Erneuerbare Energie

Durchgefallen - Wirtschaftsforscher nehmen Kürzungspläne für die deutsche Photovoltaik auseinander

Nüchtern im Ton, doch messerscharf in der Argumentation hat das DIW Berlin die Pläne der Bundesregierung auseinander genommen, die Solarförderung massiv und vorzeitig zu beschneiden. Das DIW ist das größte Wirtschaftsforschungsinstitut in Deutschland. Prof. Dr. Claudia Kemfert ist Abteilungsleiterin und Dr. Jochen Diekmann Stellvertretender Abteilungsleiter Energie, Verkehr, Umwelt, Karsten Neuhoff, Ph.D, ist Abteilungsleiter Klimapolitik am DIW Berlin. Sie haben die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Philip Rösler und Bundesumweltminister Norbert Röttgen unter die Lupe genommen, die das Bundeskabinett gestern durchgewunken hat (Opens external link in new windowhier erfahren Sie Näheres zu den Kürzungsplänen und mit einem weiteren Opens external link in new windowMausklick gelangen Sie zu unserem Beitrag darüber, inwiefern auch andere Grünstromsektoren davon betroffen sind).

Die Experten des DIW kritisieren den frühen Zeitpunkt der geplanten Kürzungen. Die Bundesregierung hatte erst im Sommer letzten Jahres das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) überarbeitet und zum Jahreswechsel starke Kürzungen um 15 Prozent bei der Solarstromvergütung umgesetzt. „Bisher liegen mit den neuen Regeln des seit 1. Januar gültigen EEG 2012 nur wenige Erfahrungen vor. Es ist fraglich, ob darüber hinaus wirklich ein dringender Handlungsbedarf für so einschneidende Maßnahmen besteht, wie sie nun von der Bundesregierung vorgesehen sind“, stellt dazu Claudia Kemfert fest. Das Bundesumweltministerium habe dazu „noch im Januar 2012 eine wesentlich andere Position vertreten“ als nun in der Einigung mit dem Bundeswirtschaftsministerium und dem entsprechenden Gesetzentwurf.

Die Bundesregierung will noch im März die einmalige Absenkung der Solarstromvergütung in um 20 bis 30 Prozent – abhängig von der Größe der jeweiligen Anlage – durchsetzen. Obwohl der Bundestag erst am 8. März in erster Lesung darüber debattiert, sollen die Einschnitte bereits zum 9. März 2012 in Kraft treten. Diese Einschnitte seien „sehr kräftig und sehr kurzfristig“, meint Kemfert dazu. Es sei fraglich, ob mit diesem Verfahren der Vertrauensschutz für Investoren gewahrt bliebe. Die angestrebte Vermeidung von Vorzieheffekten rechtfertige für sich genommen solche Kurzfristanpassungen nicht. Ein Vorzieheffekt – also ein Anstoß für potentielle Investoren, jetzt so schnell wie möglich Solaranlagen ans Netz zu bringen – sei bereits schon wieder ausgelöst worden und werde durch die Ankündigung drastischer Kürzungen verstärkt.

Neben der Kürzung im März plant die Bundesregierung zusätzlich eine monatliche Senkung der Solarstromtarife um 0,15 Cent einzuführen. Die Forscher des DIW halten in ihrer Stellungnahme fest, dass dieser im Gesetzentwurf enthaltene konstante Degressionssatz angemessen wäre, wenn dies die erwartete künftige Kostenentwicklung widerspiegeln würde. Entsprechende Studien, die zu einem solchen Ergebnis kommen, lägen aber gar nicht vor. Eine derartige lineare Fortschreibung der Tarifsenkungen führe nach einigen Jahren zu extrem niedrigen oder sogar negativen Vergütungswerten. Eine weitere Absenkung der Preise für Solarsystemen könne das aber nicht widerspiegeln. „Stattdessen verbirgt sich hinter einem solchen Degressionspfad die Vorstellung, die Photovoltaikförderung für Neuanlagen in einigen Jahren ganz auslaufen zu lassen“, bringt Kemfert diesen Ansatz auf den Punkt.

Über eine Verordnungsermächtigung im Gesetzentwurf strebt die Bundesregierung an, dass fortan die zuständigen Bundesminister für Umwelt und Wirtschaft Tarifsenkungen eigenmächtig durchführen können - also ohne dafür die Zustimmung des Bundestages einzuholen, wie es bislang erforderlich ist. Das soll für alle Erneuerbaren Energien gelten, die vom EEG profitieren und hat scharfen Protest aus der gesamten Branche provoziert (wir Opens external link in new windowberichteten). Auch hierzu finden die Forscher des DIW klare Worte: „Die Vergütungshöhe sollte grundsätzlich Sache des Parlaments sein“, heißt es in ihrer Stellungnahme. Die Möglichkeit von zusätzlichen Anpassungen in vorher nicht bekannter Höhe schaffe zusätzliche Unsicherheiten für Investoren. Dies gelte selbst dann, wenn es sich die Anpassungen auf zwölf Monate begrenzte Anpassungen würden, wie es der Gesetzentwurf vorsehe.

Zudem entdecken die DIW-Experten einen Widerspruch der Kürzungspläne zum ‚Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland von 2010‘, den die Bundesregierung aufgestellt hat und der in 2011 von ihr ausgerufenen „Energiewende“ eine wichtige Rolle spielt. Mit diesem Aktionsplan strebt die Bundesregierung einen Ausbau der deutschen Photovoltaikleistung auf 52 Gigawatt (GW) im Jahr 2020 an. Das Konzept von Bundeswirtschaftsminister Philip Rösler und Bundesumweltminister Norbert Röttgen sieht aber vor, den jährlichen Ausbau von 2,5 bis 3,5 GW bis 2017 auf 0,9 bis 1,9 GW herunter zu fahren. Damit könne das Ausbauziel von 52 GW in 2020 nicht erreicht werden, rechnen die Forscher vor. Zum Vergleich: Obwohl in 2010 und 2011 mit jeweils rund sieben GW beim Zubau der deutschen Photovoltaikleistung Rekordwerte verbucht wurden, belief sich die installierte Gesamtleistung Ende 2011 erst auf 24 GW. In den kommenden acht Jahren müsste sie also mehr als verdoppelt werden.

Bei aller wissenschaftlichen Sachlichkeit lässt das abschließende Urteil der DIW-Forscher zu den Plänen der Bundesregierung an Klarheit nichts zu wünschen übrig: „Wenn Änderungen am EEG vorgenommen werden, dann sollten sie so ausgestaltet werden, dass sie nicht zu nationalen und internationalen Verunsicherungen über den Kurs der Förderpolitik führen. Die Förderpolitik sollte aber auch mit Blick auf die Entwicklung der Solarindustrie auf Kontinuität und Berechenbarkeit der politischen Rahmenbedingungen achten und zu starke Schocks vermeiden.“

Ein breites Bündnis aus Gewerkschaften und Verbänden will am Montag in Berlin ab 13 Uhr vor dem Brandenburger Tor gegen das „Solarausstiegs-Gesetz“ demonstrieren. Zu der Kundgebung rufen der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Industriegewerkschaft Metall (IG Metall), die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und der Bundesverband Solarwirtschaft e.V. gemeinsam auf. Zahlreiche weitere Initiativen und Verbände haben ihre Unterstützung bereits zugesagt (Opens external link in new windowhier erfahren sie mehr darüber).
Demonstration gegen die aktuellen Pläne der Bundesregierung zur Vergütung von Sonnenstrom. / Quelle: juwi


Protest formiert sich unterdessen auch auf internationaler Ebene. In einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel haben 18 internationale Photovoltaik-Verbände appelliert, die geplanten Kürzungen nicht umzusetzen. Sie verweisen dabei auf die große Bedeutung, die Deutschland international als Vorbild bei der Solarenergie habe.
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