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Anleihen / AIF, Crowd-Investment, Crowd-Test
Analyse: Crowdinvesting für AWO-Therapiebad auf Langeoog
Der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Bezirksverband Hannover e.V. saniert derzeit die Schwimmhalle seiner Eltern-Kind-Kurklinik auf der ostfriesischen Nordseeinsel Langeoog. Um einen Teil der energetisch sinnvollen Baumaßnahmen zu finanzieren, bietet der Verein ab 1.000 Euro Nachrangdarlehen an. Diese bieten einen Zins von 4,3 Prozent pro Jahr (inklusive Frühzeichnerbonus) bei einer Laufzeit von rund sechs Jahren. ECOreporter hat sich das Angebot näher angesehen.
Anbieterin und Emittentin der Nachrangdarlehen ist der Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Hannover e.V. aus Hannover. Der gemeinnützige Verein ist in der freien Wohlfahrtpflege in der Sozialwirtschaft tätig. Als Träger von mehr als 120 Einrichtungen ist er mit seinen Tochtergesellschaften ein bedeutendes soziales Dienstleistungsunternehmen in Niedersachsen. Der Verein beschäftigt eigenen Angaben zufolge in den Bereichen Kindertagesstätten, Kureinrichtungen, Altenpflege, Gesundheitsdienste und Sozialpsychiatrie mehr als 2.600 Menschen.
Die AWO ist ein sozialpolitischer Mitgliederverband, der 1919 aus der Arbeiterbewegung entstand und im Bezirksverband Hannover rund 14.000 Mitglieder hat. Seit ihrer Gründung setzt sich die AWO politisch und durch ihre sozialen Dienstleistungen für die Grundwerte Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Toleranz und Gerechtigkeit ein.
Neue Fenster, Dämmung, Lüftungsanlage
Die Emittentin ist laut Vermögensanlagen-Informationsblatt (VIB, Datum: 16.3.2023) Eigentümerin der Liegenschaft AWO LangeoogKlinik mit einer Gebäudefläche von insgesamt 11.282 m². Die LangeoogKlinik ist laut VIB vollständig an die Betreibergesellschaft AWO Soziale Dienste Bezirk Hannover gGmbH verpachtet, eine wichtige Tochtergesellschaft der Emittentin.
Das Therapiebad befindet sich im Haus Westwind der AWO LangeoogKlinik. Die laut VIB 86 m² große, 1993 errichtete Schwimmhalle soll energetisch saniert werden. Dies umfasse im Wesentlichen den Einbau neuer Fenster, die Dämmung der Außenfassade und des Daches sowie der Einbau einer Lüftungsanlage, um die Nutzung des Therapiebeckens auch an heißen Sommertagen zu ermöglichen. Damit schafft die Emittentin nach eigener Einschätzung ideale Voraussetzungen für die Therapien und Behandlungen der jährlich bis zu 1.200 Erwachsenen und 1.700 Kinder, die an einer Kur der AWO LangeoogKlinik teilnehmen.
Hoher Zuschuss für die Sanierung
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Das Emissionsvolumen der Nachrangdarlehen beträgt bis zu 150.000 Euro. Die Nettoeinnahmen von rund 139.000 Euro bei Vollplatzierung werden laut VIB in das Bauvorhaben im Therapiebad-Gebäude investiert. Die voraussichtlichen Gesamtkosten des Vorhabens betragen laut VIB 500.000 Euro. Davon werden laut VIB 350.000 Euro durch bereits zugesagte öffentliche Fördermittel finanziert. Dabei handelt es sich der Emittentin zufolge um einen Zuschuss des Bundesministeriums für Umwelt aus dem Programm „Klimaanpassung in sozialen Einrichtungen“. Nach Angaben der AWO LangeoogKlinik (Abruf Internetseite: 24.4.2023) verzögert sich die Sanierung des Therapiebades um vier bis fünf Wochen. Ursprünglich sollten die Baumaßnahmen bis Mitte Mai 2023 beendet sein.
Laufzeit und Zins
Die Vermittlung der Nachrangdarlehen erfolgt über die Internet-Dienstleistungsplattform Xavin, die sich auf sozial nachhaltige Geldanlagen ausgerichtet hat.
Die Laufzeit der Nachrangdarlehen endet am 30. April 2029. Die Emittentin kann aber laut VIB erstmalig 24 Monate früher ordentlich kündigen. Der Zinssatz der Darlehen beträgt 4,0 Prozent pro Jahr. Inklusive eines Frühzeichnerbonus, der nach Angaben von Xavin bei Investitionen bis zum 3. Mai 2023 gilt, beträgt der Zinssatz 4,3 Prozent pro Jahr.
Falls die Emittentin die Nachrangdarlehen kündigt, stehen der Anlegerin oder dem Anleger laut VIB eine pauschalierte Vorfälligkeitsentschädigung von 50 Prozent der Zinsen zu, die über die restliche Laufzeit des Nachrangdarlehen noch angefallen wären. Die Emittentin ist darüber hinaus laut VIB berechtigt, jährlich bis zu 50 Prozent des verbliebenen Nachrangdarlehensbetrags als Sondertilgung zurückzuzahlen, ohne dass hierfür eine Vorfälligkeitsentschädigung anfällt.
Über 100 Millionen Euro Umsatz im Jahr
Die Ansprüche der Anlegerinnen und Anleger auf Zinszahlung und auf Rückzahlung der Nachrangdarlehen sollen laut VIB aus Mitteln bedient werden, die die Emittentin aus laufenden Pachterträgen der AWO LangeoogKlinik generiert. Allerdings ist die AWO LangeoogKlinik nur ein Teil der Emittentin. Daher ist für die Anlegerinnen und Anleger nicht die Zahlungsfähigkeit der Pächterin der AWO LangeoogKlinik ausschlaggebend, sondern die der Emittentin. In der Projektbeschreibung auf der Plattform Xavin steht auch, dass die Nachrangdarlehen aus dem Cashflow des AWO Bezirksverband Hannover e.V. zurückgezahlt werden sollen.
Der auf Grundlage des letzten aufgestellten Jahresabschlusses zum 31. Dezember 2021 berechnete Verschuldungsgrad der Emittentin beträgt laut VIB 808,90 Prozent. Der Verschuldungsgrad gibt das Verhältnis zwischen dem bilanziellen Fremdkapital und Eigenkapital des Emittentin an.
Der AWO Bezirksverband Hannover e.V. hat laut VIB noch keinen Jahresabschluss im Bundesanzeiger oder Unternehmensregister offengelegt. Daher ist die Transparenz der Emittentin verringert. Das Unternehmen hat ECOreporter auf Nachfrage seinen geprüften Konzernabschluss für das Geschäftsjahr 2021 zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt. Laut diesem Abschluss konnte der Konzern der Emittentin die Umsatzerlöse 2021 auf über 120 Millionen Euro erhöhen und wie im Jahr zuvor einen Jahresüberschuss erwirtschaften.
Risiken
Bei dem Crowdinvesting handelt es sich um unbesicherte Nachrangdarlehen mit qualifiziertem Rangrücktritt und vorinsolvenzlicher Durchsetzungssperre. Nicht nachrangige Zahlungsansprüche haben dagegen insbesondere die Banken, die Gebäude- und Grundstücks-Investitionen der Emittentin (teilweise) finanzieren. Vorrangiges Fremdkapital hat die Emittentin unabhängig von ihrer Einnahmesituation zu bedienen.
Der wirtschaftliche Erfolg der Emittentin hängt laut VIB von mehreren Einflussgrößen ab, beispielsweise von der Zahlungs- und Leistungsfähigkeit von Pächtern und Vertragspartnern des Unternehmens sowie der Fertigstellung von im Bau befindlichen Immobilien innerhalb des gesetzten Zeit- und Kostenbudgets. Verschiedene Faktoren wie insbesondere politische
Veränderungen, Zins- und Inflationsentwicklungen, Rechtsstreitigkeiten sowie Veränderungen der rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen können nachteilige Auswirkungen auf die Emittentin haben.
Die Corona-Pandemie und ihre Folgen, hohe Preis- und Kostensteigerungen (Energie, Personal, Verbrauchsmaterialien) haben zu erheblichen Belastungen für zahlreiche Betriebe im Sozial- und Gesundheitsbereich geführt, die durch den Fachkräftemangel verschärft werden. Der Gesundheitsservice AWO hat daher in einer Pressemitteilung von Oktober 2022 eine existenzgefährdende Situation für Vorsorge- und Reha-Einrichtungen konstatiert. Auch in diesen Bereichen bestehen nach AWO-Angaben fixe Vergütungssätze, sodass die Einrichtungen die in kurzer Zeit stark gestiegenen Kosten nicht kurzfristig über höhere Vergütungen auffangen können. Insofern sind die Einrichtungen darauf angewiesen, dass die Politik (Gesundheitsministerium) die Rahmenbedingungen verbessert und die Leistungsträger (z. B. Krankenkassen, Rentenversicherung) höheren Vergütungssätzen zustimmen. Ansonsten könnten sich die wirtschaftlichen Risiken für Einrichtungen und Betriebe im deutschen Gesundheitssystem deutlich erhöhen.
Auch für die Emittentin besteht das Risiko, zahlungsunfähig zu werden oder in Überschuldung zu geraten. Heißt: Anlegerinnen und Anleger können ihr eingesetztes Kapital teilweise oder vollständig verlieren.
Fazit
Das Crowdinvesting-Angebot des Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Hannover e.V. bietet eine positive ökologische und soziale Wirkung. Die Baumaßnahmen erhöhen die Energieeffizienz des Therapiebades und ermöglichen insbesondere Kindern eine gesundheitsfördernde Kur. Bei der Emittentin handelt es sich um ein etabliertes Unternehmen. Ein wesentlicher Unsicherheitsfaktor sind die deutlichen Kostensteigerungen für Betriebe und Einrichtungen der Gesundheits-, Pflege- und Sozialwirtschaft. Deren Auswirkungen auf die Emittentin während der Darlehenslaufzeit von sechs Jahren sind schwer einzuschätzen, da auch die künftigen wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen in Deutschland unsicher sind. Grundsätzlich ist aber davon auszugehen und zu hoffen, dass es in sechs Jahren in Deutschland insbesondere für kranke Kinder weiterhin möglich sein wird, einen für die Gesundung wichtigen Kuraufenthalt zu erhalten und bezahlt zu bekommen.