Sozialverbände begrüßen das Lieferkettengesetz – kritisieren jedoch die Abschwächung durch den Einfluss von Wirtschaftslobbys. / Foto: Pixabay

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Bundestag beschließt Lieferkettengesetz – Kritik von Verbänden

Deutschland hat ein Lieferkettengesetz. Nach Uneinigkeiten zwischen den Fraktionen und starkem Gegenwind von Verbänden wie dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) geriet das Lieferkettengesetz seit Sommer 2020 immer wieder zwischen die Konfliktlinien und wurde zuletzt Mitte Mai kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestages genommen. Am Freitag verabschiedete der Bundestag nun das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten”. Damit tritt es 2023 in Kraft.

Bis zuletzt hatten sich Lobbygruppen wie der BDI, die BDA und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) gegen das Lieferkettengesetz ausgesprochen. Teils mit Erfolg: Auf Bestreben des Wirtschaftsministeriums wurde die zivilrechtliche Haftung nun gänzlich ausgeschlossen.

Kritik kommt etwa von Matthias Fiedler, Geschäftsführer des Forum Fairer Handel: "Menschenrechte sollten ein unhinterfragtes Mindestmaß darstellen. Es ist unfassbar, dass Wirtschaftsverbände selbst diesen Mindeststandard als nicht machbar darstellen und damit auch noch Gehör finden!"

"Ein fader Beigeschmack"

Das Ringen um das Lieferkettengesetz mache laut dem Forum deutlich, wie wichtig der Druck von zivilgesellschaftlichen Bündnissen für nachhaltige Produktionsmuster sei, wenn mächtige Wirtschaftsverbände nur an den Profit ihrer Mitglieder denken. Da das Gesetz im langen Verhandlungsprozess stark abgeschwächt worden sei, bleibe die Achtung hoher sozialer und ökologischer Standards entlang der gesamten Lieferkette auch weiterhin die Ausnahme und nicht die Regel.

Auch Klaus Stähle, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Vorstand des Bundesverbands nachhaltige Wirtschaft (BNW), zeigte sich nur teilweise zufrieden: „Der Kompromiss zum Lieferkettengesetz mit dem Ausschluss zivilrechtlicher Haftung hat einen faden Beigeschmack. Zwar ist eine Haftung deutscher Firmen im Ausland durch das BGB vorgegeben, doch nur in seltenen Fällen werden die Betroffenen dieses Recht wahrnehmen. Eine explizite Erwähnung im Gesetz hätte deutlich mehr Wirkung gezeigt.“

Vom Lieferkettengesetz betroffene Unternehmen sind dazu verpflichtet, bei ihren direkten Zulieferern Risiken zu ermitteln, die international anerkannte Menschenrechte und bestimmte Umweltstandards (in Bezug auf die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte) verletzen oder gefährden könnten. Für identifizierte Risiken müssen Unternehmen Gegenmaßnahmen implementieren sowie an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) berichten. 

Bei nachgewiesenen Verstößen werden Bußgelder verhängt, und Unternehmen können bis zu drei Jahre lang von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden. Bei indirekten Zulieferern sind deutsche Unternehmen hingegen nur bei Kenntnis über mögliche Risiken und Verstöße zu Nachbesserungen angehalten.

Risiko für Unternehmen nur gering

Wie der BNW in einer Mitteilung erklärt, sei es "entgegen der von Industrieverbänden bewusst verzerrten Darstellung" aber keineswegs so, dass in Deutschland ansässige Unternehmen durch das Gesetz einem hohen Risiko ausgesetzt würden. Deutsche Unternehmen würden auch bei Menschenrechtsverletzungen nicht haften, sofern sie alle möglichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen haben. Mit dem Lieferkettengesetz werde keine Erfolgspflicht, sondern eine "Bemühungspflicht" zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen für die Unternehmen durchgesetzt. 

Zum Argument der Mehrkosten verwies der BNW auf eine Studie der EU-Kommission. Diese schätzt für große Unternehmen die Kosten auf durchschnittlich 0,005 Prozent ihrer Gewinne. Zwar zeigten Praxiserfahrungen, so der BNW, dass auch mit höheren Steigerungen der Mehrkosten im Einkauf in den ersten Jahren zu rechnen sein kann (Risikoerfassung, Anpassung der Lieferkette). Hier müssten allerding die Kosten für die Unternehmen in Beziehung zu den Kosten für die gesamte Gesellschaft gesetzt werden. Jüngste Beispiele wie der VW-Dieselskandal und die Wirecard-Pleite zeigten, wie die gesellschaftlichen Kosten durch unethisches Wirtschaften in die Höhe getrieben würden – mit gravierenden negativen Auswirkungen auf das Gütemerkmal "made in Germany".

Auch Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) fand im Bundestag am Freitag klare Worte für das „extrem starke Lobbying“ gegen das Lieferkettengesetz: "„Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu“ – diesen Spruch möchte ich auch in den Büros der Arbeitgeberpräsidenten und -verbände in Deutschland hängen sehen.“

Das Thema problematischer Lieferketten hat ECOreporter erst jüngst in Verbindung mit der Solarindustrie beschäftigt. Lesen Sie hier unseren Bericht: Zwangsarbeit in China für Solarzellen? Die Hintergründe – und was Wacker Chemie sagt.

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