Fonds / ETF

12.2.2008: Nachhaltigkeitsfonds-News: „Der Mikrofinanzsektor leidet unter einer immensen Finanzierungslücke“ ECOreporter.de-Interview mit Raimar Dieckmann zur Entwicklung des Mikrofinanzsektors

Der Markt für Mikrofinanzinvestments boomt. DB Research, der Think Tank der Deutschen Bank, hat eine Studie zur weiteren Entwicklung des Sektors vorgelegt. Autor der Untersuchung ist Raimar Dieckmann. Er nennt im Interview mit ECOreporter.de Prognosen und erläutert Ursachen der Entwicklung:

ECOreporter.de: Herr Dieckmann, wer investiert derzeit in die Mikrofinanz?
Dieckmann: Der Großteil der Mittel für den Mikrofinanzsektor stammt zum einen von internationalen Finanzinstitutionen wie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung oder der KfW Entwicklungsbank. Von 2004 bis 2006 haben solche Investoren ihr Anlagevolumen im Mikrofinanzsektor auf 2,4 Milliarden Dollar mehr als verdoppelt.
Die zweite Anlegergruppe besteht aus einer Vielzahl von privaten und institutionellen Investoren: NGOs (Nicht-Regierungsorganisationen), Stiftungen, sozial motivierte Anleger, Pensionskassen und weitere institutionelle Anleger. Hier sind die Wachstumsraten noch höher: Ihr Anlagevolumen stieg 2006 auf geschätzte 2,0 Milliarden Dollar. Langfristig erwarten wir, dass das Anlagevolumen privater Anleger das der Entwicklungsbanken übersteigen wird.


ECOreporter.de:Welche Argumente sprechen für Mikrofinanz-Investments?
Dieckmann: Mikrofinanz-Investments ermöglichen Anlegern, ein soziales Anlageziel in Form der Armutsreduzierung in Entwicklungs- und Schwellenländern zu verfolgen. Die Mittel fließen Mikrofinanzinstituten (MFI) zu, welche sie als zusätzliche Kleinstkredite an arme Menschen vergeben und ihnen so neue Entwicklungsperspektiven eröffnen.
Zudem bieten Mikrofinanz-Investments Anlegern ein attraktives finanzielles Risiko-Rendite-Profil, das geprägt ist von stabilen Erträgen, geringen Kreditausfallraten und einer potenziell geringen Korrelation zu den etablierten Segmenten des Kapitalmarkts.


ECOreporter.de: Wo liegen in dieser Anlageklasse die Risiken für Investoren?
Dieckmann: Bei diesen mittel- bis langfristigen Anlagen werden Investoren mit den typischen Risiken einer Geldanlage in Entwicklungs- und Schwellenländern konfrontiert, etwa Defiziten in den Rechts-, Wirtschafts- und Marktordnungen. So können z.B. politische Instabilitäten, Eingriffe in die Marktordnungen, Liquiditätsverknappungen oder Beschränkungen im Kapitalverkehr den Wert eines Mikrofinanz-Investments negativ beeinflussen. Hinzu kommt deren Illiquidität. Oftmals sind keine Marktpreise verfügbar, weil viele Investmentprodukte nicht an einer Börse notiert sind und oft nur bei Fälligkeit oder zu vorher festgelegten Terminen veräußert werden können. Auch werfen einige Mikrofinanz-Investments keine regelmäßigen Dividenden oder Zinserträge ab und können zum Teil Währungsrisiken unterliegen, weil ein Hedging von Währungen in Schwellen- und Entwicklungsländern oftmals nicht möglich oder schlicht zu teuer ist. Durch eine breite Streuung der Währungen lassen sich diese freilich abmildern.


ECOreporter.de: Wie groß ist der Bedarf an Mitteln für Mikrokredite?
Dieckmann: Trotz des rasanten Wachstums des Kreditvolumens auf geschätzte 25 Milliarden Dollar in 2006 leidet der Mikrofinanzsektor unter einer immensen Finanzierungslücke, die grob auf 250 Milliarden Dollar geschätzt wird. Während sich die gesamte potenzielle Nachfrage von Mikro-Kreditnehmern auf ca. 1 Milliarde Dollar beläuft, können gegenwärtig lediglich ca. 100 Millionen Kunden mit Mikrokrediten versorgt werden. Die Kapital- und Finanzmärkte nehmen zunehmend eine Schlüsselrolle bei der Reduzierung dieser immensen Finanzierungslücke ein.


ECOreporter.de: Wie wird sich der Bereich der Mikrofinanzinvestments weiter entwickeln?
Dieckmann: Wir gehen von einer Fortsetzung des starken Wachstums des Anlagevolumens aus und prognostizieren, dass private Investoren ihr Anlagevolumen bis 2015 auf 20 Milliarden Dollar erhöhen werden. Mikrofinanz-Investments dürften sich zu einem Nischen-Anlageprodukt entwickeln, das verstärkt von Privatanlegern nachgefragt wird. Sie profitieren vom generellen Bedeutungszuwachs der sozial verantwortlichen Anlagen. Ferner werden kommerziell orientierte institutionelle Anleger zunehmend Mikrofinanz-Investments aus Gründen der Portfoliodiversifizierung nachfragen.


ECOreporter.de: Kann der Mikrofinanzsektor den erwarteten Mittelzufluss von Investorenseite bewältigen?
Dieckmann: Der Mikrofinanzsektor befindet sich gegenwärtig in einem Transformationsprozess. MFI refinanzierten sich ursprünglich in erster Linie über Spenden, subventionierte Darlehen oder entwicklungspolitische Fördermittel. Inzwischen haben einige von ihnen bereits Verbriefungstransaktionen durchgeführt, Schuldverschreibungen oder sogar Aktien emittiert. Die meisten der ca. 200 - 300 am stärksten entwickelten Institute sind zu beaufsichtigten MFI geworden. Sie arbeiten in der Regel gewinnbringend und verfügen oft über ein erfahrenes Management. Daher werden sie von Anlegern und Geschäftsbanken als besonders geeignet angesehen, die Mittelzuflüsse von Investoren in einer effizienten und zielführenden Weise Mikrokreditnehmern zuzuführen.


ECOreporter.de: Bleibt bei der prognostizierten Entwicklung nicht die Mehrheit der Mikrofinanzinstitute außen vor?
Dieckmann: In der Tat verbleibt Handlungsbedarf, da in absoluten Zahlen die große Mehrzahl der MFI zu der Gruppe der weniger entwickelten Institute zählt. Diese haben erhebliche Schwierigkeiten bei der Refinanzierung. Sie sind in der Regel nicht profitabel oder erreichen in einigen Fällen gerade die Gewinnschwelle und haben nur sehr eingeschränkten Zugang oder keinen Zugang zu marktbasierten Refinanzierungsformen. Oft handelt es sich bei diesen informellen Mikrofinanzinstituten um NGOs, Kreditvereine oder Genossenschaften. Für private Anleger wäre eine Anlage in diese Institute mit zu großen Risiken behaftet. In der Praxis werden daher einige dieser Institute von Entwicklungsbanken oder anderen Förderorganen unterstützt.


ECOreporter.de: Wie können Privatanleger konkret in Mikrofinanz investieren?
Dieckmann: Grundsätzlich gibt es für private Anleger zwei Möglichkeiten. Zum einen können Anleger in strukturierte Investmentprodukte investieren, die jedoch oft ein hohes Mindestanlagevolumen haben. Zum anderen ist es seit Jahresbeginn 2008 in Deutschland möglich, Mikrofinanz-Publikumsfonds aufzulegen. In diese klassischen Investmentfonds können Privatanleger auch geringere Beträge anlegen. Zurzeit prüfen viele Fondsgesellschaften die Möglichkeit, solche Mikrofinanz-Investmentfonds aufzulegen.


ECOreporter.de: Wie wird sich das Investmentsänderungsgesetz vom Dezember auf die Beteiligung deutscher Anleger im Mikrofinanzbereich Ihrer Ansicht nach auswirken?
Dieckmann: Wir betrachten die Gesetzesänderung als einen großen Fortschritt für die Refinanzierung von Mikrofinanzinstituten und erwarten eine Zunahme des Mittelzuflusses privater Anleger. Allerdings stellt der Gesetzgeber hohe Anforderungen an die Anlagepolitik der Fonds, um ein Mindestmaß an Anlegerschutz zu gewährleisten. Wie stark diese Anforderung das Fondmanagement in der Praxis einschränken wird, bleibt abzuwarten.


ECOreporter.de: Herr Dieckmann, wir danken Ihnen für das Gespräch.


Bildhinweise:
Raimar Dieckmann / Quelle: DB Research;
mit Kleinkrediten können sich Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern eine Existenz aufbauen: Marktfrauen in Kinshasa / Quelle: ProCredit
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