Rotorblattmontage Windpark Framersheim. / Foto: Unternehmen

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"Abgewürgte Klimawende“ – Alexander Koffka im Interview

Ein Zehntel des Versprochenen und Notwendigen: So wenig hat sich 2019 bei der Energiewende im Bereich Windkraft getan. Eine erschreckende Zwischenbilanz für den deutschen Klimaschutz. Alexander Koffka von ABO Wind zeigt, was bei uns schief läuft – und in welchen Ländern überraschenderweise viel mehr vorangeht, als wir hierzulande vermuten.

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ECOreporter: Herr Koffka, die Politik erweckt angesichts der Fridays for Future-Proteste und der Hitzewellen den Eindruck: Botschaft angekommen, wir tun etwas. Wie sieht die Realität 2019 aus - wieviele neue Windenergieanlagen gibt es in diesem Jahr bisher in Deutschland?

Alexander Koffka: Die engagierten Schüler haben den Respekt der Politik verdient. Aber Schulterklopfen und Sonntagsreden vermindern keine Klimagase. Es klafft eine immer größere Lücke zwischen dem, was notwendig wäre, und dem, was tatsächlich geschieht. Das sieht man am Beispiel der Windkraft besonders deutlich. Um den Kohle- und Atomausstieg zu schaffen, benötigt Deutschland jedes Jahr neue Windkraftanlagen, die eine zusätzliche Leistung von 5.000 Megawatt liefern. Das haben wir in den Jahren bis 2017 auch geschafft. 2018 ist der Ausbau dann auf 2.500 Megawatt eingebrochen. Und für 2019 sieht es noch schlechter aus. Im ersten Halbjahr sind gerade mal 81 neue Windenergieanlagen mit 271 Megawatt Leistung ans Netz gegangen. Im Vergleich zu den Halbjahreswerten der vorangegangenen drei Jahre entspricht das einem Minus von fast 90 Prozent. So wird das nichts mit Klimaschutz made in Germany. Die Große Koalition ist im Begriff, die Energiewende abzuwürgen.

Es gibt diese Diäten mit dem Slogan: Verlieren sie 20 Kilogramm in 100 Tagen. Wenn man dann in 95 Tage noch gar nicht abgenommen hat, wird man die 20 Kilogramm wohl nicht schaffen. Kann man das auf die in Deutschland geplante CO2-Diät übertragen? Sind unsere Klimaziele noch erreichbar, oder kann man die Klimadiät sowieso schon vergessen?

Noch ist es nicht zu spät. Aber je länger wir uns Zeit lassen, umso schwieriger wird die Kehrtwende auf der fossilen Sackgasse

Welche politischen Instanzen blockieren derzeit die Windenergie?

Es fehlt der Politik insgesamt an der Bereitschaft, gegen den Widerstand einer Minderheit, den notwendigen Ausbau der Windkraft voranzutreiben. Die Fürsprecher der erneuerbaren Energien sind oft zu leise. Und die Gegner verfügen auch in den Regierungsparteien über Einfluss. Erstaunlich ist, dass die Genehmigungssituation für neue Erneuerbare-Energie-Anlagen selbst in Bundesländern wie Hessen, Rheinland-Pfalz oder Baden-Württemberg, wo Grüne maßgeblich mitmischen, kaum weniger desolat ist als im Rest der Republik. Offenbar agieren momentan fast alle Instanzen im Blockademodus.


Alexander Koffka ist gelernter Zeitungsredakteur und arbeitet seit zehn Jahren bei ABO Wind. Als Mitglied der Geschäftsleitung verantwortet er Öffentlichkeitsarbeit, Bürgerbeteiligung und Investorenbetreuung.

Was müsste passieren, um die Blockade zu überwinden?

Als Erstes brauchen wir ein Bekenntnis der politischen Führungen in Bund und Ländern, dass Kohle- und Atomausstieg ohne konsequente Windkraftnutzung nicht funktionieren werden. Wirtschaftsminister Peter Altmaier beispielsweise hat die Energiewende jahrelang als angeblich zu teuer schlechtgeredet. Das war zum einen sachlich falsch und hat zum anderen der Akzeptanz geschadet. Die Politik muss mit daran arbeiten, der Energiewende wieder das positive Image zu verleihen, das sie verdient.


Aber mit einem besseren Image alleine ist es nicht getan, oder?

Wir brauchen konkrete gesetzliche Reformen. Das betrifft zum Beispiel die finanzielle Beteiligung der Kommunen im Umfeld von Windparks. Sofern die Anlagen auf Flächen privater Eigentümer errichtet werden, ist ihr Vorteil zu gering. Wenn die Wertschöpfung aus einem Windpark künftig maßgeblich dazu beiträgt, zum Beispiel die Sanierung von Schulgebäuden zu finanzieren, würde das die Akzeptanz stärken. Das Problem vor Ort ist ja bislang, dass es einige wenige Gegner gibt, die sich vehement gegen Windparks engagieren. Die Mehrheit ist prinzipiell für den Ausbau der erneuerbaren Energien, hält sich aber zurück, wenn es in ihrem Umfeld konkret wird. Wenn Bürger vor Ort einen konkreten Vorteil für sich erkennen, werden sich mehr offensiv für Windparks aussprechen. Die Branche hat einen Vorschlag gemacht, um eine finanzielle Beteiligung der Kommunen gesetzlich festzuschreiben. Die Großen Koalition hatte Anfang 2019 eine „Arbeitsgruppe Akzeptanz“ ins Leben gerufen, um kurzfristig Lösungen zu erarbeiten. Doch leider wurde das Thema auf die lange Bank geschoben.

Was würde der Windkraft sonst helfen?

Auf Planungsebene ist manches möglich, man könnte zum Beispiel mehr geeignete Vorranggebiete für Windkraft ausweisen. Sehr viele Planungen werden aktuell durch die Deutsche Flugsicherung blockiert – oftmals ohne sachliche Berechtigung. Hier wäre Engagement aus dem Verkehrsministerium gefragt. Schließlich benötigen wir eine Beschleunigung der Genehmigungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren. Der Bundesverband Windenergie hat einen Aktionsplan vorgelegt, der einige weitere Ansätze aufzeigt. Wenn sich die Politik daran orientierte, würde das sicher helfen.


Servicearbeiten im Windpark Remlingen. / Foto: Unternehmen

Nistplätze des Rotmilan dienen beispielsweise dazu, Naturschutz gegen Windenergie in Stellung zu bringen. Dann denkt man: Naturschützer sind Klimafreunde, aber manchmal auch stramme Windenergiegegner. Oder ist der Naturschutz nur vorgeschoben?

Es gibt Leute, die den Rotmilan bis vor kurzen für einen serbischen Freischärler hielten, und ihn nun instrumentalisieren, um einen Windpark in ihrem Umfeld zu verhindern, der ihnen nicht genehm ist. Es gibt aber auch viele, denen die besonders schönen Vögel wirklich am Herzen liegen und die sich deswegen gegen eine Windkraftplanung aussprechen. Die Frage ist, ob sie damit den bedrohten Arten einen Gefallen tun. Denn wenn es uns Menschen nicht gelingt, unseren Kohledioxidausstoß radikal zu reduzieren, dann hilft es auch dem einzelnen Rotmilan nicht, dass ihm keine Rotoren im Weg standen. Es gibt sicher Regionen in Deutschland, die aus Gründen des Arten- und Naturschutzes nicht für die Windkraftnutzung in Frage kommen. Aber im Moment erleben wir, dass flächendeckend in ganz Deutschland hunderte Planungen für Windparks am Artenschutz scheitern. Und damit erweist sich der Artenschutz einen Bärendienst.

Immer noch heisst es in manchen Kreisen, Windstrom sei teuer und verschlinge Subventionen - ein jahrzehntealter Vorwurf. Was entgegnen Sie heute?

Es gibt derzeit weltweit keine günstigere Methode Strom zu erzeugen als mittels Windkraft- oder Photovoltaikanlagen. Welche Technologie die bessere ist, hängt jeweils von den klimatischen Bedingungen ab. In Finnland ist Windkraft günstiger, in der Sahara Photovoltaik. In Deutschland funktionieren beide Technologien hervorragend. Neue konventionelle Kraftwerke sind nicht mehr wettbewerbsfähig. 95 Prozent der 2018 in der Europäischen Union neu installierten Kraftwerkskapazitäten nutzen erneuerbare Energien. Damit lässt sich eine Kilowattstunde für durchschnittlich sechs Cent produzieren. Der Strom aus einem neuen Atomkraftwerk kostet mehr als doppelt so viel, wie man anhand der Planungen für den Reaktor Hinkley Point C in Südengland sehen kann. Offenbar aus militärischen Gründen soll der ökonomisch unsinnige Reaktor gebaut werden.

Deutschland ist immer noch Exportweltmeister, wie seit Jahren. Trotzdem gibt es die Stimmen die sagen: Wir tun viel zu viel für den Klimaschutz, China und die USA sind schlimmer, sollen die doch erst einmal umsteuern. Gefährdet eine klimaschützende Wirtschaftsweise tatsächlich unsere Arbeitsplätze hier, weil der Strom durch Erneuerbare Energie so teuer geworden ist?

Strom aus Erneuerbaren ist preiswert, und Klimaschutz ist auch ökonomisch sinnvoll. Diese Wahrheiten sollten wir in Deutschland zur Leitschnur des politischen Handelns machen. Andere müssen wir davon nicht überzeugen. Die Chinesen errichten ungefähr so viele Wind- und Solarparks wie der Rest der Welt zusammen. Und die vom bekennenden Windkraftgegner Trump regierten USA haben 2018 weltweit die zweitmeisten Windparks errichtet (fast dreimal so viele wie Deutschland). Es ist ein Märchen, dass Deutschland beim Ausbau der erneuerbaren Energien allein auf weiter Flur wäre. Im Gegenteil: Wir müssen aufpassen, dass die anderen uns nicht davonlaufen.

Wenn Deutschland, das sich seit langem als Ober-Umweltschützer brüstet, schon so wenig neue Windenergie zulässt: Ist dann die Lage in anderen Ländern für die Windenergie noch viel schlimmer?

Im Gegenteil. Durch den starken Rückgang der Kosten für Wind- und vor allem auch für Solarstrom in den vergangenen Jahren sind erneuerbare Energien weltweit im Aufschwung. Preiswerter Strom aus Wind und Sonne ist eine große Chance für Regionen zum Beispiel in Afrika, die bisher noch gar nicht elektrifiziert sind. ABO Wind ist als Projektentwickler für Windkraft und Solar mittlerweile in 16 Ländern auf vier Kontinenten aktiv, und wir haben wegen des großen Bedarfs an der Nutzung erneuerbarer Energien so viel zu tun wie nie zuvor. Dass es in unserem Heimatmarkt Deutschland derzeit klemmt, bedauern wir natürlich sehr. Betriebswirtschaftlich können wir das kompensieren. Viele Kollegen wie Windgutachter, Bau- und Elektroingenieure oder Kaufleute, die früher an Projekten in Deutschland gearbeitet haben, wirken nun mit daran, dass in anderen Ländern neue Wind- und Solarparks ans Netz gehen.

Warum setzen diese Länder, in denen Sie tätig sind, nun auf Windenergie oder Solarkraft?

Der Treiber für den Ausbau der erneuerbaren Energie sind tatsächlich die niedrigen Kosten. Im Sinne des Klimaschutzes war es ja schon länger notwendig, auf Wind und Solar zu setzen. Seit fossile Kraftwerke preislich nicht mehr mithalten können, nimmt der Ausbau der Erneuerbaren richtig Fahrt auf. Nur in Deutschland nicht.

Sehr geehrter Herr Koffka, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!

Über ABO Wind:

Vor 25 Jahren waren Jochen Ahn und Matthias Bockholt im hessischen Umweltministerium dafür zuständig, erste Wind- und Solarprojekte zu ermöglichen. Mit einem eigenen Unternehmen tragen wir mehr zum Erfolg der Energiewende bei als im Ministerium, dachten sich die beiden und gründeten 1996 ABO Wind. 1997 stellten sie den ersten Mitarbeiter ein. Erfolgreiche Windparkplanung in Hessen und Rheinland-Pfalz ermöglichte es, das Unternehmen zügig zu vergrößern. Seit Gründung wächst ABO Wind kontinuierlich. Aktuell projektieren 550 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 16 Ländern auf vier Kontinenten neue Wind- und Solarparks und kümmern sich um Betriebsführung und Wartung der Anlagen. Die ABO Wind-Aktie notiert im Freiverkehr der Börse Hamburg. Kurs und Dividende sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.

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