Erneuerbare Energie

Die Verdummungskampagne gegen die Erneuerbare Energie läuft - Kommentar von ECOreporter.de-Chefredakteur Jörg Weber

Noch immer melden sich in Japan Freiwillige, die sich der tötenden Strahlung an den kaputten Atomkraftwerken aussetzen wollen. Das ist heroisch. Was sich nun in Deutschland abspielt, ist kindisch, aber auch naiv: Die Atomkraftbefürworter verschärfen ihre Schlacht um die Meinungshoheit über die Energiepolitik. Die Desinformationskampagne läuft. Sie zielt darauf, die wirtschaftlichen Machtstrukturen zu festigen, Angst vor Neuem zu säen und aufstrebende Wirtschaftszweige zu diskreditieren. Es ist Propaganda, was nun kocht. An ihrer Spitze der Chefredakteur der Wirtschaftswoche, Roland Tichy. Was jetzt kommt, ist keine Satire, es sind Zitate aus seinem Editorial der aktuellen Ausgabe, da skizziert er die Folgen vermehrter Erneuerbarer Energie für Deutschland:

„Die schnell steigenden Energiekosten für die Industrie werden deren globale Wettbewerbsfähigkeit weiter verschlechtern.“
 „Das wird die ohnehin schleichende De-Industrialisierung Deutschlands beschleunigen.“

„Grundstoffindustrien, Metallverarbeitung, aber auch Chemie und Automobilbau stehen zur Debatte.“
„Die ehrgeizigen Klimaziele sind nicht mehr haltbar, wenn jetzt ….alte Kohlestinker angeheizt werden.“

„Widerstand der neuen Protestgeneration gegen jedes beliebige großindustrielle Vorhaben…Deutschland wird zum Stillstandort.“
„Das bürgerliche Lager…demoralisiert; die moralische Anti-Atom-Keule bringt es zum Schweigen.“

Und die nahe Zukunft: „Rot-grüne Bündnisse“ – also „erklärte Gegner marktwirtschaftlicher und wirtschaftsfreundlicher Lösungen.“
Aha. Man könnte sich nun über so etwas lustig machen, man könnte mit Polemik ähnlicher Abart antworten. Vielleicht ist es sinnvoller, sich einmal die Argumentationsart anzuschauen: Das ist ja nicht ungeschickt gemacht. Angst in jeder Hinsicht vor dem Neuen zu verbreiten, soll davor schützen, dass sich jemand die Fakten anschaut. Tun wir Herrn Tichy also weh und liefern ihm Fakten, Fakten, Fakten.

Erstens, die Energiekosten: Richtig, die steigen. In den letzten zehn Jahren steigen sie nicht wegen der Erneuerbaren Energien (davor sowieso nicht), sondern vor allem wegen der höheren Ölpreise. Und weil die Energiekonzerne (das sind die, die Atomkraftwerke betreiben) die Preise erhöhen. Nicht, weil sie höhere Kosten haben, sondern weil sie ihren Gewinn steigern. Da gibt es etliche aktuelle Studien und sogar Aussagen regierungsamtlicher Institutionen dazu.

Zweitens, die globale Wettbewerbsfähigkeit: Es ermüdet fast, das immer wieder zu betonen, aber ein Exportschlager Deutschlands ist die Erneuerbare-Energie-Technologie. Deutschland erhöht die eigene Wettbewerbsfähigkeit nicht trotz, sondern dank Erneuerbarer Energien.

Drittens, die Drohung, ganze Industriezweige stünden zur Debatte, was andeuten soll: Bald sinkt auch das letzte deutsche Unternehmen ins Grab. Das Abschalten der alten Atomkraftwerke muss sich nicht im mindestens auf die Strompreise auswirken – wenn die Konzerne es nicht wieder als Vorwand benutzen. Ein logischer Zusammenhang zwischen Abschalten und Preiserhöhung besteht nicht, da Deutschland deutlich mehr Strom produziert als hier verbraucht wird.

Viertens, die „alten Kohlestinker“ als Ersatz für Atomkraftwerke: Die wird keiner mehr in Betrieb nehmen, da, siehe oben, wir zu viel Strom für Deutschland herstellen. Können Sie sich noch an die letzten heißen Sommer erinnern, als Atomkraftwerke still standen, weil sie nicht mehr zu kühlen waren, da die Flüsse zu wenig Wasser führten? Hat da die deutsche Industrie stillgestanden? Nicht im Mindesten. Es war genug (deutscher, nicht französischer Atomstrom!) vorhanden!

Fünftens: Wer den Protest gegen Milliardengräber wie den Stuttgarter Bahnhof zum Protest gegen deutsche Industrie verteufelt und „Stillstandorte“ beschwört, der sieht nicht, dass die Motoren der Wirtschaft im Mittelstand sitzen und fleißig Innovationen produzieren. Es sind vielmehr die Dinosaurier-Projekte, die Sand ins Wirtschaftsgetriebe bringen und Milliarden binden. Milliarden, die im Mittelstand wesentlich effektiver Arbeitsplätze schaffen würden.

Sechstens, das bürgerliche Lager ist durch die „moralisierende“ Anti-Atom-Kraft-Keule (was eine Sprache!) zum Schweigen gebracht? Auch das ist so ein Polemik-Trick: Jeder, der protestiert, fällt alleine dadurch aus dem Bürgertum heraus, dass er protestiert. Und die anderen, die nicht protestieren, die sind zum Schweigen gebracht. Oh je, Herr Tichy, wer geht denn da bei Stuttgart 21 und den Anti-Atomstrom-Kundgebungen auf die Straße? Das unbürgerliche Lager der langhaarigen Bombenleger? Es sind in Wahrheit recht bürgerliche Menschen, die nun protestieren und gerade nicht mehr schweigen. Übrigens nicht wenige CDU-Wähler darunter.

Und schließlich die „rot-grünen Bündnisse als erklärte Gegner wirtschaftsfreundlicher Lösungen“: Nun, die entsprechenden Parteien können sich selbst gegen die Wirtschaftswochen-Schelte verteidigen. Daher nur kurz gefragt: Wer hat die etwa eine Million deutscher Arbeitsplätze in vor allem mittelständischen Umwelttechnologie-Unternehmen politisch unterstützt? Wen loben viele Mittelständler mittlerweile als wahre Vertreter ihrer Wirtschaftsinteressen?

Fazit: Wer meint, die Erneuerbaren Energien würden sich letztlich wegen der Strompreise durchsetzen oder nicht durchsetzen, der ist naiv. Schauen Sie auf Ihre eigene Stromrechnung: 20 bis 25 Cent zahlen Sie für den Strom aus Ihrer Steckdose, etwa 9 Cent kostet der Windstrom in der Herstellung, mehr bekommt der Windstromhersteller durch die Einspeisevergütung nicht. Also, nicht der Preis zählt. Der Kampf um die deutsche Energieversorgung wird in den Medien ausgetragen. Nicht mit Information, sondern mit gezielter, bewusster Desinformation. Gegen diese Desinformation hilft nur Aufklärung im besten bürgerlichen Sinne. Die Erneuerbare-Energie-Branche fühlt sich allerdings anscheinend derart auf dem moralisch richtigen Weg, dass sie gegen die Desinformationskampagne nicht angeht. Sondern hilflos zusieht und sich fragt, wie können die bösen Journalisten nur so ungerecht sein und derart einseitig über die Erneuerbaren schreiben? Aber das ist ein anderes Problem.

Jörg Weber

P.S.: Und es sind ja nicht alle Journalisten wie Herr Tichy. Die Wirtschaftswoche schreibt beispielsweise einen Kommentar auf S. 106 darüber, dass Aktionäre Druck machen müssen, damit Unternehmen auf anständige Weise Geld verdienen. Wirklich lesenswert, was Hauke Reimer da erläutert!

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