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17.11.2004: "Bei Windgutachten handelt es sich um eine letztlich nicht objektivierbare Arbeit." - ECOreporter-Interview mit Daniela Jacob, Sprecherin des Windgutachterbeirats im BWE

Der Bundesverband WindEnergie (BWE) hat einen neuen "Standard zur Erstellung von Windgutachten" vorgelegt. Dr. Daniela Jacob ist Sprecherin des Windgutachterbeirats im BWE. ECOreporter.de befragte die Leiterin und Inhaberin von anemos-jacob, einem Büro für Windanalyse, unter anderem zur Qualität von Windgutachten, deren Unabhängigkeit und wieso Windgutachter zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können.


ECOreporter.de: Über welche Qualifikation muss ein Windgutachter verfügen?

Daniela Jacob: Formal gesehen gibt es keine Anforderungen zur Qualifikation. Entsprechend gibt es in Deutschland Windgutachter mit sehr verschiedenen Ausbildungen.
Persönlich bin ich jedoch der Meinung, dass die Tätigkeit als Windgutachter sehr anspruchsvoll ist. Wie bei jeder anspruchsvollen Tätigkeit sollten entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten vorhanden sein. Das Trügerische ist ja, dass die Bedienung der für Windgutachten üblicherweise verwendeten Rechenprogramme sehr einfach ist und recht leicht auch ein Ergebnis erzielt werden kann. Dieses Ergebnis muss aber nicht unbedingt korrekt sein. Dies zu beurteilen, ist die eigentliche Kunst. Ob der Windgutachter im jeweiligen Fall in der Lage war, diese Beurteilung kritisch durchzuführen, kann man den Ergebnisausdrucken aber nicht ansehen.
Zunächst muss ein Windgutachter über eine gute Kenntnis der Strömungsdynamik einschließlich ihrer nichtlinearen Phänomene, der Vorgänge in der atmosphärischen Grenzschicht und der Turbulenz verfügen. Dies kann am besten durch ein entsprechendes Studium erreicht werden. Vor allem bei Windgutachten im Ausland wird zunehmend auch das weiter gehende Verständnis der Vorgänge in der atmosphärischen Grenzschicht notwendig, insbesondere hinsichtlich der thermischen Einflüsse auf die Strömung.
Darüber hinaus muss ein Windgutachter die Grundlagen und die Grenzen der verwendeten Berechnungsmodelle und der verwendeten Daten bestens kennen. Dies gilt gerade auch bei der Verwendung von Datensätzen wie z. B. denen des NCAR (National Center for Atmospheric Research, USA) oder des ECMWF (European Centre for Medium Range Weather Forecast). Deren Belastbarkeit ist auch durch die Art der Datenerhebung und die bei der Generierung eingesetzten Berechnungsmodelle begrenzt.
Das theoretische Verständnis ist zwar eine notwendige Grundlage für eine qualifizierte Tätigkeit als Gutachter. Genauso wichtig ist aber das subjektive Einfühlungsvermögen in die Materie und die Fähigkeit, vor Ort ein Gespür für die Einflüsse der Umgebung auf die Strömung zu entwickeln. Bei Windgutachten handelt es sich um eine letztlich nicht objektivierbare Arbeit. Im Unterschied zu einem Mess- und Prüfbericht sind immer subjektive Elemente enthalten. Jedes Windgutachten bezieht sich auf einen anderen, speziellen Standort mit seiner individuellen Situation.
Auch charakterliche Voraussetzungen gibt es. Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Fehlern sind bei unserer Arbeit sehr hoch und sie stehen in einem extremen Verhältnis zur Zeit, die pro investierte Million aufgebracht wird. Daher ist eine beständig sorgfältige, aufmerksame, qualitätsorientierte und selbstkritische Arbeitsweise Grundvoraussetzung. Nicht zuletzt muss ein Windgutachter die Fähigkeit besitzen, die jeweilige Situation mit kühlem Verstand, unbeeinflusst durch die Erwartungshaltung des Auftraggebers oder durch Wunschdenken zu beurteilen. Hier wird charakterliche Standfestigkeit benötigt.


ECOreporter.de: Was muss ein Windgutachten beinhalten?

Daniela Jacob: Aus einem Windgutachten muss ersichtlich sein, wie die Berechnungsergebnisse erzielt wurden. Das beinhaltet eine Beschreibung der Methode, eine Dokumentation der Eingabedaten und eine Rechtfertigung der Ergebnisse, z. B. durch einen detailliert erläuterten Vergleich mit den Ertragsdaten bestehender Windkraftanlagen. Hierüber gibt es einen Konsens, der in dem Standard des Windgutachterbeirats festgehalten wurde. Ich empfehle, dass vorliegende Gutachten anhand dieser Standards auf die Beachtung der wesentlichen Elemente geprüft werden.


ECOreporter.de: Welche Faktoren sind für die Qualität eines Windkraft-Standortes hinsichtlich der Windverhältnisse ausschlaggebend?

Daniela Jacob: Die Windverhältnisse werden durch eine Reihe von Faktoren bestimmt. Die klimatischen Bedingungen mit der großräumigen Zirkulation bestimmen, ob überhaupt häufiger ein Wettergeschehen auftreten kann, das ausreichend starke Winde mit sich bringt. Dies ist nicht überall der Fall. In einigen Regionen bilden dagegen thermische Vorgänge die Hauptursache für die Strömung. Hier kann aber oft beobachtet werden, dass trotz häufiger Winde oder auch eigentlich nicht uninteressant erscheinenden mittleren Windgeschwindigkeiten die Häufigkeitsverteilung, die Grenzschichtstruktur oder die Turbulenz eine relativ schlechte Nutzbarkeit zur Folge haben.
Dann haben regionale Strukturen des Geländes einen großen Einfluss. Auf der Schwäbischen Alb oder in Nordhessen gibt es beispielsweise lokal attraktiv erscheinende Standorte, deren Windpotenzial aber wegen des Einflusses weiter entfernter Bergformationen gering ist.
Schließlich kann die lokale Situation das durch die großräumigen und die regionalen Gegebenheiten prinzipiell verfügbare Windpotenzial positiv oder negativ beeinflussen. Zunächst ist immer die Höhenlage des geplanten Standorts im Vergleich zur Umgebung entscheidend. In manchen Regionen beobachten wir starke Steigerungen des Windpotenzials bei nur relativ geringen Höhenänderungen. Immer wieder sehen wir aber Versuche, in Gebieten mit eigentlich guten Windverhältnissen hinter Hügeln oder in Tälern Windkraftanlagen zu planen. Die dabei auftretenden Phänomene werden durch die meisten verwendeten Berechnungsmodelle nicht erfasst. Die Nutzbarkeit der teilweise im Wind noch vorhandenen Energie ist zusätzlich durch Turbulenz stark beeinträchtigt. Hier ist größte Vorsicht angebracht.
In komplexem Gelände können die Winde, je nach Geländeform, auch der Oberfläche folgen, d. h. sie haben eine Vertikalkomponente. Das in diesen Winden enthaltene Potenzial kann von Windkraftanlagen nicht gut genutzt werden. Darüber hinaus führt es zu erhöhter Ermüdung der Anlagen. Ebenfalls sind in solchen Regionen Standorte mit lokal stark gesteigerten oder geschwächten Windfeldern zu finden.
Auch die Oberflächenbeschaffenheit, also der Unterschied zwischen ausgeräumter Landschaft, Wäldern und Städten wie auch die Häufigkeit der Wechsel in der Landnutzung, hat lokal einen erheblichen Einfluss. An verschiedenen Stellen, beispielsweise in Brandenburg und Sachsen-Anhalt, kann beobachtet werden, dass eigentlich gar nicht hoch gelegene, ausgeräumte Gebiete ein lokal hohes Windpotenzial aufweisen, das sich von dem regionalen deutlich unterscheidet.
Stets sollte bedacht werden, dass hinter Wäldern oder Waldstücken Bereiche mit geringem Windpotenzial bestehen, die deutlich über die Baumhöhe hinausreichen. Manchmal werden an solchen Stellen Windkraftanlagen mit großen Rotoren auf niedrigen Nabenhöhen installiert. Deren Rotoren operieren in teilweise gestörter Strömung, was nicht nur zu Ertragseinbußen, sondern auch zu hoher Bauteilermüdung führt.


ECOreporter.de: Wie genau lassen sich die Erträge berechnen?

Daniela Jacob: Dies hängt von der Komplexität des Standorts ab, der Verfügbarkeit belastbarer Vergleichsdaten (also Ertragsdaten bestehender Anlagen oder Windmessungen), von deren Interpretierbarkeit und der Übertragbarkeit auf den geplanten Standort. Auch die Unsicherheit der Leistungskennlinie spielt eine große Rolle. Bestehen in flachem Gelände Windkraftanlagen gleichen Typs und gleicher Nabenhöhe in unmittelbarer Nähe, ist die wesentliche Unsicherheit nur noch die des Einordnens der bisherigen Energieerträge in das langjährige Geschehen. Je nach Region lässt sich hierfür eine Unsicherheit der Prognose von nur +/-5 Prozent erreichen.
Werden andere Typen als die bestehenden Anlagen geplant, kommt die Unsicherheit der Leistungskennlinie hinzu. Auch vermessene Leistungskennlinien haben teilweise erhebliche Unsicherheiten oder Messabweichungen. Wir haben Unterschiede zwischen vermessenen Leistungskennlinien von deutlich über 10 Prozent, bezogen auf den Energieertrag, gefunden. Mit ausreichend Betriebserfahrungen und kritischer Betrachtung der Leistungskennlinien mit den jeweiligen Anlagentypen kann diese Unsicherheit eingegrenzt werden. Wir finden oft berechnete Kennlinien realistischer als vermessene, was auch einige Anlagenhersteller so sehen.
Wir beobachten außerdem häufig, dass sich Anlagen gleichen Typs an verschiedenen Stellen unterschiedlich verhalten. Daher muss der Leistungskennlinie immer eine Unsicherheit von mehreren Prozent, die schwer konkret schätzbar ist, zugeordnet werden.
In komplexem Gelände mit größerem Abstand zu Vergleichsanlagen kann leicht eine Unsicherheit des berechneten Energieertrags von mehr als +/-15 Prozent vorliegen. Hier unterscheiden sich auch heute noch Windgutachten teilweise um 10 bis 30 Prozent.
Mit Windmessungen kann keine so große Genauigkeit erreicht werden wie mit Vergleichsanlagen in der Nähe. Hier wird die Unsicherheit durch die Kalibration des Anemometers (siehe ECOreporter.de-Windfondslexikon), die Methode der Messdatenauswertung und das Einordnen der Messung in das langjährige Geschehen bestimmt. Ein besonderes Problem bereitet hier die Homogenität der Vergleichsdaten, in der Regel der Wetterstationsdaten. Eine Unsicherheit von deutlich weniger als +/-15 Prozent im Ertrag ist dabei kaum erreichbar, es sei denn, Ertragsdaten von Vergleichsanlagen erlauben eine zusätzliche Absicherung.


ECOreporter.de: Gibt es unterschiedliche Berechnungsmethoden?

Daniela Jacob: Ja. Die meisten Windgutachter verwenden das seit bald 20 Jahren bestehende Programm WAsP. In den letzten Jahren wurden verschiedene dreidimensionale Strömungsmodelle eingeführt, die sich aber noch nicht in der Breite durchgesetzt haben.


ECOreporter.de: Wie kommt ein Windgutachten-Anbieter wie anemos-jacob zu Aufträgen?

Daniela Jacob: Die Kunden wählen uns aufgrund von Empfehlungen. Sie bleiben Kunden, wenn sie mit der Arbeit zufrieden sind. Wir machen keine Werbung, keine Lobbyarbeit und haben keine strukturellen Vorteile wie besondere Verbindungen zu bestimmten Anlagenherstellern, Planungsbüros, Banken oder Finanzierern. Die Qualität der Arbeit genügt also als Weg, um Aufträge zu bekommen.


ECOreporter.de: Wodurch ist die Unabhängigkeit eines Windgutachtens gewährleistet?

Daniela Jacob: Der Windgutachter sollte allgemein keine besonderen Beziehungen zu Anlagenherstellern oder Planungsbüros pflegen, da deren Denkweise prinzipiell daran ausgerichtet sein muss, Windkraftanlagen zu verkaufen bzw. Projekte zu entwickeln. Ein Wunschdenken hinsichtlich der Windverhältnisse ist daher meistens vorhanden. Eine nüchterne Betrachtung der Windverhältnisse führt dann häufig zu Enttäuschungen. Der Windgutachter muss bereit und in der Lage sein, je nach Fall diese Enttäuschungen scheinbar zu verursachen. Dies unabhängig davon, wie viel in das Projekt schon investiert worden ist oder wo die Grenze der Wirtschaftlichkeit ist. Manchmal wird bei der Auftragsvergabe schon angegeben, welche Windverhältnisse erwartet werden oder welche "benötigt" werden. Teilweise werden schon bestehende Windgutachten zur Verfügung gestellt, was häufig im Bezug auf Vergleichsdaten und Hintergrundinformationen hilfreich ist. Nur wenn der Windgutachter sich von den Erwartungen frei macht, kann das Gutachten unabhängig sein.
Auch muss er in der Lage sein, sich gegebenenfalls von eigenen früheren Aussagen frei zu
machen, wenn neue Aspekte (Vergleichsdaten, Windindexänderung, neue Erkenntnisse) vorliegen.


ECOreporter.de: Windertragsgutachten kommen zuweilen zu sehr verschiedenen Ergebnissen. Ein Beispiel: Im Prospekt des 2003 aufgelegten Windfonds "Dubener Platte" reichten Medienberichten zufolge die Prognosen verschiedener Gutachter von 45,8 Millionen bis 63,8 Millionen Kilowattstunden (kWh) Jahresertrag für den Windpark? Wie sind derart große Unterschiede zu erklären?

Daniela Jacob: Wir waren in dem Projekt "Dubener Platte" involviert. In Deutschland liegt eine wesentliche Ursache für Unterschiede zwischen Windgutachten in der Verwendung, Bewertung und Behandlung von Vergleichsdaten. Beispielsweise ist direkt am Standort Dubener Platte eine Windkraftanlage in Betrieb, deren Energieerträge teilweise veröffentlicht sind. Wahrscheinlich haben nicht alle Windgutachter diese genutzt. Teilweise wurden die Daten wohl bewusst ignoriert, mit dem Argument "diese Anlage läuft nicht richtig". Leider muss ich beobachten, dass dieses Argument häufig von Kunden, teils auch von Kollegen, im Hinblick auf sehr viele bestehende Windkraftanlagen vorgebracht wird. Entweder ist hier Wunschdenken im Spiel, oder es ist korrekt, dann ist aber zu fragen, wie dies bei den geplanten Anlagen verhindert werden soll.
Gerade in der Umgebung der Dubener Platte sind Standorte mit ausgezeichneten Windverhältnissen und andere mit nur mäßigen zu finden. Die verwendeten Berechnungsprogramme sind kaum in der Lage, diese Unterschiede zu reproduzieren. Die Auswahl und Bewertung der Betriebsergebnisse bestehender Windkraftanlagen ist in diesem Fall also der entscheidende Punkt. Diese Auswahl kann nicht auf der Basis objektiver Kriterien im Sinne eines Mess- und Prüfberichts getroffen werden, sondern hier sind Erfahrungen und die persönliche Einschätzung entscheidend.
Darüber hinaus lagen beim Projekt manchen Gutachtern vertraulich Betriebsergebnisse vor, die anderen nicht zur Verfügung standen. Dies hat selbstverständlich auch Einfluss auf das jeweilige Ergebnis. Seit Jahren fordere ich daher eine Möglichkeit des Zugangs zu den Ertragsdaten bestehender Windkraftanlagen, um die Unsicherheiten bei Windgutachten zu minimieren. Eigentlich sollte dies im Interesse der gesamten Branche sein.
Auch bei der Verwendung der Vergleichsdaten unterscheiden sich Windgutachter. Insbesondere mit der älteren Version des IWET-Windindex konnten je nach Vorgehensweise sehr unterschiedliche Aussagen zum langjährigen mittleren Energieertrag einer bestehenden Windkraftanlage erzielt werden. Dieses Problem wurde mit dem neuen Windindex gemindert.
Schließlich wurden im Projekt Dubener Platte verschiedene Berechnungsmodelle verwendet, die insbesondere den Einfluss der Wälder der Umgebung unterschiedlich beurteilt haben.


ECOreporter.de: Wie aussagekräftig kann ein Windertragsgutachten sein?

Daniela Jacob: Die Aussagekraft der einzelnen Gutachten kann in einem Fall wie der Dubener Platte teilweise geprüft werden. Die Hauptkriterien hierfür sind:
· Wurden die Berechnungsergebnisse auf Plausibilität geprüft?
· Welche Vergleichsdaten wurden dabei verwendet?
· Ist die Wertung und Interpretation der Vergleichsdaten plausibel und nachvollziehbar? Wenn beispielsweise eine Windkraftanlage seit acht Jahren im Mittel 300 MWh/a erzeugt hat, aber ein langjähriger Mittelwert von 350 MWh/a angegeben wird, ist Vorsicht angebracht.
· Stehen die berechneten Energieerträge für die geplanten Anlagen mit den Betriebsergebnissen der bestehenden Anlagen in einem plausiblen Verhältnis?
· Ist aus dem Gutachten ersichtlich, dass sich der Gutachter mit dem speziellen Standort und den Windverhältnissen der Region ernsthaft beschäftigt hat?
Auf der Basis dieser Kriterien kann gegebenenfalls eine Gewichtung der vorliegenden Windgutachten vorgenommen werden.
Darüber hinaus sollte zwischen den Aussagen hinsichtlich der Windverhältnisse und der Energieerträge in Gutachten unterschieden werden. Nicht alle Leistungskennlinien von Windkraftanlagen sind miteinander vergleichbar. Dies gilt für gemessene Leistungskennlinien teilweise noch mehr als für berechnete. Nur wenn dieser Aspekt beachtet wird, ist eine Ertragsaussage belastbar. Doch kein Windgutachter kann bei der Erstellung eines Gutachtens das tatsächliche Verhalten der geplanten Anlagen absehen.


ECOreporter.de: Inwiefern kann der nun vom BWE vorgelegte neue "Standard zur Erstellung von Windgutachten" deren Qualität verbessern?

Daniela Jacob: Ich bin sehr stolz, dass es dem Windgutachterbeirat gelungen ist, diesen Standard zu entwickeln. Er wird deutliche Verbesserungen bringen, jedoch kann er nicht als Garantie zum exakten Ergebnis und als Ersatz für die fachliche Kompetenz gesehen werden. Für eine Anleitung zum Erstellen eines Windgutachtens ist die Materie zu komplex.
Der Standard bringt durch seine detaillierteren Anforderungen zur Dokumentation im Wesentlichen eine deutlich bessere Nachvollziehbarkeit der Arbeiten im Windgutachten. Die Verbesserung in der Qualität wird durch die noch stärkere Einbindung von Ertragsdaten bestehender Windkraftanlagen im Vergleich zu den bisher gültigen Mindeststandards erfolgen. Leider ist dies nur bedingt erfolgreich, da immer noch nicht alle Erträge von existierenden Windkraftanlagen allen Gutachtern zugänglich sind. Hier könnte ein wesentlicher Qualitätssprung erfolgen, wenn es endlich eine komplette und zuverlässige Datenbank mit Erträgen, Verfügbarkeit, Drosselungen etc. aller Windkraftanlagen in Deutschland gäbe, die für alle Windgutachter einsehbar und nutzbar wäre.


ECOreporter.de: Inwiefern unterscheidet sich die Aufgabe eines Windgutachters bei der Beurteilung von Offshore-Standorten von der bei Beurteilung von Standorten an Land?

Daniela Jacob: Für Offshore-Projekte gibt es keine Betriebsergebnisse bestehender Windkraftanlagen vergleichbarer Standorte. Bei der Berechnung des Parkwirkungsgrades sollte die allgemein niedrige Turbulenz beachtet werden.
Die Anwendbarkeit der verfügbaren Leistungskennlinien auf den geplanten Standort ist schwierig zu beurteilen, da die Windverhältnisse hinsichtlich Turbulenz, Grenzschichtverlauf und Scherung einen anderen Charakter haben als an Land. Auch sind an Land gemessene Kennlinien nicht auf Offshore-Standorte übertragbar.


ECOreporter.de: In Deutschland entwickelt sich die Windenergiebranche immer langsamer. Inwiefern erhöht sich dadurch der wirtschaftliche Druck auf Büros für Windanalyse wie anemos-jacob?

Daniela Jacob: Direkten wirtschaftlichen Druck im Sinne einer schlechteren Auftragslage spüren wir nicht. Allerdings machen uns die schlechte Zahlungsfähigkeit einiger Kunden und insbesondere die Insolvenz mehrerer Kunden schwer zu schaffen.
Zwar wird die Zahl der realisierten Projekte geringer, der Aufwand pro Projekt für die Windgutachter steigt aber gleichzeitig. Wo man früher die Jahresenergieerträge weniger einzelner Windkraftanlagen für Plausibilitätsprüfungen betrachtet hat, werden heute die Monatserträge und Verfügbarkeiten mehrerer ganzer Windparks analysiert und diese Parks werden detailliert nachberechnet. Durch die große Zahl an Vergleichsinformationen kann ein vertieftes Verständnis des regionalen Strömungsfeldes erlangt werden, durch das die Zuverlässigkeit der Aussagen für geplante Anlagen deutlich steigt. Zudem werden viele Details heute ausführlicher in den Gutachten dokumentiert.
Auch nach der Erstellung eines Windgutachtens fällt noch zunehmend Arbeit für ein Projekt an. Bisweilen finden Diskussionen mit anderen Windgutachtern über die Unterschiede zwischen den Ergebnissen statt. Daten und Informationen werden ausgetauscht und Stellungnahmen müssen verfasst werden. Die Zahl der Nachberechnungen zu Windgutachten steigt und häufig wird nach Errichtung eines Windparks eine unabhängige Ertragsanalyse durch einen Windgutachter durchgeführt.
Hinzu kommt ein erheblicher Aufwand für die methodische Weiterentwicklung, Untersuchungen zu Windindex, Höhenprofil, Strömungsmodellen, Einfluss der Geländeform, Belastbarkeit von Leistungskennlinien und nicht zuletzt die erzwungene Akkreditierung.
Erstaunlicherweise steigt auch trotz langsamerer Entwicklung der Branche der Zeitdruck, der von den Kunden ausgeübt wird. Die meisten Kunden erwarten Lieferzeiten für Windgutachten von drei bis vier Wochen. Im Verhältnis zur Komplexität der Aufgabenstellung ist innerhalb einer solchen Zeit kaum eine seriöse Arbeit möglich. Es bedeutet aber auch, dass die Auslastung der Büros schwankt und sie aber nicht mehr vorhersehbar ist. Vermutlich wird dies Auswirkungen auf die Preise haben, da der Organisationsaufwand steigt und Kapazitätsreserven bereitgestellt werden müssen.


ECOreporter.de: Deutsche Windparkprojektierer streben zunehmend ins Ausland. Gibt es auch für Windgutachter Chancen, sich außerhalb Deutschlands Aufträge zu sichern? Was sind ihre Erfahrungen mit ausländischen Auftraggebern?

Daniela Jacob: Ja. Die deutschen Projektierer behalten gern ihre gewohnten Gutachter für die Auslandsprojekte bei.


ECOreporter.de: Was sind ihre Erfahrungen mit ausländischen Auftraggebern?

Daniela Jacob: Auch diese vertrauen zunächst am liebsten auf ihre gewohnten Windgutachter. Deren Fähigkeiten sollte man auch tunlichst nicht unterschätzen. Am ehesten entsteht eine intensive Zusammenarbeit da, wo sich ausländische Investoren für Windparks in Deutschland interessieren. Hier besteht zunächst eine große Skepsis, da sich die in Deutschland üblichen Methoden für Windgutachten erheblich von den international gebräuchlichen unterscheiden, die ohne Vergleichsanlagen aber mit Windmessungen am Standort arbeiten. Wir haben jedoch eine große Bereitschaft dieser Kunden bzw. Partner der Kunden erfahren, sich auf die Eigenheiten des deutschen Marktes einzustellen. Die dann entstehenden Diskussionen empfinden wir als interessant und beiderseitig sehr befruchtend. Wenn man sich auf diese Unterschiede in den Erfahrungshintergründen einstellt, entstehen zumeist sehr konstruktive Diskussionen und auch erfolgreiche Abschlüsse.


ECOreporter.de: Frau Jacob, wir danken Ihnen für das Gespräch.


Per Mausklick gelangen Sie hier zum ECOreporter.de-Beitrag über den aktuellen BDB-Windindex.

Bildhinweise:
Daniela Jacob / Quelle: Anemos-Jacob;
Windpark bei Arneburg / Quelle: GE Energy;
Kopf einer REpower-Anlage / Quelle: Unternehmen;
WKA von Vestas / Quelle: Unternehmen;
Offshore-Windpark / Quelle: NEG Micon
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