Erneuerbare Energie

"Die aufkommende Rezession ist ein Risiko für die Solarbranche." - ECOreporter.de-Interview mit Matthias Fawer, Bank Sarasin


Matthias Fawer ist Vizepräsident der Bank Sarasin Sustainable Investment in Basel. Er analysiert seit vielen Jahren die Märkte der Erneuerbaren Energien und die damit verbundenen Industrien. Er war dabei, als Q-Cells-Chef Anton Milner am Rande der Europäischen Photovoltaik-Konferenz in Valencia seinen Vortrag vor 50 versammelten CEO der großen Solarunternehmen hielt. Dessen Botschaft: zwölf Prozent des Strombedarfs in Europa kann 2020 aus Photovoltaik gedeckt werden. Fawer hält dieses Ziel der europäischen PV-Industrie für realistisch. Ein entsprechender Ausbau der Kapazitäten sowie die nötigen Preissenkungen für eine weitere Verbreitung von PV-Modulen seien "plausibel" zu erreichen.


ECOreporter.de: Die European Photovoltaic Industry Association (EPIA) hat sich in Valencia hinter das Ziel gestellt, bis 2020 einen Solarstromanteil von zwölf Prozent in Europa zu schaffen. Für wie realistisch halten Sie dieses Ziel?
Matthias Fawer: Ich freue mich vor allem, dass die europäische PV-Industrie endlich zu einer reiferen Selbstdarstellung gelangt ist. Früher war sie sehr zurückhaltend. Mit der Unterstützung des Zwölf-Prozent-Ziels verbindet sich nun das Selbstbewusstsein, dass man einen wesentlichen Beitrag zur Lösung unserer Energie- und Klimaprobleme leisten kann. Der Anteil des Solarstroms wird in wenigen Jahren nicht mehr im Promille-Bereich liegen, sondern beträchtlich sein. Der Weg dahin ist mit plausiblen Wachstumsraten begründet.

ECOreporter.de: Was muss passieren, damit die Photovoltaik dieses Ziel erreichen kann?
Matthias Fawer: Die Industrie muss die nötigen finanziellen Investitionen für den Kapazitätsausbau tätigen: Hier ist Europa auf gutem Wege. Da ist sehr viel Dynamik im Spiel: Alle wichtigen Hersteller sichern sich die nötigen Rohstoffe und bauen neue Produktionslinien. Rückblickend lässt sich feststellen, dass die Industrie in den vergangenen Jahren Wachstumsraten von 40-50 Prozent gestemmt hat. Natürlich bedarf es auch optimaler politischer Rahmenbedingungen: Dazu zählt die Aufrechterhaltung einer Einspeisevergütung für Solarstrom bis zum Erreichen der so genannten Netzparität.

ECOreporter.de: Ist es überhaupt möglich, bis 2020 genug PV-Leistung zu installieren, um einen so hohen Anteil am Stromverbrauch zu sichern?
Fawer: Milners Konzept, hinter das sich der ganze EPIA-Vorstand gestellt hat, nimmt an, dass 2020 die europäische Kapazität insgesamt 175 bis 350 Gigawatt (GW) betragen kann. Das ist erheblich optimistischer als das, was andere Studien für möglich halten: So geht die fünfte Solar Generation Studie von Greenpeace/EPIA von kumulierten 80 bis 100 GWp PV-Leistung 2020 in Europa aus. Milner argumentiert dagegen mit verbesserten Lernkurven: Danach schafft die Industrie 18 bis 22 Prozent Kostenreduktion mit jeder Verdoppelung der installierten Leistung – durch Skalierungseffekte und technologischen Fortschritt. Je günstiger die Anlagen, desto mehr Installationen - und desto früher ist der Zeitpunkt erreicht, an dem PV-Strom günstiger ist als Strom aus dem herkömmlichen Energiemix.

ECOreporter.de: Ist das nicht bloße Theorie?
Fawer: Die Kosten für die Photovoltaik müssen natürlich sinken: Eine jährliche Reduktion um fünf Prozent würde ausreichen, damit die Preise von heute 3.500 Euro je Kilowatt (kW) auf 2.000 Euro/kWp in 2020 sinken. So weit hergeholt scheinen mir die Annahmen der EPIA deshalb nicht. Die Investitionskosten sinken ohnehin kontinuierlich. Heutige Produktionslinien für PV- Module sind auf 25 Megawatt (MW) pro Jahr ausgelegt. Aktuell geplante Linien werden schon einen Ausstoß von 50 bis 100 MW pro Jahr haben. Tendenz steigend.

ECOreporter.de: Wie schätzen Sie den Beitrag einzelner europäischer PV-Märkte ein? Wird es auf dem Weg zur Erreichung des Ziels ein "Kerneuropa" mit Spanien, Italien und  Deutschland geben?
Fawer: Die derzeit führenden Märkte werden sicherlich auch 2020 noch einen Großteil zur Solarstromproduktion in Europa beitragen. Doch die Nutzung der PV wird sich ausdehnen: vor allem in südeuropäischen Ländern wie Griechenland und Portugal. Aber auch in osteuropäischen Ländern wie Tschechien wird das Potenzial dieser Form der Energieerzeugung mehr und mehr erkannt.

ECOreporter.de: Wo werden die nötigen Module hergestellt?
Fawer: Ein erheblicher Teil wird auch 2020 noch aus Europa und Japan kommen. Die anderen asiatischen Hersteller, vor allem aus China, werden künftig stärker auch ihre eigenen Märkte bedienen. Hier gehen vor allem Südkorea und Taiwan voran, die bereits nennenswerte Teile ihrer Modul-Produktion im eigenen Land aufstellen. Auch beim Silizium und bei den Zellen wachsen laut Herstellerankündigungen die Kapazitäten, was für sinkende Preise sorgen wird. Insgesamt dreht sich der Markt von einem Anbieter- zu einem Nachfragemarkt. Das heißt, wir brauchen attraktive neue Märkte. Einer davon könnten die USA sein, wenn diese ihre Solar Power Tax Credit nach den Wahlen erstmals für acht Jahre festlegen sollten – und damit endlich stabile Bedingungen schaffen. Generell gilt: Auf einem von der Nachfrage bestimmten Markt werden sich die Hersteller beim Preis bewegen müssen.

ECOreporter.de: Welche Stolpersteine sehen Sie für das neue EPIA Konzept?
Fawer: Eine wichtige Frage ist, ob die Fördersysteme für die Photovoltaik in den nächsten 3-7 Jahren aufrechterhalten bleiben, bis die Netzparität in den wichtigsten europäischen Ländern (Deutschland 2015, Spanien 2012, Italien 2010) erreicht ist. Derzeit ist es beispielsweise in Spanien unklar, wie es weitergeht. Eine Deckelung der Förderung auf 500 MW pro Jahr, wie von Madrid derzeit geplant, wäre äußerst ungünstig (diese Deckelung ist seit Montag rechtskräftig, die Red.). Hier erweist es sich als Manko, dass die Kosten für die spanische Einspeisevergütung aus Steuermitteln bestritten werden – nicht aus einer von den Verbrauchern gezahlten Umlage wie in Deutschland. Angesichts einer erlahmenden Konjunktur sieht sich die spanische Politik gezwungen, den Ausbau der Photovoltaik zu bremsen.

Die aufkommende Rezession ist ein Risiko. Die Politik muss verstärkt danach fragen, ob die Kosten für den Umbau der Energieerzeugung im Griff bleiben. Deutschland mit seiner ungedeckelten Förderung könnte schon bald wegen der Drosselung des spanischen Marktes und den infolgedessen sinkenden Preisen überflutet werden mit Neuinstallationen: Folge wäre eine nochmalige Senkung der Vergütung oder ebenfalls ein Förderdeckel.

Die Wirtschaftslage könnte das Investment in Solaranlagen wie in Produktionslinien erschweren: Kredite werden teurer, die Zinsen steigen, es werden mehr Garantien verlangt, das macht die Sache nicht einfacher.
Andererseits darf man nicht vergessen: Je näher der Preis für Solarstrom dem Marktpreis rückt, desto interessanter wird der Einstieg für die traditionelle Industrie wie derzeit z.B. für die Bosch AG (die im Frühjahr die Ersol Solar Energy AG übernommen hat, die Red.) und die großen Energieversorger. Das wird der Photovoltaik Rückenwind geben.

ECOreporter.de: Wie wichtig sind solche Messlatten wie das Zwölf-Prozent-Ziel? Lässt sich tatsächlich mehr erreichen für die PV, wenn der Verband in dieser Weise Ziele definiert?
Fawer: Es ist auch hinsichtlich der anstehenden Investitionsentscheidungen wichtig, dass die Solarindustrie selbstbewusst Pflöcke einschlägt und sagt: "Da wollen wir hin, wir können etwas bewegen." Man muss die Euphorie von Valencia nun umsetzen und die Photovoltaik einbinden in eine Strategie für die Erneuerbaren Energien in Europa. Die EU-Kommission will derzeit mit dem 'Strategic-Energy-Technology-Plan' die Weichen für die technologische Entwicklung im Energiebereich stellen. Da muss die Solarindustrie gemeinsam mit den anderen Erneuerbaren Energien selbstbewusst auftreten. Zielvorgaben wie die von Valencia tragen dazu bei, dass sowohl die Politik als auch die interessierten Branchen aufmerksam werden und sagen: "Mit denen müssen wir rechnen!"

ECOreporter.de: Herr Fawer, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Bildhinweis: Matthias Fawer / Bank Sarasin; Solarpark der MPC / Quelle: Unternehmen.
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