nicht, dafür aber Sandstürme, die den Spiegeln der Kraftwerke im Nu den Glanz und damit die Effektivität nehmen würden, lautet einer der Kritikpunkte. Zudem seien die „europäischen Großkraftwerke“ auf freiem Feld ideale Sabotageziele in der politisch instabilen Region. Und warum ein 400 Milliarden Euro teures Großprojekt besser sein soll, als die dezentrale von vielen Häuslebauern finanzierte Strom- und Wärmeerzeugung auf europäischen Dächern, sei angesichts der zu erwartenden Transportverluste ebenfalls nicht einzusehen.

Als größtes Manko haben die Kritiker allerdings den nötigen Netzausbau ausgemacht. „Völlig utopisch“ nennt es der Chef der Deutschen Energieagentur (dena), Stephan Kohler, mehrere Stromtrassen parallel von Nordafrika nach Mitteleuropa zu führen. Und weil der Solarstrom genauso gut vor Ort in Afrika verbraucht werden könne, sei dies obendrein überflüssig. In die gleiche Kerbe schlägt Dr. Hermann Scheer, Eurosolar-Präsident und Träger des alternativen Nobelpreises. „Bürgerproteste entlang der Trassen sind vorprogrammiert“, erklärt er und erinnert an einen seit 30 Jahren schwelenden Konflikt um eine Stromtrasse in Spanien. Weil die EU-Kommission das Teilstück zum transeuropäischen Schlüsselprojekt erklärt hat, hätten sich die Konfliktparteien schließlich auf Erdverkabelung geeinigt. Kostenpunkt: 800 Millionen Euro für 75 Kilometer.  

Bildhinweis: Dr. Hermann Scheer / Quelle: Eurosolar

Realitätscheck soll Klarheit verschaffen


Bei der Desertec Foundation, die aus den Bemühungen des Club of Rome hervorgegangen ist, sind diese Vorbehalte bekannt. Und – wenig überraschend – sieht man die strittigen Punkte dort ganz anders. Übertragungsverluste? – Angesichts 4 bis 5 Prozent Verlust auf 1000 Kilometer bei moderner Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) machten diese ein bis zwei Cent pro Kilowattstunde aus. Die doppelt bis dreifache Sonneneinstrahlung in Afrika gleiche die Transportverluste locker aus. Bürgerproteste? – Wo statt Kohle- und Atomstrom klimaneutraler Solarstrom fließe, werde die Bevölkerung den Netzausbau als Notwendigkeit akzeptieren. Auch das Problem blinder Spiegel sei beherrschbar. Erfahrungen bestehender Solarthermie-Kraftwerke an Wüstenstandorten zeigten, dass die Spiegel Sandstürmen und Zyklonen trotzen. Jene 0,4 Prozent, die jährlich zu Bruch gingen, würden von vornherein in die Betriebskosten einkalkuliert. Und Meerwasser werde man natürlich nur an Standorten entsalzen, wo es verfügbar sei. Zwar steige der Wirkungsgrad durch Wasserkühlung und die Kombination von Dampf- und Gasturbinen. Wasser sei für den Betrieb der Kraftwerke jedoch keine zwingende Voraussetzung.

Noch handelt es sich beim Streit der Befürworter und Kritiker ohnehin um Spiegelfechtereien. Denn ob und wie die Vision DESERTEC weitergeht, hängt allein vom Realitätscheck der DII ab. Die Konzerne wollen bis 2012 einen Businessplan ausarbeiten. Wobei dieser Begriff laut Mohanty in die Irre führt. „Wir haben uns vorgenommen, die politischen, wirtschaftlichen und regulatorischen Investitionsbedingungen in der Region zu klären und bis 2012 einen Fahrplan vorzulegen“, stellt der DII-Sprecher klar. Anders als der Begriff Businessplan suggeriert, plant das Industriekonsortium keinesfalls, die Milliardeninvestitionen selbst zu stemmen. Vielmehr geht es darum, Investitionssicherheit für Investoren zu schaffen, damit sie im Rahmen von Desertec viele dezentrale Projekte realisieren.

Schon bald erste Energieernte in der Wüste?

Mohanty klingt zuversichtlich. „Am Ende unserer Marktanalyse kann durchaus die Erkenntnis stehen, dass die Vision machbar ist“, sagt er. Doch sicher sei das nicht. Und schon gar nicht gehe es heute um die Abmessungen, die in den Medien diskutiert würden. „Im ersten Schritt wird niemand eine Leitung für Wüstenstrom bis nach Mittel- geschweige denn Nordeuropa legen“, betont er. Zurzeit gehe es darum, die aus der „Satellitenperspektive“ gewonnenen Erkenntnisse der DLR-Forscher zu erden. Das fange mit der Klärung der Besitzverhältnisse von möglichen Standorten oder der Untersuchung der realen Topographie vor Ort an. Es  gehe bei Kostenrechnungen, Preisstrukturen und dem Einfluss auf die Strommärkte vor Ort und in Europa weiter. Und es höre nicht mit der Frage auf, ob sich EU-Staaten, die sich mit der Erfüllung ihrer Klimaschutzziele schwer tun, Wüstenstrom-Importe gutschreiben lassen können, wenn dieser Strom über bestehende Leitungen nach Süditalien oder Südspanien exportiert - und dort verbraucht wird. „Je weiter wir ins Detail gehen, desto mehr Fragen tun sich auf. Deshalb haben wir uns bis 2012 Zeit für die Analyse gegeben“, so der DII Sprecher.

Derweilen beginnen Investoren in Marokko und den Vereinigten Arabischen Emiraten mit der Planung und dem Bau mehrerer solarthermischer Großkraftwerke. Sie warten nicht auf die Europäer, sondern zapfen die Sonne auf eigene Faust an. Mohanty begrüßt das. „Dezentrale Erzeugung von Solar- und Windstrom ist in der Region ohnehin im Kommen“, erklärt er. „Wir prüfen vor allem die Fragen rund um den Export.“ Und eines haben Club of Rome und das DLR schon jetzt erreicht. Die Menschheit weiß, dass in Wüsten weit mehr Energie zu ernten ist, als sie verbrauchen kann. Sie muss nur damit anfangen.


Bildhinweis: Aufbau von Parabolspiegeln für ein Solarthermisches Kraftwerk. / Quelle: Solar Millenium
Aktuell, seriös und kostenlos: Der ECOreporter-Newsletter. Seit 1999.
Nach oben scrollen
ECOreporter Journalistenpreise
Anmelden
x