Erneuerbare Energie

27.8.2004: Immissionsschutz bei Windparks - Bundesverwaltungsgericht trifft weitreichende Entscheidung

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 30. Juni 2004 (AZ: 4 C 9.03) eine weitreichende Entscheidung zur Genehmigungspflicht für Windfarmen getroffen. Das berichten die Rechtsanwälte Andreas Hinsch und Rainer Heidorn von der Bremer Anwaltskanzlei Blanke Meier Evers in einem Schreiben an ihre Mandanten. In der Entscheidung des Gerichts sei es um die Frage der Notwendigkeit eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens gegangen, so Hinsch und Heidorn. Das Urteil liege nun auch in schriftlicher Form vor und erlaube eine rechtliche Bewertung. Für die Planer und Betreiber von Windenergieanlagen bedeute die Entscheidung einen erheblichen Einschnitt. Abweichend von der bisherigen Verwaltungspraxis habe das Gericht den Begriff einer Windfarm im Sinne des Bundesimmisionsschutzgesetzes (BImSchG) anlagenbezogen definiert.

Im weiteren zitiert ECOreporter.de mit freundlicher Erlaubnis der Autoren wörtlich aus dem Schreiben der Bremer Rechtsanwälte:

"Für die Entscheidung sind folgende amtliche Leitsätze vorgesehen:

Eine "Windfarm" i. S. der Nr. 1.6 der Anlage 1 zum UVPG und der Nr. 1.6 des Anhangs zur 4. BImSchV. ist dadurch gekennzeichnet, dass sie aus mindestens drei Windenergieanlagen besteht, die einander räumlich so zugeordnet sind, dass sich ihre Einwirkungsbereiche überschneiden oder wenigstens berühren.

Sobald die für eine „Windfarm“ maßgebliche Zahl von drei Windkraftanlagen erreicht oder überschritten wird, ist unabhängig von der Zahl der Betreiber ein immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren durchzuführen.

Die Überlegungen des Gerichts und die möglichen Auswirkungen auf die Genehmigungspraxis sollen an dieser Stelle kurz erläutert werden.

1. Begriff der Windfarm
Der Gesetzgeber hat vorgesehen, dass eine immissionsschutzrechtliche Genehmigungspflicht für Windenergieanlagen dann erforderlich wird, wenn eine Windfarm mit drei Anlagen errichtet werden soll. Ein förmliches Genehmigungsverfahren wird erforderlich, wenn sechs Windenergieanlagen in einer Windfarm zusammengefasst werden. Es stellte sich hierbei regelmäßig die Frage, wann Windenergieanlagen in einer solchen Beziehung zueinander stehen, dass sie eine Windfarm bilden.

In der Genehmigungspraxis wurde bisher einheitlich angenommen, dass Windenergieanlagen verschiedener Betreiber keine einheitliche Windfarm bilden können. Dies wurde insbesondere mit dem Begriff der gemeinsamen Anlage begründet. Diese Praxis wurde z. T. auch gerichtlich sanktioniert. Dies führte dazu, dass auch größere Windparks durch die Aufteilung auf mehrere Betreiber auf Grundlage verschiedener Baugenehmigungen errichtet wurden.

Diese Praxis eröffnete durch die bewusste Aufteilung der Genehmigungsanträge die Möglichkeit einer Umgehung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht. Möglicherweise um diese Praxis zu beenden, hat das Bundesverwaltungsgericht nun entschieden, dass unabhängig vom Betreiber eine Windfarm stets vorliegt, wenn jedenfalls drei Windenergieanlagen errichtet werden sollen, die einander räumlich so zugeordnet sind, dass sich ihre Einwirkungsbereiche überschneiden oder wenigstens berühren.

Für den Begriff der Windfarm wird es in Zukunft so nur darauf ankommen, ob sich die Wirkungen der errichteten Windenergieanlagen überschneiden. Ist dies der Fall, bilden sie eine einheitliche Windfarm. Kriterien für die Überschneidung der Einwirkungsbereiche nennt das Gericht nicht. Jedoch lassen sich die Einwirkungsbereiche der Windfarm nach Erfahrungs- 3 werten beurteilen. Dabei werden insbesondere die von den Windenergieanlagen ausgehenden Emissionen, d. h. Schall und Schatten, zu berücksichtigen sein. Der Einwirkungsbereich von Schallimmissionen endet dort, wo der Richtwert um 10 dB(A) unterschritten wird. Bei Immissionen durch Schattenwurf kann man davon ausgehen, dass diese ab einer Entfernung von 1.300 m ihre Lästigkeit verlieren. Es ist zu erwarten, dass zwischen den Windenergieanlagen Abstände zwischen 2 und 3 km liegen müssen, um sie nicht als Windfarm zu betrachten.

2. Auswirkungen in der Praxis
Das vorliegende Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wird sich auf Genehmigungsverfahren und genehmigte Windparks auswirken. Neben diesen formellen Problemen können sich jedoch inhaltliche Fragen neu stellen.

a) Genehmigungsverfahren
Für anhängige Genehmigungsverfahren stellt sich die Frage, ob das richtige Genehmigungsverfahren gewählt wurde. In Zukunft müssen für die Genehmigung von Windenergieanlagen folgende Kriterien beachtet werden:

- Ein Baugenehmigungsverfahren kommt nur für eine oder zwei Windenergieanlagen in Betracht, in deren Umgebung keine weiteren Windenergieanlagen errichtet sind. Baugenehmigungsverfahren, die für zwei Anlagen durchgeführt werden, in deren Nähe sich jedenfalls eine weitere Anlage befindet, sind auf ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren nach dem BImSchG umzustellen. Befinden sich im näheren Umkreis der beantragten Anlagen vier oder mehr Windenergieanlagen, so dass zusammen eine Windfarm mit sechs Anlagen vorliegt, ist sogar ein förmliches Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich.

Sind die vorhandenen Windenergieanlagen bereits immissionsschutzrechtlich genehmigt, kann für die Erweiterung eine Änderungsgenehmigung gemäß § 16 BImSchG erteilt werden. Auch diese Genehmigung muss unter Umständen im förmlichen Verfahren erteilt werden.

- Wird zur Zeit ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren ohne Öffentlichkeitsbeteiligung zur Genehmigung von Windenergieanlagen durchgeführt, ist dieses Ge- nehmigungsverfahren auf ein förmliches umzustellen, wenn im Einwirkungsbereich der beantragten Anlagen schon andere Windenergieanlagen errichtet sind und zusammen der Schwellenwert von sechs Anlagen erreicht oder überschritten wird.

- Ist für ein Vorhaben ohnehin ein förmliches Genehmigungsverfahren anhängig, wird sich das neue Urteil jedenfalls nicht wesentlich auswirken. Hinsichtlich der Bedeutung von Vorbelastung können allerdings materielle Folgen nicht ausgeschlossen werden.

b) Realisierte Vorhaben
Mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist keine Rechtsänderung eingetreten, sondern nur die Auslegung der entsprechenden Vorschriften wird sich ändern. Problematisch sind daher Vorhaben, die nach den vorgenannten Merkmalen eine Windfarm bilden und demzufolge im immissionsschutzrechtlichen Verfahren genehmigt hätten werden müssen, tatsächlich aber nur das Baugenehmigungsverfahren durchlaufen haben. Dies führt dazu, dass diesen Vorhaben die notwendige Betriebsgenehmigung fehlt. Nach § 20 Abs. 2 BImSchG soll die Aufsichtsbehörde anordnen, dass eine Anlage, die ohne die erforderliche Genehmigung errichtet, betrieben oder wesentlich geändert wird, stillzulegen oder zu beseitigen ist. Von einer solchen Anordnung kann die Behörde nur absehen, wenn ein atypischer Fall vorliegt.

Die Baugenehmigungen sind nur dann rechtswidrig, wenn für ihre Erteilung eine andere Genehmigungsbehörde zuständig ist. Wenn, wie z. B. in Niedersachsen für beide Genehmigungen der Landkreis zuständig ist, erscheint die Rechtswidrigkeit jedenfalls fraglich. Die Genehmigungen bleiben in jedem Fall wirksam. Sie legitimieren jedoch nicht den Betrieb einer Windfarm, für den eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung erforderlich ist.

Wie und auf welche Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden sollen, sollte im Einvernehmen mit den zuständigen Behörden geklärt werden. Problematisch wird dies in den Fällen, in denen Genehmigungsvoraussetzungen durch rechtliche Veränderungen nicht mehr gegeben sind. Aber auch im Hinblick auf mögliche Schadensersatzansprüche werden sich hier Lösungen finden lassen."

Bild: Windpark in Ostfriesland / Quelle: ECOreporter.de
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