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„Die zunehmende Kommerzialisierung im Mikrofinanzbereich sehen wir sehr kritisch“ – Manuela Waitzmann von Oikocredit e.V. im ECOreporter-Interview

Die Entwicklungsgenossenschaft Oikocredit ist ein wichtiger Akteuer im Bereich der Mikrokredite, also der Vergabe von Darlehen an Kleinuntenrehmer in Schwellen- und Entwicklungsländern. Manuela Waitzman, Geschäftsführerin beim Oikocredit Förderkreis Baden-Württemberg e.V, erklärt gegenüber ECOreporter, warum wirtschaftliche Hilfe der richtige Weg ist und welche Zukunft sie für die Mikrofinanzbranche erwartet.
Oikocredit zählt zu den Ausstellern der Messe „Grünes Geld“, die am 23. Juni zu Gast in Stuttgart ist. Die Messe gibt einen Einblick in die ganze Fülle nachhaltiger Geldanlagen und wird begleitet von einem umfassenden Vortragsprogramm. Mehr darüber erfahren Sie Opens external link in new window hier.

ECOreporter: Frau Waitzmann, warum setzt Oikocredit nicht auf Entwicklungshilfe?


Manuela Waitzmann:
Entwicklung ist bei uns nicht nur Teil des Namens, sondern auch ein Programm. Wir sehen aber eine gezielte Wirtschaftsförderung als zukunftsfähiger und wirksamer an, um nachhaltige Schritte aus der Armut zu ermöglichen. Wir vergeben deshalb in fast 70 Entwicklungs- und Schwellenländern Darlehen und Kapitalbeteiligungen an Partnerorganisationen, derzeit in Höhe von 520 Millionen Euro. Das ist eine Begegnung auf Augenhöhe.

Das Kapital, das von unseren weltweit 45.000 Anlegerinnen und Anlegern kommt, investieren wir direkt in Genossenschaften und kleine Unternehmen oder bieten das Geld über unsere Partner als Mikrofinanzdienstleistungen an. Wichtiges Kriterium bei unserer Kreditvergabe ist, dass die Gelder vor Ort Entwicklung fördern, dass z.B. Arbeitsplätze für benachteiligte Menschen geschaffen werden oder dass Frauen von den Projekten profitieren und maßgeblich an Entscheidungsprozessen beteiligt werden.

ECOreporter: Was unterscheidet Sie von den „klassischen“ Mikrofinanz-Fonds?

Waitzmann: Oikocredit ist eine Genossenschaft, bei der Investoren Anteile zeichnen und sich in die Genossenschaft einbringen können. Viele Anlegerinnen und Anleger unterstützen unsere Arbeit ehrenamtlich – sie bringen sich zum Beispiel in der Öffentlichkeitsarbeit ein oder vertreten unseren Förderkreis bei der Generalversammlung der internationalen Genossenschaft.
Eine weitere wichtige Unterscheidung ist, dass wir die Dividende auf jährlich 2 Prozent beschränken. In Jahren, in denen nach der Dividendenauszahlung ein Überschuss vorhanden ist, investieren wir in die Fortbildung unserer Partner und bauen Rücklagen auf, um in der Lage zu sein, auch etwas riskantere Projekte zu finanzieren. Wir legen einen Schwerpunkt auf die Finanzierung kleiner Mikrofinanzorganisationen in ländlichen Gebieten - dies betrachten andere Investoren als nicht lukrativ. Wir haben dagegen einen sozialen Auftrag und wollen gerade in Gebiete gehen, in denen Entwicklungsfinanzierung Mangelware ist.

ECOreporter.de: Wie werden die Kreditvergaben von Oikocredit überwacht?

Waitzmann:
Auch hier unterscheidet sich Oikocredit von anderen Anbietern. Wir haben eine sehr starke Präsenz vor Ort: Rund 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren 36 Regional- und Länderbüros betreuen unsere 900 Partner. Dort, wo wir Verbesserungsbedarf sehen, bieten wir Partnern Schulungen und technische Unterstützung an. Auch während der Kreditlaufzeit werden die Partner von unseren Mitarbeitenden betreut und regelmäßig besucht.


ECOreporter.de: Welche Bilanz Ihrer Engagements können Sie bis jetzt ziehen?

Waitzmann: Wir haben seit der Gründung über eine Milliarde Euro an Entwicklungsfinanzierungen vergeben. Derzeit erreichen unsere Mikrofinanzpartner 26 Millionen Menschen und die Genossenschaften und Sozialunternehmen, die wir unterstützen, bieten fast 80.000 Arbeitsplätze. Auch auf Anlegerseite haben wir in den letzten Jahren starke Zuwächse erreicht. Deutschlandweit legen fast 20.000 Privatpersonen, Organisationen, Kommunen und Kirchen bei Oikocredit an – 5.600 davon in Baden-Württemberg. Ich denke, diese Bilanz kann sich sehen lassen.

Bildhinweis: Manuela Waitzman, Geschäftsführerin-Oikocredit Förderkreis Baden-Württemberg e. V. / Quelle: Unternehmen

Der zunehmenden Kommerzialisierung im Mikrofinanzbereich stehen wir sehr kritisch gegenüber. Oikocredit hatte schon immer einen sozialen Auftrag, aber wir haben gelernt, dass wir noch stärker darauf schauen müssen, welche Schritte unsere Mikrofinanzpartner unternehmen, um ihre Kundinnen und Kunden zu schützen und ob sich die Lebenssituation der Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer verbessert hat. Dabei geht es uns nicht um Kontrolle, sondern um Zusammenarbeit.


ECOreporter: Wie wird sich die Mikrofinanz-Branche weiter entwickeln? Was wird diese Entwicklung besonders prägen?

Waitzmann: Situationen wie die Mikrofinanzkrise im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh waren für die Akteure in der Mikrofinanzbranche ein Weckruf (wir Opens external link in new windowberichteten darüber). Wir beobachten, dass zurzeit viele Anstrengungen unternommen werden, um Endkunden besser zu schützen, Regulierungen einzuführen um die Überschuldungen zu vermieden. Denn an einer Überschuldung der Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer haben weder der Kunde selbst noch die Mikrofinanzorganisation und deren Geldgeber ein Interesse.
Es zeichnet sich ab, dass ein Umdenken zu Gunsten einer sozialen Mikrofinanz die weitere Entwicklung prägen wird – eine Rückbesinnung also auf die ursprüngliche Idee der Mikrofinanz. Sicherlich wird es auch immer Akteure geben, deren vorrangiges Ziel eine hohe Rendite und schneller Profit ist. Daher ist es wichtig, dass es Regulierungen und Standards gibt, die für alle Akteure gelten.

ECOreporter: Welche Rolle spielen bei Mikrokrediten die ökologischen Aspekte?

Waitzmann: Ökologische Aspekte spielen vielerorts schon einige wichtige Rolle und ich denke, sie wird noch an Bedeutung zunehmen. Das Paradoxe am Klimawandel und der Umweltzerstörung ist, dass es vor allem die trifft, die nicht als Verursacher gelten.
In vielen Entwicklungsländern sind die Folgen des Klimawandels bereits jetzt zu beobachten und Finanzdienstleistungen wie Mikroversicherungen gegen Ernteausfälle oder Umweltkatastrophen werden künftig noch mehr nachgefragt werden. Wir haben auch Mikrofinanzpartner, die Finanzierungen im Bereich der erneuerbaren Energien anbieten. So können z.B. Kunden eines Partners in Uganda Mikrokredite zum Kauf von kleinen Solaranlagen aufnehmen. Dadurch können Menschen in Gegenden ohne Zugang zu Stromleitungen nun ihren eigenen Strom produzieren. Eine Kundin, die meine Kollegin dort besucht hat, lädt nun die Handys der anderen Dorfbewohner auf und kann dadurch etwas Geld verdienen und damit den Kredit abbezahlen.

Für Oikocredit spielen ökologische Aspekte auch eine wichtige Rolle bei der Auswahl der Partner. Wir befragen alle potenziellen Mikrofinanzpartner unter anderem danach, ob sie ein System haben, um Finanzierungen auszuschließen, die negative Auswirkungen auf die Umwelt haben könnten und ob sie Schulungen zur Umweltbildung für ihre Kundinnen und Kunden anbieten oder gar Finanzdienstleistungen zum Kauf von umweltfreundlichen Technologien.


ECOReporter: Was erwarten Sie von der Messe Grünes Geld?

Waitzmann: Ich erwarte ein großes Interesse der Bevölkerung an der Messe Grünes Geld. In Stuttgart und Umgebung diskutieren die Menschen intensiv Themen, die sie und eine lebenswerte Zukunft betreffen. Sie denken kreativ und experimentieren in ihrem Alltag, um nachhaltige und tragfähige Lösungen zu entwickeln. Ich bin überzeugt, dass die Messe Grünes Geld in diesem Diskurs einen wichtigen Platz finden wird. Denn die Frage „Wie können wir mit unseren Geldanlagen gesellschaftliche Ziele unterstützen und eine global lebenswerte Zukunft gestalten?“ gehört mitten hinein in diese Zukunftsthemen.

ECOreporter: Frau Waitzmann, vielen Dank für das Gespräch!
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